Maria Magdalena Die erotische Frau
Spätestens Mitte des vierten Jahrhunderts kommt mit der Institutionalisierung auch die stetig fortschreitende "Vermännlichung" der Kirche zum Abschluss. Im Jahr 351 (nach anderen Datierungen um 363/364 oder 380) stellt das Konzil von Laodicea lapidar fest, dass Frauen künftig nicht mehr zum Altar zugelassen und "Presbyterinnen" nicht mehr in der Kirche zu ordinieren sind. Obwohl die entsprechenden Passagen (Kanon 11 und Kanon 44) nach wie vor kontrovers diskutiert werden, zieht insbesondere die feministische Theologie einen plausiblen Umkehrschluss aus dem Beschluss der Synode: Solche Verbote sind nur dann nötig, wenn Frauen bis dahin vollwertige Gemeindemitglieder waren und als Apostolinnen, Predigerinnen oder Diakoninnen sowohl administrative wie auch geistliche Funktionen innehatten.
Dem amtlich verordneten Exodus der Frauen aus dem apostolischen Amt steht jedoch die in allen vier Testamenten bezeugte Vorrangstellung Maria Magdalenas im Wege. Leugnen oder streichen lässt sich diese Tatsache nicht. Also muss man sie umdeuten, überschreiben und ihre ursprüngliche Tragweite beschneiden.
Zwei wesentliche Bausteine für diese grundlegenden Umwertung Maria Magdalenas stellen Markus und Matthäus mit ihren Berichten über eine namenlose Frau bereit, die im Haus Simons des Aussätzigen das Haupt Jesu salbt (Mt. 26,6-13 und Mk. 14,3-9). Lukas erweitert die Darstellung des Geschehens in einem entscheidenden Punkt: Als Jesus im Haus eines Pharisäers speist, tritt eine anonyme "Sünderin" an ihn heran, die seine Füße mit ihren Tränen benetzt, dann mit ihren Haaren trocknet, küsst und salbt (Lk. 7,36). Johannes nimmt die Geschichte ebenfalls auf, ändert sie jedoch abermals ab. Bei ihm ist Jesus im Haus des Lazarus zu Gast, den er von den Toten auferweckt hat. Mit anwesend sind auch Martha und Maria, die beiden Schwestern des Lazarus. Während Martha den Tischgästen aufwartet, nimmt Maria ein Pfund echtes, kostbares Nardenöl, salbt Jesus die Füße und trocknet sie mit ihrem Haar (Jo. 12,1-8).
Rufmord im Dienst der Männerkirche
Mitte des 4. Jahrhunderts verwebt der syrische Kirchenlehrer Ephraim die unterschiedlichen Erzählstränge: Er setzt die namenlose Frau des Markus- und Matthäusevangeliums mit der Sünderin des Lukasevengeliums gleich und schlägt zugleich die Brücke zu Maria Magdalena, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren (Lk. 8,2).
Den folgenreichsten Beitrag für die Herabstufung Maria Magdalenas von der Apostolin zur reuigen Sünderin leistet Papst Gregor der Große im Jahr 591. In mehreren Predigten und Auslegungen bestätigt er die Zusammenziehung Ephraims ausdrücklich: Fortan ist Maria Magdalena identisch mit der Sünderin des Lukas, der namenlosen Wohltäterin bei Markus und Matthäus sowie der Schwester des Lazurus bei Johannes.
Damit nicht genug. Gregor der Große erhebt nicht nur die Verschmelzung Maria Magdalenas mit der reuigen Sünderin zur offiziellen Lehrmeinung der Kirche, die erst 1969 offiziell für irrig erklärt wurde. Er stellt überdies unmissverständlich klar, welcher Natur die ausgetriebenen Dämonen und bereuten Sünden waren. Vor ihrer Bekehrung, so Gregors Deutung, war Maria als Prostituierte sexuellen Lastern, Ausschweifungen, eitlen Begierden und schändlichen Lüsten verfallen. Im Verständnis des Nachfolgers Petri steht sie mit ihren schuldhaften sexuellen Verfehlungen prototypisch für die in ihrer Sexualität begründete Sündhaftigkeit der Frau schlechthin.