Bayern 2 - Zündfunk

Meinung Als dicke Frau ist die neue Staffel Bridgerton für mich eine Art Befreiungsschlag

Die erfolgreiche Netflix-Serie Bridgerton ist bekannt für große Liebesbekenntnisse und spicy Sex-Szenen. In der neuesten Staffel geht es nun für eine Frau zu Sache, die für viele nicht dem Schönheitsideal entspricht: Sie ist dick, klein und nerdig. Doch genau so ein Vorbild hätte unsere dicke Autorin in ihrer Teenagerzeit gebraucht.

Stand: 19.06.2024

Die irische Schauspielerin Nicola Coughlan und Zündfunk-Autorin Alba. | Bild: dpa/Alba Wilczek

Dieser Text enthält Spoiler zur aktuellen "Bridgerton"-Staffel.

Ich kann mich noch gut an die erste explizite Sex-Szene erinnern, die ich in einem Film gesehen habe. Ich war 14, saß nach der Schule bei helllichtem Tag auf dem schwarzen Ledersofa in unserem Wohnzimmer und beschloss, mir diesen einen Film reinzuziehen, den ich schon länger im DVD-Regal meines Vaters entdeckt habe: Cruel Intentions, der 90ies Klassiker. Ein blutjunger Ryan Philippe und eine ebenfalls blutjunge Reese Witherspoon zusammen im Bett. Keuchend, küssend und dazu der Song “Colorblind” von den Counting Crows.

Ryan Philippe und Reese Witherspoon in "Cruel Intentions".

Eine ziemlich coole "erste Sex-Szene", wenn ich jetzt darauf zurückblicke. Aber eine, die mir im Nachhinein mehr Kopfzerbrechen brachte, als ich in diesem Moment ahnte. Denn so wie Reese Witherspoon sah ich damals nicht aus. Und noch viel weniger in den Jahren danach. Ich bin dick. Seit meiner Teenagerzeit. Seit ich 14 bin. Und es sollte es weitere 14 Jahre dauern, bis ich das erste Mal eine solche Szene in er populären Mainstream-Serie sah, in der jemand so aussieht wie ich.

Bridgerton schafft Repräsentation

Lange habe ich hingefiebert auf die dritte Staffel der Netflix-Serie “Bridgerton”. Irre gut fand ich es, wie die Showmacher schon die ersten zwei Staffeln versuchten, eine Kostüm-Serie zu produzieren, die Repräsentation für diverse Menschen schafft. Schwarze Menschen, Frauen, Queere People. Die Handlung in der Serie ist fiktiv, spielt aber, wenn man so will, in der Londoner High Society des frühen 19. Jahrhundert. Eigentlich eine Zeit voller Kolonialismus und Sexismus. Die Serie aber schafft es, Rassismus durch Cast und Handlung so gut wie nicht abzubilden.

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Bridgerton: Staffel 3 | Offizieller Trailer | Netflix | Bild: Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz (via YouTube)

Bridgerton: Staffel 3 | Offizieller Trailer | Netflix

Dazu dominieren Frauen, mit starken und prominenten Storylines die Handlung. Es werden Dinge wie die weibliche Lust und sexuelle Aufklärung besprochen, aber auch Selbstbestimmtheit und ja, sogar Klassismus auf eine Art und Weise. So beobachten wir immerhin jede Staffel erneut, wie Mütter ihre Töchter teilweise an den Mann bringen MÜSSEN, damit die finanziell abgesichert sind und nicht verarmen.

In jeder Staffel folgt “Bridgerton” einer weiblichen Hauptfigur auf dem Weg zu ihrem individuellen Happy End und in Staffel 3 ist das: die eher unscheinbare Penelope Featherington, gespielt von der irischen Schauspielerin Nicola Coughlan (“Derry Girls”). Coughlan ist klein, blond, hat ein rundes Gesicht und wird von den meisten als dick gesehen, also "dick gelesen”. Das sind Body-Features, die in der Filmindustrie oft dazu führen, dass die Person in eine Klischee-Rolle (“Die Unscheinbare”) gesteckt wird.

Dicke Rollen erfüllen oft Klischees

Schauspielerin Nicola Coughlan und ihr Co-Star Luke Newton.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich finde Nicola Coughlan wunderschön. Wie könnte ich auch anders? Sie ist mein Celebrity-Twin (siehe Titelfoto). Aber wie ich - entspricht sie in den Augen der Gesellschaft nicht dem gängigen Schönheitsideal, sie wird von den meisten als dick gelesen. Und die Darstellung von Dicken und Fetten Charakteren in der Filmgeschichte folgt einem Muster. Oft erfüllen sie bestimmte Stereotypen oder Zwecke. Zum Beispiel die freundliche Freundin oder Tante, die gute Ratschläge parat hat und Witze reißt, wie Sookie in Gilmore Girls. Oder der sanfte Gigant, der den Hauptcharakteren zum Sieg verhilft, wie Hodor in Game Of Thrones.

