Schnell gelaufen Aktion zur Verzögerung der Zeit in München
Eigentlich hätte sowohl die technische als auch die digitale Beschleunigung dazu führen müssen, dass wir mehr Zeit für uns haben – doch das Gegenteil ist der Fall. Gut, dass in Bayern die Uhren auch heute noch ab und an anders ticken ...
Mit der Industrialisierung und dem Internet hat die Beschleunigung Einzug in unser Leben gehalten. Das ist keineswegs immer schlecht. Doch das zwingt uns auch in ein Hamsterrad: Wir müssen uns immer schneller zwischen immer mehr Möglichkeiten entscheiden, haben Angst, etwas zu verpassen, wollen immer noch schneller sein und wo's nur geht Zeit einsparen – nur um am Ende des Tages feststellen zu müssen, dass wir doch nicht mehr Zeit hatten.
Vom Irrtum des Zeitsparens
So ganz neu scheint das Phänomen nicht zu sein, schließlich thematisierte es Michael Ende bereits 1973 in "Momo". In dem Roman halten die "grauen Herren" die Menschen dazu an, Zeit zu sparen, auf einer Art Konto. Das Paradoxe ist: Umso mehr Zeit die Menschen sparen, desto kürzer werden ihre Tage. Dass sie um ihre Zeit betrogen werden, merken viele erst später.
"Wir sind das Hamsterrad", sagt Angelika Drabert vom "Verein zur Verzögerung der Zeit". Das ist eher eine Bewegung als ein Verein. Den gibt es schon eine ganze Zeitlang - seit 25 Jahren. Das Thema "Zeit" ist also kein neues Phänomen.
Der Verein will zum Nachdenken über die Zeit anregen. "Wenn ich sage, dass ich keine Zeit habe, heißt das, dass ich für etwas Bestimmtes keine Zeit habe. Mir ist nur etwas anderes wichtiger", gibt Angelika Drabert zu bedenken.
Vor diesem Hintergrund muss man auch die Aktion sehen, die sie mit dem Münchner Künstler Wolfram Kastner vom "Verein zur Verzögerung der Zeit" durchgeführt haben: Sie sind kürzlich an einem Freitagmittag zur besten Geschäftszeit durch Münchens Fußgängerzone geschlendert. Zusammen mit zwei weiteren Gesinnungsgenossen haben sie als "Sandwich-Männer" und "-Frauen" Schilder getragen mit der Aufschrift "Bitte beeilen Sie sich!" und "Please hurry up!"
Der bayerische Dickschädel
Dass es bei uns in Bayern noch immer gar nicht so schlimm ausschaut mit der Beschleunigung, der Selbstausbeutung, dem Stress, das liegt vielleicht auch an unserer gewissen Haltung grundsätzlicher Verweigerung gegenüber manchem Ansinnen, doch schnell einmal das und gleich jenes zu machen, unter dem Motto „Iatz mog i grad extra net“. Sich nicht sofort überall mit- und in alles hineinreißen zu lassen, stattdessen Beharrungsvermögen zu zeigen und sich die Reaktion überlegen zu können, ist möglicherweise von enormem Vorteil. Mag uns das auch manchmal als Phlegma oder Unbeweglichkeit ausgelegt werden – es schützt uns mehr als andere vor Selbstausbeutung.