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Regisseur Yorgos Lanthimos Verstörender als seine Bilder sind seine Geschichten über Machtmissbrauch – weil sie wahr sind

Nur ein halbes Jahr nach "Poor Things" bringt Yorgos Lanthimos mit "Kinds of Kindness" seinen nächsten Film mit Emma Stone in die deutschen Kinos – und legt wieder einmal schonungslos und bildgewaltig die Machtverhältnisse unserer Gesellschaft offen.

Von: Monika Rathmann

Stand: 05.07.2024

Yorgos Lanthimos am Set mit Emma Stone. | Bild: © Searchlight Pictures/Entertainment Pictures/ZUMAPRESS.com

Hinweis: Dieser Text enthält kleine Spoiler zu "Kinds Of Kindness".

Noch bevor die erste Kameraeinstellung von "Kinds of Kindness" gezeigt wird, setzt Sweet Dreams (Are Made Of This) von den Eurythmics den Ton für die folgenden 165 Minuten. Für Erbrochenes, eine herausgeschnittene Leber und Autounfälle. Aber vor allem für Machtmissbrauch. Yorgos Lanthimos nimmt die Zuschauer in seinem neuen Film erneut mit in eine skurrile Welt. Nahtlos reiht sich "Kinds of Kindness" damit in seine Filmographie ein: Von "Dogtooth" über "The Lobster" bis zu "Poor Things" zeigt er Welten, die man erstmal verdauen muss.

Der Episodenfilm erzählt mit wiederkehrenden Schauspieler*innen drei separate Geschichten. Die erste Episode dreht sich um einen Mann, dessen Leben bis ins kleinste Detail von seinem Chef bestimmt wird. Im zweiten Teil sehen wir Daniel, gespielt von Jesse Plemons, der glaubt, seine Frau sei durch eine andere Person ersetzt worden. Zum Schluss ist Emily, gespielt von Emma Stone, als Sektenmitglied auf der Suche nach der Heilsbringerin.

Yorgos Lanthimos versteckt in seinen Bildern Geschichten über Macht

Wer sich auf Lanthimos‘ Geschichten einlässt, erkennt, weshalb der Regisseur in den letzten Jahren den Sprung nach Hollywood geschafft hat. Verpackt in mindestens irritierende, oft sogar schockierende Szenen kommentiert er immer wieder Machtverhältnisse in intimen Beziehungen. Allein seine letzten drei Filme fokussieren sich primär auf das Thema.

Sarah Margaret Qualley, Jesse Plemons und Willem Dafoe am Kuscheln in "Kinds of Kindness".

In "The Favourite" kämpfen zwei Hofdamen um die Gunst von Queen Anne. Klar ist dabei immer, welches Kalkül dahintersteckt. Sarah führt von der Seitenlinie das Land, die verarmte Abigail erhofft sich einen gesellschaftlichen Aufstieg. In "Poor Things" lernt Bella Baxter gerade erst die Welt kennen, als Männer schon darüber entscheiden, wen sie heiraten soll. Und jetzt, in "Kinds of Kindness", induziert ein Chef Fehlgeburten, eine Frau schneidet sich die Leber aus dem Bauch und ein Guru schickt seine Sektenmitglieder bis zur Bewusstlosigkeit in die Sauna.

Sex als Machtinstrument

Diese Machtverhältnisse überträgt Lanthimos automatisch auf feministische Debatten. Besonders deutlich wird das, wenn er Sex als Motiv wählt. In "The Favourite" sehen wir, wie Sarah mit der Queen schläft und Abigail es ihr nachtut, als sie von den beiden erfährt. Gleichzeitig schläft diese aber auch sichtlich angeekelt mit einem adeligen Verehrer, damit er sie heiratet.

In "Poor Things" ist Sex ein noch viel schockierenderes Element. Bella ist mental noch ein Kind, als sie beginnt, Sex für sich zu entdecken. Die Männer, mit denen sie schläft, müssten da eigentlich innehalten. Nicht zu Unrecht haben viele Zuschauer*innen kritisiert, der Film sei effektiv Kinderpornografie versteckt im Körper einer erwachsenen Frau.

Sweet Dreams? Eher Albträume.

Verstörender als die Ekelszenen sind die alltäglichen Machtdynamiken: Szene aus "Kinds of Kindness".

In "Kinds of Kindness" erreicht Sex seinen erschütterndsten Einsatz in der dritten Episode. Emily besucht ihren Ex-Partner außerhalb der Sekte. Dieser verabreicht ihr KO-Pulver und vergewaltigt sie. Die Konsequenz ist nicht etwa die Ahndung des sexuellen Übergriffs, sondern ihr Ausstoß aus der Sekte – sie gilt jetzt als unrein. Sweet Dreams? Eher Albträume.

Hier zeigt sich, was auch Lanthimos' neuen Film so relevant macht: Das wirklich Verstörende sind nicht die ekligen Bilder, die er zeichnet. Sondern die alltäglichen Dynamiken, die sich darin verstecken. Männer bestimmen, wen eine Frau heiraten soll, mit wem sie schläft, ob sie Kinder zeugen darf. Emilys Ex-Partner entschuldigt sich nach der Vergewaltigung damit, dass er sie einfach sehr vermisst habe.

Lanthimos blickt zynisch auf die Welt

Nur selten lehnt sich jemand gegen den Status Quo auf – und wenn doch, wie Bella Baxter in "Poor Things", scheitern sie am Ende doch. So bleibt in allen Filmen Lanthimos' Fazit: Menschen manipulieren und missbrauchen ihre Stellung, der Rest lässt es geschehen. Das ist ein ziemlich zynischer Blick auf die Welt, aber sicher kein falscher, wenn Trump selbst nach dem Schuldspruch zu einem sexuellem Übergriff noch Präsident der USA werden darf.

"Kinds of Kindness" läuft ab 4. Juli 2024 im Kino.