Und natürlich der Klassiker: Das Glow-Up. Eine Protagonistin ist dick, hat vermeintlich keinen Style und ein scheiß Leben. Dann aber verliert sie Gewicht, wird geschminkt und bearbeitet - und alles wendet sich zum Guten. Fast so wie bei Bridget Jones. Der Film, bei dem uns die Briten damals weis machen wollten, dass Reneé Zellweger mit 10 Kilo mehr “zu dick” für irgendwas sei. Oder wie der Film “Dumpling”, in der die dicke Hauptfigur am Ende den hotten Boy abbekommt.

Wenig Sichtbarkeit

Bridgerton-Macherin Shonda Rimes.

Hinzu kommt, dass diese oft problematischen Stereotype immer wieder von normgewichtigen Schauspieler*innen in Fat Suits dargestellt werden, also in Anzügen, die sie Dicker machen. Dicke Schauspieler*innen kommen also oft zu kurz. Nur wenige sind wirklich sichtbar auf Leinwänden, die Repräsentation fehlt und dazu gehen Realitäten verloren. Das Leben als Dicke Person wird oft negativ und nur als ungewollter Zwischenzustand dargestellt, verfälscht, und in plumpe Klischees verpackt. Und ehrlich gesagt: lange sah das auch bei Nicola Coughlan und ihrer Rolle so aus. 

Penelope Featherington ist eine kleine, blonde, dicke und unsichere Frau, die zwar von Mitmenschen als Freundin und Vertraute geschätzt wird, aber absolut keinen Erfolg auf dem Heiratsmarkt hat und ständig abgewertet wird - sogar von ihrem Crush: Colin Bridgerton, gespielt von Luke Newton. Der lässt noch am Ende von Staffel 2 verlautbaren, dass er sie ja nie und nimmer heiraten würde. Und warum? Vermutlich, weil sie nicht dem Schönheitsideal entspricht. Und so ist Penelope Featherington zwar sichtbar für ihre Texten und ihre Vetrauenswürdigkeit – aber unsichtbar als Frau und potenzielle Braut. Bis jetzt.

Ihr Gewicht spielt keine Rolle

Nicola Coughlan in ihrer Rolle als Penelope Featherington.

Tatsächlich bekommt die Rolle in Staffel 3 ganz klischee-mäßig auch ein kleines Glow Up: Andere Hairstyles, neue Kleider, neues Make-Up. ABER: sie nimmt nicht ab (so wie im Buch zu “Bridgerton”). Die Macherinnen haben sich bewusst dagegen entschieden. Endlich darf Nicola Coughlan ihre Rolle als die schöne, erfolgreiche und begehrenswerte Business-Frau darstellen, die sie schon immer war. Penelope Featherington verdient einen Haufen Kohle mit dem Klatsch-Blatt “Lady Whistledown”, und hält die komplette High Society in Atem. Der Atem, der ihrem Crush Colin Bridgerton im Halse stecken bleibt, als er endlich rafft, was für einen Diamanten er die ganze Zeit übersehen hat.  

Und so sitze ich also 14 Jahre nach Cruel Intentions wieder vor dem Fernseher und sehe mit ungläubigen Augen, wie Colin (ein normschöner Mann) sich über Penelope (eine für viele nicht normschöne Frau) in einer Kutsche hermacht. Oder wie er sie vor einem Spiegel auszieht und beide stöhnend und küssend ihr erstes Mal auf einer Recamiére verbringen. Das Besondere: Gewicht oder der Körper von Penelope Featherington sind in diesen Szenen kein Joke oder müssen als Drama-Element für die Geschichte herhalten. Ähnlich wie mit dem Thema Rassismus, spielen sie in “Bridgerton” schlicht und ergreifend keine Rolle. Stattdessen wird einfach drauf gehalten. So ästhetisch und schön wie immer.

Wir sind nicht das Problem

Am Ende wird geheiratet.

Ich bin überzeugt: Genau das hätte mir als 14-Jährige wahnsinnig geholfen. Solche Szenen zu sehen. Es hätte mir viel früher viel mehr Selbstbewusstsein gegeben – gerade in Momenten der Intimität - wahrscheinlich sogar den ein oder anderen verletzenden Satz erspart. Bisher musste ich als dicke Frau feministische Pornos schauen, um mich repräsentiert zu fühlen (“Muse” von Sylvia Borges, sehr zu empfehlen). Jetzt kann ich auf einem weniger tabuisierten Streaming-Dienst einschalten.  

Mit der 3. Staffel normalisiert “Bridgerton” Sex für eine Gruppe, die sich in unserer Gesellschaft jeden Tag Mist anhören und mit Diskriminierung umgehen müssen: Dicke Single-Frauen. Wir werden gebodyshamed, gefriendzoned, intellektualisiert und klein gemacht. Dabei verdienen wir das Gegenteil. Das “Bridgerton”-Treatment. Eine spicy Lovestory im Mainstream-TV, die uns bestätigt: Wir sind auch hot und begehrenswert! Wir haben auch Sex! Die weiß: Das Problem ist nicht unser Gewicht, sondern verinnerlichte Denkweisen und die Fettfeindlichkeit der Gesellschaft.