Album der Woche: Nick Cave Trauer ohne Pathos
Nick Cave wird zu diesem Album keine Interviews geben. Stattdessen erscheint das neue, 16. Album zusammen mit einem Dokumentarfilm, es ist Caves Form der Trauerbewältigung: Während der Aufnahmen starb sein 15-jähriger Sohn Arthur.
Nick Cave war schon immer ein Musiker, der seelische Abgründe erforschte, also das, was Menschen für gewöhnlich bei sich behalten. Und Künstler wie Nick Cave – vergleichbar sind Leute wie Hieronymus Bosch oder David Lynch – sind nun mal dazu berufen, in diese Tiefen vorzustoßen. Niemand erwartete also von „Skeleton Tree“, dem sechzehnten Album des Australiers und seiner Band „The Bad Seeds“, leichte Unterhaltung. Dass das Album nun aber noch tiefer und abgründiger geworden ist, liegt an dem privaten Unglück, das über die Familie im Juli 2015 hereingebrochen ist. Ihr 15-jähriger Sohn Arthur starb nach einem Sturz von einer Klippe in der Nähe des Caveschen Wohnhauses in Brighton, Südengland.
Das Mantra “I Need You” ist einer von mehreren Abschiedssongs, die Nick Cave auf “Skeleton Tree” untergebracht hat. Aber natürlich geht der Post-Punk-Sänger anders mit dem Thema „Verlust eines Kindes“ um, als das etwa Eric Clapton in seinem Song „Tears in Heaven“ getan hat. Die Texte auf diesem Album sind meist poetische Allegorien, in vielfältiger Weise interpretierbar. Nick Cave erzählt schon lange keine Geschichten mehr in seinen Songs, er malt eher akustische Bilder. So gibt er es jedenfalls in dem Dokumentarfilm „One More Time With Feeling“ zu Protokoll, der parallel zu den Aufnahmen des Albums entstand und der am vergangenen Donnerstag in 600 Kinos auf der ganzen Welt uraufgeführt wurde. Der Film zeigt uns Szenen aus dem Studio, Gespräche mit Nick Cave und seiner Familie, und oft reflektiert der Sänger aus dem Off über das, was ihm zugestoßen ist.
"What happens when an event occurs that is so catastrophic... that you just change."
Nick Cave in 'One More Time With Feeling'
Als Arthur Cave zu Tode stürzte, waren die meisten der acht Songs von “Skeleton Tree“ schon im Kasten. Wie immer in den letzten Jahren stand der Multi-Instrumentalist Warren Ellis Nick Cave zur Seite. Ellis hatte die musikalische Leitung, war also für das Arrangement der Songs verantwortlich. Dominantes Instrument ist das Klavier, oft ergänzt durch gelegentliche Frauenchöre, minimalistisch eingesetzte Streicher und elektronische Splitter, die dazu beitragen, der Musik eine gespenstische Stimmung zu verleihen wie in „Jesus Alone“, einem weiteren Abschiedssong.
Ein monolithisches Album
Neben „Jesus Alone“ gibt es ein paar weitere Tracks auf dem Album, die schon bald zum Kanon der ganz großen Nick-Cave-Songs gezählt werden dürften: Die Ballade „Girl in Amber“ oder das polyrhythmische „Anthrocene“ etwa, wo der Sänger eines seiner Lieblingsthemen aufgreift, die Frage nach der Schöpfung und der Anmaßung des Menschen, sich über sie zu erheben – Religiosität im Caveschen, im abgründigen Sinne.
Die knapp 40-minütige Album klingt aus mit dem Titelsong “Skeleton Tree”, das ein wenig an Paul McCartneys Demuts-Song “Let it be” erinnert, mit der Aufforderung, sein Schicksal anzunehmen, auch wenn’s noch so schwer fällt. Nick Cave wird es jedenfalls schwer haben, dieses monolithische Album noch einmal zu übertreffen.