Georgische Band Bedford Falls im Interview “Wir werden nicht aufgeben, weil das ist unsere Zukunft, über die wir hier reden.”
In Georgien wurde gewählt und die aktuelle russlandnahe Regierungspartei “Georgischer Traum” hat über 50% der Stimmen bekommen. Viele Menschen im Land, darunter auch die Präsidentin, wollen dieses Ergebnis nicht anerkennen. Wir haben mit Dato Jikia, dem Sänger der Band Bedford Falls, über die große Demonstration nach der Wahl und über die Lage der jungen Menschen und der Musikszene gesprochen.
Die Regierung in Georgien ist seit zwölf Jahren an der Macht und gilt mit ihrem Spitzenkandidaten, dem Milliardär Bidsina Iwanischwili, als nationalkonservativ und russlandnah. Die Präsidentin von Georgien, Salome Surabischwili, will jedoch das Ergebnis nicht anerkennen, genauso wie mehrere proeuropäische Oppositionsbündnisse, und es gab gleich am darauffolgenden Tag eine große Demonstration dagegen in Tiflis.
Dato Jikia ist Sänger von der Band Bedford Falls, die vor allem in Georgien, aber auch international immer größere Beliebtheit genießt. Er ist 28 Jahre alt und sagt, dass alle Mitglieder der Band schon seit ihrer Jugendzeit politisiert sind. Wir haben uns mit dem jungen Musiker über die Stimmung unter den jungen und musikschaffenden Menschen in Georgien unterhalten.
Zündfunk: Wie ging es dir und deinen Bandmitgliedern direkt nach der Wahl?
Dato Jikia: Am Tag vor der Demonstration war die Stimmung schon ziemlich unerträglich. Wir haben sehr lange auf diese Wahl gewartet. Es gab ja schon eine große Demonstration im Frühling, wo wir die ganze Nacht draußen geblieben sind. Weil sie damals das “Foreign Influence Law” verabschiedet haben, dass es keine nichtstaatlichen Organisationen im Land geben darf. Weil diese, wie sie behaupten, westliche Propaganda verbreiten würden. Dabei war es die Regierung, die mit Propaganda Stimmung gegen LGBTQ gemacht hat. All diese verrückten Sachen haben uns sehr lange auf diese Wahl warten lassen. Aber dann hat der “Georgische Traum” 54% der Stimmen bekommen, was verheerend für uns ist.
Es wurde dann zum Protest aufgerufen. Du warst auch da. Wie hast du denn die Stimmung auf der Demonstration empfunden?
Die Stimmung war überwältigend. Vor allem, weil es einfach so viele Menschen waren. Man konnte es auf Drohnenaufnahmen sehen, etwa 100 000 Menschen sollen gekommen sein. Wir werden auch jederzeit wieder rausgehen, wenn es eine Demonstration gibt, weil wir schon wieder unserer Stimme und des wahren Ergebnisses beraubt wurden.
Die Präsidentin hat von Einschüchterung und einer “russischen Spezial-Mission" am Wahltag geredet. Wie lief der Wahltag für euch ab?
Die meisten jungen Menschen haben versucht, die anderen zu motivieren, zur Wahl zu gehen, weil das letzte Jahr sehr politisch für uns wurde. Wir wollten einen Wandel in der Politik erzwingen und hatten eine Wahlbeteiligung von etwa 60%, was wirklich viel für uns ist. Wir waren voller Hoffnung, als wir die Prognosen von Edison Research gesehen haben, die nur etwa 40% für die Regierungspartei prognostiziert haben. Edison Research machen das schon seit Jahren und haben sich bisher nur um etwa ein bis drei Prozent verrechnet. Aber dann haben sie sich um 15% vertan, was es noch nie gegeben hat. Da wurden wir natürlich sehr wütend, weil sich das so unwirklich angefühlt hat. In manchen ländlichen Dörfern und Gegenden soll die herrschende Partei 88% der Stimmen bekommen haben. In dieser Situation sind 88% einfach unglaubwürdig. Natürlich zweifeln wir da die Ergebnisse an! Am Dienstag hat sich dann auch noch die Organisation, die die Wahlen organisiert, geweigert, Details zu den Wahlen herauszugeben.
Für wie gefährlich hältst du denn die aktuelle Regierungspartei – abseits von der Nähe zu Russland?
