Apostolin der Apostel?
Religion | RS, Gy |
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Erst Hure, Sünderin, Besessene - dann fromme Büßerin und Heilige? Oder doch die heimliche Geliebte Jesu, Mutter seiner Kinder, Hüterin des Grals? Weder noch! Maria Magdalena ist nichts von alledem. Und doch ist die Suche nach ihr spannender als jeder Krimi.
Die Maria Magdalena der katholischen Tradition, die Sünder- und Büßerheilige der Legende, die reuige Dirne hat es nie gegeben. Sie ist ein Kunstprodukt, ein Mischwesen, zusammengesetzt aus mehreren Marien in den Evangelien, vermengt mit namenlosen Frauen im Umkreis Jesu, überwuchert von allegorischen Deutungen und exegetischer Instrumentalisierung. Diese Klitterung von Tatsachen, Behauptungen und purer Fabelei ist kein Versehen, sondern Kalkül. Eine immer stärker von Männern dominierte Amtskirche wollte nicht wahr haben, was Jesus vorlebte, die Evangelien überliefern und das Urchristentum ganz selbstverständlich verwirklichte: die Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Damit die Männer obenauf kommen und bleiben konnten, mussten die Frauen hinunter: in den Sumpf der Sünde, in den charismatischen Exodus, ins Schweigen der Bedeutungslosigkeit. Maria Magdalena, die emblematische Büßerin wurde zur Schlüsselfigur dieses Prozesses. Sie büßt stellvertretend für alle Frauen, stellvertretend für ihr Geschlecht und die Geschlechtlichkeit generell. So ist die männliche Kreation der Kunstfigur Maria Magdalena ein bis heute nachwirkendes Beispiel für den Versuch, sie und mit alle Frauen aus dem Zentrum der Verkündigung an den Rand der Kirche abzudrängen.
Der lange Abschied von der Urschuld Evas
Doch wie konnte es geschehen, dass im Laufe einiger Jahrhunderte die schlichte Wahrheit der Evangelien derart nachhaltig überschrieben wurde? Welche Mechanismen, welche Absichten stecken hinter diesen Übermalungen? Wer hatte ein Interesse daran, die Apostolin der Apostel, die Vertraute Jesu, die Verkünderin seiner Auferstehung als Dirne zu stigmatisieren und aus dem Mittelpunkt des Geschehens auszusperren? Was wissen eigentlich wirklich über die historische Maria Magdalena, welche Folgen hat es für die gegenwärtige und die künftige Kirche, wenn wir die Überlagerungen Schicht um Schicht abtragen, wenn wir das Urbild rekonstruieren und die vermeintliche Sünderin rehabilitieren?
Theologinnen, Kunsthistorikerinnen und Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Disziplinen gehen diesen Fragen seit Langem auf den Grund. Sie haben die Evangelien beim Wort genommen, haben außerkanonische Zeugnisse wie das apokryphe Marienevangelium einbezogen und sowohl die Kirchen- als auch die Kunstgeschichte kritisch befragt. Der Beitrag zieht eine Bilanz der Bemühungen um ein ebenso realistisches wie folgenreiches Verständnis dieser faszinierenden, missverstandenen und bewusst verzeichneten Frauengestalt des Neuen Testaments. Das Urteil fällt eindeutig aus. Maria Magdalena ernst zu nehmen und so zu sehen, wie die Evangelisten sie sahen, kann nur eines bedeuten: Das traditionelle Frauenbild der Kirche endlich über Bord zu werfen.