Das Thema Mutmaßungen über Maria Magdalena
Gestützt auf die unmittelbaren Schriftzeugnisse und breite Kontextanalysen hat die Forschung versucht, die Person und das Wirken der Maria aus Magdala hinter den unterschiedlichen Überlieferungsschichten zu rekonstruieren.
Dabei fällt zunächst auf, dass Maria nicht wie sonst üblich über ihre Rolle als Mutter, Ehefrau, Witwe, Schwester oder Tochter eines Mannes eingeführt wird. Sie war also aller Wahrscheinlichkeit nach eine alleinstehende, unabhängige Frau, die offensichtlich auch über genügend Mittel verfügte, um zum Unterhalt der Gruppe beizutragen: "In der folgenden Zeit wanderte er von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf und verkündete das Evangelium vom Reich Gottes. Die Zwölf begleiteten ihn, außerdem einige Frauen, die er von bösen Geistern und von Krankheiten geheilt hatte: Maria Magdalene, aus der sieben Dämonen ausgefahren waren, Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, Susanna und viele andere. Sie alle unterstützten Jesus und die Jünger mit dem, was sie besaßen..." (LK. 8. 1-3)
Zudem geht vor allem die feministische Theologie davon aus, dass sie, wie auch die anderen Frauen um Jesus, die Jünger nicht nur mit "typisch weiblichen" Diensten umsorgte, sondern eine vollwertige Jüngerin war. "Nachfolgen" und "dienen" meint in diesem Verständnis, dass sie die Botschaft Jesu aktiv verbreitete und somit apostolisch wirkte. Diese Mutmaßung stützt sich auf ihre besondere Nähe sowohl zum historischen Jesus als auch zum kerygmatischen Christus der Verkündigung.
Ein wesentlicher Charakterzug Marias ist darüber hinaus der Mut, mit dem sie sich in Jerusalem offen zu Jesus bekennt. Angesichts der Vergehen, die man ihm vorwirft, beweist sie damit eine geradezu lebensgefährliche Treue. Durch den Umgang mit einem verurteilten Gotteslästerer und politischen Aufrührer riskiert sie, auch verhaftet und derselben Verbrechen angeklagt zu werden.