Nailart und Feminismus Sind lange Fingernägel mehr als nur Popkultur?
Früher Statussymbol, heute Mainstream: Nailart hat in den letzten Jahren wieder einen regelrechten Hype erfahren. Trotzdem sind lange und bunte Fingernägel noch immer mit Vorurteilen behaftet. Taugen sie deshalb als Symbol der Selbstbestimmung oder bedienen sie doch nur ein rückständiges Frauenbild?
Studios schießen aus dem Boden, auf TikTok erreichen Videos millionenfache Aufrufe und Künstlerinnen wie Cardi B oder Badmómzjay machen sie zu ihrem Markenzeichen: die Rede ist von Nägeln, besser gesagt von künstlich verlängerten Nägeln. Vor ein paar Jahrzehnten vielleicht noch als trashig und tussig angesehen, tragen Mädchen und junge Frauen sie heute mit Stolz und als Statement. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt: mit Glitzersteinchen, Plüschfell oder Federn.
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Cardi B - Like What (Freestyle) [Official Music Video]
Lange Nägel mit langer Geschichte
Das Verzieren von Fingernägeln ist mit Blick auf die Geschichte aber gar nicht so neu. Denn „der Wunsch, das eigene Aussehen zu verändern ist nichts Neues oder Modernes, das haben die Leute schon immer gemacht, das ist etwas ganz Menschliches“, erklärt die Modetheoretikerin und Professorin für Modejournalismus Diana Weis im Interview. Und die Veränderungen müssen auch nicht unbedingt funktional sein: Im alten China wurden lange Fingernägel als Herrschafts- und Statussymbol getragen. Sie spiegelten die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht wider und sollten demonstrieren, dass die TrägerInnen keine körperliche Arbeit verrichten mussten.
Die moderne Geschichte von Nailart beginnt erst Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Entwicklung von Nagellack als Abfallprodukt der Autoindustrie. Nagelmodellagen, die den Look der langen künstlichen Nägel heute prägen, entstehen erst Ende der 1950er durch einen Zufall. Der amerikanische Zahnarzt Fred Slack soll seinen abgebrochenen Fingernagel mit einem Klebstoff auf der Basis von Zahnfüllungsmaterial repariert haben. Das Ergebnis war nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch und so verfolgte er die Idee weiter. Und Nageldesign entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einer kapitalistischen Schönheitsindustrie.
Der Wunsch nach selbstbestimmter Identität
In den 80er-Jahren entwickelt sich Nailart mehr und mehr zu einem Politikum. Form und Ästhetik der Nägel bestimmen den Status einer Person. Professorin Miliann Kang schreibt in ihrem Buch The Managed Hand: „Zu jenem Zeitpunkt standen French Manicure und Pastellfarben für weiße, bürgerliche, heteronorme Schönheit. Lange modellierte, mit Airbrush bearbeitete Fingernägel hingegen waren Zeichen von Blackness, sexueller Abweichung und marginalisierter Weiblichkeit.“
Dass auffällige Nageldesigns in dieser Zeit vor allem bei afroamerikanischen Frauen verbreitet sind, erklärt Diana Weis damit, dass ihre Identität stark von außen festgelegt wird und sie oft auch mit negativen Zuschreibungen konfrontiert sind. Schönheitskulturen als Form der Selbstbestimmung, Selbstgestaltung und Emanzipation sind in diesen Communities deshalb besonders ausgeprägt.
Auch Prominente, wie die Sprinterin Florence Griffith-Joyner, haben auffällige Nageldesigns getragen und damit polarisiert. Flo-Jo, wie sie auch genannt wurde, holte bei den olympischen Spielen 1984 und 1988 insgesamt drei Gold- und zwei Silbermedaillen. Sie stellte außerdem bis heute ungebrochene Weltrekorde auf. Statt ihres Talents, standen aber immer wieder ihr Aussehen und ihre Nägel im Vordergrund der klischeebehafteten Berichterstattung. „In den Vorurteilen vereinen sich Rassismus, Klassismus und Sexismus“, so Diana Weis. „Das kann man auch auf andere Formen der Selbstgestaltung übertragen. Es ist immer gleich das Vorurteil damit verbunden: die Person hat keine Bildung, keinen Geschmack und keine Klasse. Es ist auch frauenfeindlich, weil es überwiegend Aktivitäten sind, die Frauen oder weiblich gelesene Personen betreffen und ihnen Freude bringen. Und diese Dinge werden dann abgewertet.“
Lange Krallen für den Feminismus
Nailart ist Popkultur und im Mainstream angekommen, aber die Ansichten darüber gehen immer noch auseinander. Besonders zu der Frage, ob sie als feministisches Symbol taugen. Auf der einen Seite wird argumentiert, dass Nailart ein rückständiges Frauenbild bedient. Weil Frauen also so ein weiteres kapitalistisches Schönheitsideal auferlegt wird und ihre erkämpften Handlungsspielräume durch lange Nägel eingeschränkt werden. Besonders kritisch ist natürlich das System hinter dem Nagelbusiness zu sehen, in dem Menschenhandel stattfindet und ausbeuterische Arbeitsbedingungen herrschen. Dennoch können ausgefallene Nageldesigns auch als bewusster Bruch von Vorurteilen, als Form der Selbstbestimmung und als weibliches Selbstbewusstsein gesehen werden.
Diana Weis findet: „Gelnägel taugen absolut als feministisches Symbol, weil es eben auch so eine wehrhafte Weiblichkeit ist. Ich finde es übertrieben zu sagen, dass die Handlungsfähigkeit von Frauen eingeschränkt wird, weil man auch damit lernt umzugehen. Grundsätzlich finde ich es nicht feministisch, Frauen für Entscheidungen über ihren eigenen Körper zu verurteilen. Feministisch ist für mich, wenn man Leute dazu ermutigt, so zu sein, wie sie möchten.“ Und das verwirklichen Nailartist mit ihren außergewöhnlichen Kreationen, die längst auch eine eigene Kunstform sind: 2017 schaffte es beispielsweise das Nageldesign „Money Manicure“ von Bernadette Thompson ins Museum of Modern Art in New York oder 2023 zeigte die Austrian Fashion Association die Ausstellung "Nailgasm. Maniküre, Mode & Gesellschaft".