Das Thema Gewalt und Waffenruhe
Mit der militia wächst im Lauf der Zeit nicht nur ein abgeschlossener Stand, sondern auch ein massives Problem heran. Die Reitertruppen im Dienst adliger Grundherren stellen ein gefährliches Gewaltpotenzial dar, das vor allem im Fehdewesen eine verheerende Wirkung entfaltet.
Gebändigte Gewalt - Die Domestizierung der Ritterschaft
In germanischen Traditionen wurzelnd, ist die Fehde ein Teil der mittelalterlichen Rechtsrealität und unter bestimmten Umständen als legaler Akt der Abwehr von Rechtsbrüchen, der Durchsetzung von Ansprüchen und zur Wiederherstellung gekränkter Ehre zulässig.
Bauernschläger, Kirchenräuber, Gauverwüster
Obwohl die dem Adel und den Freien vorbehaltene Form gewaltsamer Selbstjustiz an strenge Auflagen gebunden ist, nimmt das Fehdeunwesen gegen Ende des 10. Jahrhunderts erschreckende Ausmaße an. Schon geringste, tatsächliche oder auch nur vorgeschobene Anlässe reichen aus, um einen Widersacher erbarmungslos zu befehden. Bei der Wahl der Mittel gehen die Fehdeführer nicht zimperlich vor: Geiselnahme, Brandstiftung, Raub, Verstümmelung, Mord und Brutalitäten aller Art gelten als probate Methoden, um ein begründetes oder vermeintliches Rachebedürfnis zu stillen. Alle Versuche, die ausufernde Gewalttätigkeit einzudämmen oder Verbote zu verhängen, bleiben fruchtlos.
Ein Bischof bietet den Rittern die Stirn
Zu den Hauptleidtragenden gehören die Bauern, deren Hofstellen verwüstet werden, um den befehdeten Grundherren zu schädigen, aber auch der Klerus: Klöster werden angegriffen, Kirchen geplündert, Pfarrer, Mönche, Äbte und selbst Bischöfe entführt, gefoltert und ermordet. In seiner Bedrängnis versucht der südfranzösische Episkopat die Streitlust rivalisierender Herren und das aggressive Potenzial ihrer Rittertruppen zu bändigen. Den Anfang macht Wido von Anjou. 976 zum Bischof von Le Puy erhoben, bemüht er sich, den durch milites immer wieder brutal gestörten Frieden in seiner Diözese zu sichern. Schon kurz nach seiner Einsetzung beruft Wido eine Diözesanversammlung ein und trotzt den anwesenden Rittern mithilfe seiner eigenen Streitmacht ein Friedensgelübde ab. Die eingeschüchterten milites verpflichten sich eidlich dazu, künftig weder die Kirche noch die Armen zu unterdrücken, geraubtes Gut zurückzugeben und die Opfer ihrer Gewalttaten zu entschädigen.
Pax dei - Der Gottesfrieden zügelt das Fehdewesen
Das Beispiel macht Schule. Eine Reihe folgender Friedenskonferenzen weitet die Waffenruhe (pax dei) räumlich, zeitlich und inhaltlich aus. Unter dem Schutz des Gottesfriedens, dessen Einhaltung die Angehörigen der militia per Eid geloben, stehen fortan neben den Bauern (pauperes) auch Reisende, Pilger, Kaufleute, Frauen und Kleriker. Eine besonders strenge Friedenspflicht gilt an Sonntagen, kirchlichen Festtagen und Heiligentagen. Ab der Mitte des 11. Jahrhunderts erstreckt sich das Fehdeverbot in Frankreich schließlich auf mehr als 200 Tage im Jahr. Im deutschen Reich fasst die Bewegung in den 40er Jahren des 11. Jahrhunderts Fuß, ab 1085 ist der Gottesfrieden für weite Teile des Reichs eine verpflichtende Institution.
Der Wandel vom Gottesfeind zum Gottesstreiter
Der Gottesfrieden ist brüchig, lückenhaft, regional unterschiedlich ausgestaltet und das Fehdewesen noch lange nicht ausgerottet. Trotzdem bahnt er einem neuen christlich geprägten Ritterideal den Weg. Der klar formulierte Auftrag, das Schwert in den Dienst der Schwachen, Rechtlosen und vor allem der Kirche zu stellen, verändert die Auffassung des Waffengebrauchs und des ritterlichen Selbstverständnisses. Der von ewiger Verdammnis bedrohte miles malus mutiert zum heilsgewissen miles christianus, der die Sache Gottes auf Erden vertritt.