"Bayerischer Haschisch" Als der Freistaat Vorreiter beim Cannabis-Anbau war
In den 1920er Jahren sollte Cannabis aus Oberbayern einmal im großen Stil vermarktet werden. Es kam alles anders: Wie das Hanf zum "Höllenkraut" wurde und von der Gegenkultur wiederentdeckt wurde. Eine kleine Pflanzenkunde.
3.000 Kilo Cannabis habe man in den letzten Jahren dem deutschen Drogengroßhandel geliefert, heißt in der wissenschaftlichen Publikation "Heil- und Gewürzpflanzen" von 1925. Nach acht Jahren Auslese und Analyse müsse man feststellen: "Das englische Welthandelsmonopol wird in Kürze der Geschichte angehören".
Cannabis-Anbau in Oberbayern
Lang ist es her, dass mit Cannabis indica derart frei gehandelt werden durfte und die Pflanze ganz selbstverständlich zum Repertoire der Medizin gehörte, wie auch das "Ärztliche Taschenbuch" von 1866 zeigt. In der Übersicht der "Arzneistoffe" wird Cannabis indica als Narkotikum geführt. Anzuwenden bei Lungenkrankheiten, Asthma, Rheumatismen, zur Steigerung der Wehentätigkeit und bei Uterus-Blutungen.
Um 1900 war der Hanfanbau in Mitteleuropa zwar weit verbreitet, das indische Cannabis mit dem hohen Harzgehalt für den medizinischen Gebrauch musste importiert werden. Der Unternehmer Emil Werkmeister wollte diese Marktlücke offenbar schließen und gründete 1907 die "Versuchsstation für technischen und offizinellen Pflanzenanbau G.m.b.H. Happing bei Rosenheim" mit dem Ziel, das indische Cannabis in Bayern anzubauen.
"Wo Weizen gedeiht, kann Cannabis indica gebaut werden"
Mit Erfolg: Die Pflanze sei weniger frostanfällig als oft behauptet und der Harzgehalt ließe sich auch auf den heimischen Böden stetig steigern: "Deshalb kann ruhig gesagt werden, daß Cannabis indica in Deutschland überall, wo guter Weizen gedeiht, mit Erfolg gebaut werden kann."
Es gelang, ein konkurrenzfähiges Produkt auf den Markt zu bringen, das qualitativ so hochwertig war, dass der "Bayerische Haschisch" - wie der Pharmakologe und LMU-Professor Walther Straub das Happinger Cannabis nannte - die Importware ersetzen könne. Dazu kam es allerdings nie. Denn als 1928 Straub in der "Münchener medizinischen Wochenschrift" darüber berichtete, stand die Happinger Versuchsanstalt schon kurz vor dem Ruin: Ein Brand hatte den Hof 1926 schwer beschädigt, 1932 wurde die Firma endgültig aufgelöst.
Cannabis-Konsum quer durch alle Epochen und Kulturen
Die jüngsten Forschungsergebnisse, nach denen Wirkstoffe der Cannabis-Pflanze vor einer Corona-Infektion schützen können, zeigen einmal mehr, dass es längst an Zeit wäre, die gängige Meinung zu dieser Pflanze neu zu justieren. Denn das Wissen über sie war nicht nur vor 100 Jahren einmal wesentlich größer als heute – Hanf ist eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt und begleitet die Menschheitsgeschichte rund um den Globus schon seit Jahrtausenden. Bereits Shennong, erste Kaiser des alten China, soll den medizinischen Nutzen des Hanfs erforscht haben – vor über 3.000 Jahren. Das Wissen über die Pflanze, das in einer Schriftensammlung von mündlichen Überlieferungen aus dem ersten Jahrtausend vor Christus festgehalten wurde, wird ihm zugeschrieben. In der altägyptischen Schriftrolle "Papyrus Ebers", datiert auf etwa 1550 vor Christus, wird Cannabis indica als Narkotikum erwähnt. Und der griechische Geschichtsschreiber Herodot berichtete in seinen "Historien" um 450 v. Chr. vom Reitervolk der Skythen, das sich im erhitzten Cannabis-Dampf berauschte. Auch im Hinduismus wird die Droge seit jeher als religiöses Medium gebraucht. Sadhus, die Shiva-Anhänger, nutzen es, um bei der Meditation höhere spirituelle Ebenen zu erreichen.