Es gibt tatsächlich eine florierende queere Szene in Georgien. Es gibt private Events, wo wir selbst schon oft waren, die großartig sind. Sie haben ihre eigene Community, die oft von nichtstaatlichen Organisationen gefördert wird. Und diese Organisationen werden jetzt wohl größtenteils verboten, weil die aktuelle Regierung sehr gegen LGBTQ ist. Kulturell bedeutet das auch, dass wir keine Nacktbilder von Menschen, keine Liebesszenen und all das zeigen. Erinnert ihr euch an den Freddie Mercury Film? In Russland und China haben sie die Szenen herausgeschnitten, wo man sieht, dass Freddie Mercury schwul ist. Solche Dinge werden dann auch hier passieren.
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Bedford Falls - KINO
Georgien und vor allem Tbilisi ist auch bekannt für eine aufstrebende elektronische Musikszene, gerade die Nachtclubs sind über die Grenzen bekannt. Wie denkst du würde die neue Regierung diese Szene beeinflussen?
Das kann ich nicht genau sagen. Die Regierung hat 2018 schon einmal einen Nachtclub mit S.W.A.T.-Teams geräumt. Die Clubszene hat die Bewegung gegen die “Georgischer Traum”-Partei politisch oft unterstützt. Sie sind die kulturellen Knotenpunkte für junge Menschen in Georgien, um sich auszuleben ohne immer diesen “Big Brother”, diesen Überwachungsstaat, um sich zu haben. Ich glaube nicht, dass die Regierung die Clubs schließen würde. Ich denke, solche Schritte werden sehr viel langsamer und sehr viel ruhiger angegangen, um die Menschen nicht noch mehr zu verärgern.
Sind denn noch mehr oder auch andere Formen des Protests geplant?
Das weiß ich noch nicht. Die Präsidentin hat von der regierenden Partei gefordert, dass sie internationale Untersuchungen zulassen sollen. Sowohl die USA, als auch viele EU-Länder haben dazu aufgerufen. Wir haben gehofft, dass darauf eingegangen wird, aber sie haben sich geweigert zu kooperieren. Wir können also nur warten. Es ist ziemlich traurig, weil es keine gerichtliche Möglichkeit gibt, sie zu stoppen. Das heißt, dass unser Kampf verloren ist und unsere Stimmen nicht gehört werden. Das ist auch der Grund, warum wir auf die Straße gehen, damit die Menschen in Georgien und in Europa sehen, dass es viele von uns gibt, die dieses Ergebnis nicht anerkennen.
Hast du vor, etwas mit deiner Band zu unternehmen? Wird es einen Song geben?
Bedfordfalls bestehen aus Dato (Gesang), Mikho (Gitarre), Migro (Bass) und Sandro (Schlagzeug und Backing Vocals)
Ich persönlich finde politische Lieder cringe, wir werden also wahrscheinlich keinen Song direkt darüber schreiben. Aber wir sind sehr viel auf Social Media aktiv und haben sehr viel mit unseren Fans darüber geredet. Es fühlt sich so an, als ob wir nicht viel mehr machen können. Aber wir fühlen uns schon sehr viel ruhiger als am Sonntag. Das war ein sehr deprimierender Tag.
Was genau hat dir da geholfen?
Es hat sich einfach gut angefühlt, nicht alleine zu sein. Wenn du all deine Freunde mitdemonstrieren siehst, zusammen mit 100 000 Menschen. Wenn du die Unterstützung von westlichen Staatsoberhäupten siehst, die sich weigern mit der "Georgischer Traum” Regierung zusammenzuarbeiten. Nach der Wahl kam mit Viktor Orban das einzige Oberhaupt eines EU-Landes, der die Regierung hier unterstützt. Natürlich nur, weil er selbst ein Alt-Right-Politiker ist. Und die Menschen hier haben ihn sehr heftig ausgebuht und er musste in ein Restaurant oder so fliehen. Der Kampf geht weiter! Ich weiß nicht, was der Plan ist, aber wir werden auf jeden Fall ein Teil davon sein. Kulturell, physisch, persönlich, im Internet, auf den Straßen und wo immer er stattfinden wird. Wir werden nicht aufgeben, denn das ist unsere Zukunft, über die wir hier reden. Und wir haben es hier mit einer großen Bedrohung zu tun, nämlich der Isolation vom kompletten Rest der Welt.