“brat summer”, Beyoncé und Kokosnüsse So könnten die Gen-Z und die Pop-Welt Kamala Harris zum Sieg verhelfen
Nach Joe Bidens Rücktritt als Kandidat sicherte sich Vize-Präsidentin Kamala Harris nicht nur die volle Unterstützung der Demokraten, sondern auch die der Pop-Welt. Mit Hilfe des Internets legte Harris den wohl größten Kickstart für eine Präsidentschafts-Kampagne jemals hin. Inklusive Erklimmung des Meme-Olymps. Eine Chronik.
"kamala IS brat”, schreibt die Musikerin Charli xcx am 22. Juli auf der Plattform X, nur ein paar Stunden nachdem US-Präsident und Präsidentschafts-Kandidat Joe Biden seinen Rücktritt aus dem Wahlkampf verkündete. Für den ein oder anderen mag dieser Post erstmal wie dadaistischer Internet-Nonsense daherkommen. Eigentlich aber markiert er einen dramaturgischen Höhepunkt, den Klimax des ur-komischen Zeitgeistes: Mit diesem Post prallt das wichtigste Pop-Thema des Sommers auf das momentan wichtigste US Politik-Thema.
Der “brat summer” trifft auf die Präsidentschaftswahl. Aber von vorne. Als Kamala Harris zur neuen Präsidentschafts-Kandidatin der Demokraten wird, fährt sie nicht nur die höchste Summe innerhalb 24 Stunden für eine Kampagne jemals ein – auch das Internet geht in Flammen auf.
Pop-Welt reagiert positiv
Innerhalb weniger Stunden sprechen unzählige US-Pop-Promis ihren Support für Harris Kampagne aus. Rapperin Cardi B zum Beispiel, die auf Instagram ein älteres Video von sich selbst teilt, in dem sie bereits Wochen zu vor rügt, dass Harris nicht von Anfang an zur neuen Kandidatin der Demokraten ernannt wurde. Oder Rapper Lil Nas X, der auf “X” schreibt: “lock in lil bro! @KamalaHarris” Oder Legende Carole King auf Threads: “Right person. Right Time. I stand with Kamala Harris”. Ja, sogar der Promi aller Promis Beyoncé steht auf Harris Seite. Einen Tag nach Bekanntgabe sickert durch, dass sie Harris Wahlkampf-Team wohl die Erlaubnis gegeben hätte, ihren Song “Freedom” für die Kampagne zu benutzen. Ein klares Zeichen für ihre Einstellung zur Wahl und ein sehr seltenes Ereignis, denn Queen Bee ist normalerweise sehr streng mit den Rechten an ihrer Musik.
Das allein könnte ein wichtiger Faktor für den Verlauf der Wahl sein: Die Macht der Popstars, den Diskurs mitzubestimmen. Ihre Plattform zu nutzen. So schlug bereits ein Gerücht hohe Wellen im Internet, dass der derzeit größte Pop-Star Taylor Swift gemeinsame Sache mit Beyoncé machen würde - für ein Kamala Harris-Support-Konzert. Heftige Fake News waren das. Ein User aber schreibt dazu: “Hier eine Idee: Taylor Swift und Beyoncé sollten gemeinsam eine Show ohne Eintritt im Central Park ankündigen - aber nur für die, die sich neu zum Wählen registriert haben.”
2024 ist "brat"
Alles in allem fuhr Harris wohl die positivsten 24 Stunden ein, die eine Präsidentschaftskandidatin je hatte. Wie ein dicker Sonnenstrahl nach wochenlang Gewitter fühlt es sich an. Und maßgeblich mitverantwortlich dafür: eine Britin. Charli xcx, die Tochter eines schottischen Vaters und einer indischen Mutter. Als Kamala Harris ihre Kampagne startet, läuft bereits der “brat”-Hype um Pop Queen Charli xcx. Am 7. Juni erschien ihr neuestes Album “brat”. Das wohl aktuell angesagteste Stück Pop-Musik des Sommers. Charli xcx steht für den sogenannten “Party Girl”-Lifestyle: Immer etwas pleite, aber trotzdem auf Achse. Von einer Party zur nächsten eilen, dabei immer eine Fluppe in der Hand haben und unprätentiöse Kleidung gemixt mit Designer-Klamotten tragen. Diesem Lifestyle hat sie mit ihrem neuen Album einen kurzen und knackigen Namen verpasst: “brat”. Auf deutsch “Göre”. Auf TikTok erklärt Charli xcx selbst, was das für sie bedeutet:
"You carry a pack of cigs, a BIC lighter and a strappy white top with no bra. You're just like that girl who is a little messy and likes to party and maybe says some dumb things sometimes,” Feminin, unperfekt und frech – das ist “brat”."