Historisch betrachtet sieht Robert Feustel, der zu sozial- und kulturwissenschaftlichen Aspekten von Drogen forscht und lehrt, in diesen Kontexten auch die größten Übereinstimmungen, was Rausch und Drogenkonsum anbelangt. "In einem stark religiös geprägten Kontext, dem Karneval, in der Umwertung aller Werte, spielen Drogen eine große Rolle. Bisweilen geht es auch um andere Wahrnehmungen, göttliche Wahrnehmung, teuflische Wahrnehmungen, wenn man sehr weit zurückschaut", so der Soziologe. "An Drogenerfahrungen zeigt sich ein stückweit auch das Denken der jeweiligen Zeit. Man versucht sich selbst zu verstehen. Was ist eigentlich los? Wer sind wir eigentlich? Was wollen wir eigentlich hier? Insofern spielen Drogen schon immer eine große Rolle."
Der Weg zum diabolischen "Mörderkraut"
Was im historischen Vergleich allerdings ganz deutlich heraussteche, sei die Prohibitionspolitik und Kriminalisierung von Drogen im 20. Jahrhundert. "Diese strikte Kopplung von Drogenrausch und Gefahr, die wir kennen, das ist recht neu. Das Abstinenz-Gebot ist recht neu, die Idee von Nüchternheit", sagt Feustel. Auch Cannabis erfährt ab den 1930er-Jahren, ausgehend von den USA, eine ideologiegetriebene Umdeutung, die auch bei uns bis heute an der Pflanze haften geblieben ist: Harry Jacob Anslinger, der Leiter des "Bureau of Narcotics", suchte nach der gescheiterten Alkohol-Prohibition nach einer neuen Aufgabe für seine Drogenbehörde – und sah in der Verfolgung von Cannabis eine Chance, den Einfluss der Behörde wieder zu vergrößern, wie er später in einem BBC-Interview 1954 erklärte. Anslinger initiierte Kampagnen in den USA, die Hanf gezielt zum diabolischen "Mörderkraut" stilisierten, das die Jugend verführe oder gar "ermorde". Mit dem Marihuana Taxation Act von 1937 erreichte Anslinger schließlich sein Ziel: Durch absurd hohe Steuersätze wurde Hanf in den USA de facto verboten.
Es sei natürlich nicht pauschal falsch, Drogen als gefährlich einzustufen. Jede Droge habe einen Abgrund. Aber es komme immer auf die Dosis an, auf den Konsum und auf die Motivation, findet Feustel. Er hat das "Handbuch Drogen in sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive" mit herausgegeben und würde den Fokus lieber anders setzen: "Wir sollten, glaube ich, eher schauen, dass wir über die Drogen-Debatten reflektieren, was wir eigentlich unter einem vernünftigen, nüchternen Menschen verstehen. Weil das größere Phantasma ist eigentlich die Nüchternheit, die Klarheit im Kopf."
Einstiegsdroge Cannabis?
Harry Anslinger nutzte das Verbot der Pflanze letztlich dazu, mexikanische und afroamerikanische Minderheiten und die Jazz-Subkultur im Land zu kriminalisieren und zu verfolgen. Sein letzter Coup in der Drogenpolitik war schließlich die "Umstiegs-Drogen-Theorie", nach der Hanf zwangsläufig zu Heroin führe. Dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei, gilt bis heute als valides Argument in den Legalisierungsdebatten. In der Forschung aber gebe es keine wissenschaftlichen Belege dafür, sagt Feustel. "Wenn es überhaupt eine Einstiegsdroge gibt, dann ist es der Alkohol."
Erst in den späten 1960er-Jahren wird Cannabis schließlich wiederentdeckt: als Rausch- und Protestmittel der Gegenkultur. Kiffen gegen den Mief der konservativ-bürgerlichen Gesellschaft. Auch die bayerische Politik diskutiert das Thema und die Haltung dazu ist klar: "Haschisch wird vorwiegend von psychisch labilen Personen verwendet", so der bayerische Innenminister Bruno Merk am 5. Dezember 1969 bei einer Fragestunde im Landtag.
"Und dös soll a Rauschgift sein?"
