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Glosse Wie Politik und Medien mit viel Pathos versuchen, die Fußball-EM aufzuhypen

Krieg, Klimakrise, Rechtsrutsch – ist jetzt egal, denn es ist EM!! Das Fußballturnier soll die gespaltene Gesellschaft zusammenbringen. Um das nötige Pathos unter die Leute zu bringen, wurde viel in die Wege geleitet – und so manch Kuriosität kreiert.

Von: Dominik Kalus

Stand: 13.06.2024 | Archiv

Fußball-Fans der deutschen Nationalmannschaft | Bild: picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopress

Kann die EM Olaf Scholz retten, fragt die Zeitung Der Freitag. Wie man AC/DC und Deutschland gegen Ungarn gleichzeitig erleben kann, analysiert der Rolling Stone. Alle reden jetzt vom „Sommermärchen“, von der großen Hoffnung, dass das Turnier auf magische Weise alle gesellschaftlichen Gräben überwindet, dass es ein – in den Worten von Turnier-Direktor Philipp Lahm – „ein geschlosseneres Deutschland wieder geben wird“.

Die EM – ein Friedenszeichen für die Welt?

Ja, Kriege in sehr naher Ferne, Rechtsextremismus, Klimakatastrophen – das alles muss jetzt Nebensache werden, wenn die schönste Nebensache der Welt einen Monat zur Hauptsache wird. Geht es nach Außenministerin Annalena Baerbock, dann soll das Fußballturnier noch viel mehr retten als den Kanzler und die deutsche Gesellschaft: Den ganzen Kontinent und die freie Welt. Ein „Friedenszeichen“, könne sie sein, die EM, sagte Baerbock in der ARD-Dokumentation „Deutschland. Fußball. Sommermärchen 2024?“.

Damit das auch alles so kommt, ballerten die Mediatheken eine epische Fußball-Doku nach der anderen raus. In München ist für die vom Fußball so oft an die Wand gespielte Kunst jetzt Geld da, ja, im „Stadion der Träume“ werden eigens Theaterstücke geschrieben und aufgeführt – sofern sie denn irgendwie mit dem Thema Fußball zu tun haben.

Das Fanfest für jeden konnte sich nicht jeder leisten

Sänger Mark Forster beim Fan Fest in München

Um wirklich jede und jeden anzustecken mit dem Fußballfieber, wurde zwei Tage vor dem ersehnten Eröffnungsspiel noch das sogenannte „Fan Fest“ auf der Münchner Theresienwiese hochgestampft. Da standen ein Ed Sheeran im Englandtrikot, Nelly Furtado und die Deutschen Ed Sheerans Mark Forster und Tim Bendzko auf der Bühne. Für jeden was dabei, könnte man sagen – oder weniger wohlwollend: Der kleinste gemeinsame Nenner. Jedenfalls haben sich nur 60.000 von 90.000 angedachten Tickes verkauft– was vielleicht daran lag, dass der ursprüngliche Ticketpreis ab 95 Euro doch nicht für jeden Geldbeutel etwas war. Oder daran, dass Musik und Fußball halt doch zwei paar Schuhe sind. Wie es die Abendzeitung ausdrückt: „Genauso irritierend wäre es, zwei Tage vor dem Anstich auf dem Oktoberfest die Allianz Arena zu mieten, dort einen großen Poetry Slam mit internationalen Szene-Größen einzuladen und das Ganze Wiesn-Auftakt' zu nennen."

Freien Eintritt gibt es dafür bei den offiziellen Public-Viewing -Fanfesten, zu denen jede Ausrichterstadt von der UEFA verpflichtet wurde. Die UEFA holt sich das Geld aber wieder rein, und verlangt von den Städten die Einnahmen aus dem Ausschank. Als ob die Stadionstädte mit Millionenausgaben für Infrastruktur und Sicherheit nicht schon genug draufzahlen würden. Aber die Städte scheint das nicht zu stören. Stuttgart hat die Parole „Die ganze Stadt ein Stadion“ ausgegeben. Ob das jetzt bedeutet, dass man in ganz Stuttgart keine mitgebrachten Getränke trinken darf und keine Taschen dabeihaben darf, die Größer als ein DIN-A4-Blatt sind?

Die UEFA muss selbstverständlich keine regulären Steuern zahlen

Ob Albärt, das UEFA-Maskottchen 2024, für ein "geschlosseneres Deutschland" sorgt, ist noch nicht erhoben worden

Der deutsche Staat agiert jedenfalls ganz widernatürlich und lässt allerhand Ausnahmen zu, um die landesweite Fußball-Fan-Fete möglich zu machen: Lärmschutz-Verordnungen gelockert, Nachtflug-Verbote für ausländische Fans außer Kraft gesetzt – und selbst auf der heiligen Theresienwiese ist es ausnahmsweise okay, dass kein mit Münchner Wasser gebrautes Bier fließt – sondern das Gebräu des offiziellen Bier-Sponsors Bitburger. Ach, und regulär Steuern zahlen muss der Turnierveranstalter, die UEFA, auch nicht – eine Bedingung dafür, dass das potentielle Sommermärchen 2.0 hier überhaupt stattfinden darf. Ja, das Runde muss ins Eckige, und das Rechteckige (also die Geldscheine) an die UEFA, denn natürlich ist das Sportfest ein Milliardengeschäft – bei dem der Ausrichter Bedingungen diktiert.

Nur die eine ganz große entscheidende Bedingung, dass sich Deutschland im Sommermärchen vereint, die kann leider niemand garantieren: Dass die Nationalmannschaft überhaupt abliefert, und nicht wieder in der Vorrunde ausscheidet. Was dann im Land los ist, mag ich mir jetzt nicht vorstellen.