Charli xcx
Dazu passend auch das prägnante Cover der Platte: Das Wort “brat” in schwarzer unschnörkeliger Schrift auf einem giftgrünen Hintergrund. Objektiv betrachtet ein wahnsinnig langweiliges und minimalistisches Cover. Doch damit trifft Charli xcx genau den Nerv des Internets. Seit Veröffentlichung explodieren die Streaming-Zahlen von “brat”, die TikTok-Tänze sprießen nur so aus dem Boden und überall sind Referenzen auf die Songtexte zu lesen. Zum Beispiel “so Julia”, eine Textzeile aus dem Song “360” und ein neu-erfundenes Adjektiv um eine bestimmte Art von femininer Coolness auszudrücken. Die Referenz bezieht sich auf Charli XCXs gute Freundin: Julia Fox. Model, Schauspielerin und feministische Ikone für die Gen-Z. Auch sie ist “brat” - genauso wie der Sommer, den Charli xcx prompt zum “brat summer” erklärt hat, eine Art kulturelles “Motto”, frei nach dem Lifestyle, den sie selbst propagiert.
Und hier kommt wieder Kamala Harris ins Spiel. Bereits vor ihrer Wahl als offizielle Präsidentschafts-Kandidatin der Demokraten begann ein Meme-Feldzug in Bezug auf ihre Eltern durchs Internets. Auf TikTok beispielsweise ging eine alte Rede von ihr aus dem Jahr 2023 viral. Dort beschreibt sie, wie ein Mensch nicht einfach von einem Kokosnuss-Baum fiele, sondern ein Ergebnis dessen sei, was vor ihm war. Er müsse als Wesen gesehen werden, dass in Kontext seines Umfeldes, seiner Community und seiner Vorfahren stehe. Besonders auf TikTok waren daraufhin unzählige kurze Clips dieser sogenannten “Kokosnuss-Rede” zu sehen. Das Kokosnuss- und Palmen-Emojis sind seitdem das Erkennungszeichen für Harris-Supporter. Generell gingen immer wieder Videos der Vize-Präsidentin viral, sogenannte “fan cams” in denen Harris–Videos mit trendigen Songs kompiliert wurde. Auftritt: Charli xcx.
Charli xcx trifft auf Kamala Harris
Am 3. Juli geht ein Video online, in dem Kamala Harris zu xcxs Song “Von dutch” tanzt. Eine Userin schreibt darunter: “I’m not kidding, she should run this as an ad if she becomes the nominee.” Ein weiteres Video, gepostet am 5. Juli, zeigt eine lachende und tanzende Harris, während der Song “360” von Charli xcx im Hintergrund läuft. Und jedes Mal, wenn die Worte “i’m so Julia” zu hören sind, erscheint stattdessen der Satz “i’m so Kamala”. Frech. Wie auch die Caption des Videos: “brat presidency”. Bis zum 22. Juli war unklar, ob Kamala Harris und Team von diesen Memes wussten. Doch nur Stunden nach Charli xcxs eingangs erwähntem Post, trifft das "Kamala Headquarter” eine smarte Entscheidung: Auf der Plattform “X” ändern sie das Titelbild ihres Profils zu einem giftgrünen Banner mit der Aufschrift “kamala hq”, im selben Look also wie “brat”. Für das Internet bedeutet das: die US-Vizepräsidentin weiß ganz genau, was da seit Wochen online passiert. Sie sieht die Gen Z und steht am Nabel der Zeit.
Das könnte maßgeblich den Wahlkampf beeinflussen, denn Donald Trumps bisherige Kampagne war lediglich darauf ausgelegt, sich auf den gesundheitlichen Verfall Joe Bidens zu konzentrieren. Die jüngere Generation abholen? Fehlanzeige. Dazu ist Trump ein verurteilter Krimineller, der weniger durch Inhalte und mehr mit Populismus und Opfertum punktet. Opfertum, das er nun nach alle den Jahren aufgrund des auf ihn gezielten Attentats tatsächlich ausfüllt.
Natürlich werden sich die jungen Wählerinnen und Wähler nicht nur durch TikTok-Algorithmen sondern auch realpolitische Themen beeinflussen lassen. So stellt beispielsweise Journalistin Elena Moore im US-Podcast «NPR Politics» einen jungen, bisher unentschiedenen 18-Jährigen aus dem Swingstate Michigan fest, der sich klar auf Harris Seite schlagen würde, sollte sie weiterhin einen Waffenstillstand im Nahen Osten befürworten. Ähnlich populär in der jungen Wählerinnengruppe ist auch Harris Haltung bei Themen wie Abtreibung oder Black Lives Matter.
Kamala kann punkten
In den Reuter-Ipsos-Umfragewerten liegt Harris im Moment mit 44 Prozent gerade mal zwei Punkte vor Trump, so ganz lässt sich der Effekt der Gen-Z also nicht an Zahlen festmachen. Trotzdem gibt es neben all dem TikTok-Buzz zwei Auffälligkeiten: Viele der Spenden für Harris kamen von jungen Erstspenden. Dazu haben sich nach Bekanntgabe der Kampagne 40.000 neue Menschen zur Wahl registriert - die größte Zahl innerhalb 48 Stunden in dieser Wahlperiode. Die dominierende demographische Gruppe dieser Neu-Wählenden? Menschen zwischen 18 und 34. Also genau die, bei denen Kamala jetzt gut punkten kann.
Es bleibt abzuwarten, was dieses erste Momentum für Auswirkungen auf Kamala Harris Kampagne haben wird. Eine erste Rede, in der Kamala Harris verbal gegen Donald Trump austeilt ist bereits viral gegangen – so “brat” von ihr.