In seiner umfassenden Kulturgeschichte "Von Hanf ist die Rede" berichtet der Autor Hans-Georg Behr von einer Begegnung im bayerischen Thalhausen: Die einheimischen Bauern am Stammtisch vom Dorfwirtshaus beäugen die anwesenden Hippies auf Durchreise skeptisch. "Und a Haschisch rauchen die sicherlich aa no", habe einer der Bayern zum Autor geknurrt, um anschließend nachzufragen, was das eigentlich für ein Zeug sei. Die Bauerngesichter seien von seiner Antwort sichtlich überrascht gewesen: Hanf oder das "Kraut" hätten sie ja in ihrer Jugend selbst noch geraucht. "Und dös soll a Rauschgift sein?", habe der Obmann der Freiwilligen Feuerwehr gestaunt. Eine Karte zu den deutschen Hanfbaugebieten von 1942 verdeutlicht, wie verbreitet die Pflanze in ganz Bayern noch vor dem Zweiten Weltkrieg war.
Bürokratische Hürden beim Hanfanbau
Heute kommt der Hanfanbau auch in Deutschland allmählich wieder in Schwung. Landwirte wie Daniel Baumann und Markus Ludwig Kneißl entdecken die alte Kulturpflanze wieder und bauen Nutzhanf an, dessen THC-Gehalt, der die berauschende Wirkung hat, minimal ist. Im niederbayerischen Mamming stellen sie daraus Lebensmittel und Kosmetikprodukte her – trotz des bürokratischen Aufwands, den sie dafür betreiben müssen. Denn auch der Anbau von Nutzhanf ist stark reglementiert: "Die größten Hürden sind im Prinzip, dass wir den Hanf-Anbau beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft anzeigen müssen", erklärt Baumann. "Die überprüfen, dass wir zugelassene Sorten verwenden, dass genau auf dem gemeldeten Acker angebaut wird und sie kontrollieren stichprobenmäßig die Sorten, ob der THC-Gehalt wirklich unter 0,2 Prozent liegt."
Zudem muss das Saatgut immer neu zugekauft werden, um den niedrigen THC-Gehalt zu gewährleisten. Dabei ist gerade Hanf extrem vielseitig verwendbar: zur Papierherstellung, als Textil, Dämmmaterial, für Lebensmittel, Kosmetika – und nicht zuletzt auch als Nährstoff-Lieferant für den Ackerboden: "Der Ursprungsgedanke war, unsere Ackerböden fruchtbarer machen, damit wir auch in Zukunft noch hochwertige Lebensmittel in unserer Region erzeugen können", sagt Baumann. "Und das geht nur, wenn wir aktiv Humus-Aufbau betreiben. Und Hanf ist für uns da eine Schlüsselpflanze." Mittlerweile ist Bayern auch wieder das zweitgrößte Anbauland für Hanf nach Niedersachsen in Deutschland. Waren es 2018 noch 203 Hektar Anbaufläche in Bayern, wurden 2021 schon 843 Hektar bewirtschaftet. Bei einem anderen Hanfgewächs, dem Hopfen, klappt es mit dem Anbau in Bayern ja letztlich auch ganz gut.
Legalisierung: Was heißt das genau?
Und wenn jetzt die Legalisierung kommt, stehen Landwirte wie Daniel Baumann schon in den Startlöchern, um medizinisches Cannabis anzubauen? Nicht ganz. Der Legalisierung stehe man sehr aufgeschlossen gegenüber. Ihnen geht es aber vor allem um das allgemeine Bewusstsein der Menschen für die Pflanze Hanf – weg von der Stigmatisierung. "Uns würde es als Landwirte mehr helfen, wenn man die THC-Obergrenze von 0,2 Prozent auf 0,3 Prozent oder ein Prozent erhöht." Denn für medizinisches Cannabis seien die Anforderungen viel zu hoch und für einen normalen Landwirtschaftsbetrieb nicht zu stemmen.
Insofern stellen sich zur Legalisierung noch viele Fragen: Wie genau soll legalisiert werden? Nur der Konsum oder auch der Anbau? Und Anbau von medizinischem Cannabis nur in Hochsicherheitstrakten von internationalen Konzernen, wie es derzeit der Fall ist?
Robert Feustel sieht eine breite Diskussion und viel Aufklärung als Grundvoraussetzung für eine Legalisierung. Das sei bei Cannabis der Fall, die Droge sei "enkulturiert", also Teil unserer Kultur geworden. "Wenn Legalisierung", fügt er an, "dann aber konsequent. Nicht nur den halben Weg der Entkriminalisierung gehen. Das ist vielleicht ein erster Schritt, aber das Ziel müsste schon sein, von mündigen Bürgerinnen und Bürger auszugehen, die wissen, was sie tun." Die geplante Cannabis-Legalisierung könnte vor allem auch eine Chance sein, Hanf wieder als das zu begreifen, was es immer war: immaterielles Weltkulturerbe.