Alben der Woche: November 2024 Unsere Alben der Woche im Überblick
"Das Format" ist ein Trio aus Augsburg und macht Post-Punk, der sich an der Schnittstelle zwischen Bands wie Die Nerven und den Idles bewegt, aber doch einen ganz eigenen grandiosen Lärm fabriziert / Father John Misty veröffentlicht sein sechstes Album "Mahashmashana" und Sofie Royers ihr 3. Elektropop-Album "Young-Girl Forever"/ Die britische Band Primal Scream präsentiert ihr reifes, soul-fulles Spätwerk der Band um Sänger Bobby Gillespie sowie Mount Eerie “Night Palace” - unsere Alben der Woche
Das Format – Das Format
Wut gegen Traurigkeit - das ist einer der Leitsätze von Das Format. Und wenn’s die Wut darüber ist, dass das - Zitat - “Panorama Restaurant schon geschlossen hat, bis wir da sind.” Wofür dieser Ausflug zum Panorama Restaurant eigentlich steht, da sind der eigenen Interpretation dann keine Grenzen gesetzt. Die Texte von Das Format sind schnörkellos, lakonisch, fräsen sich mit den noisigen Gitarrenriffs ins Hirn ein, etwa: “Wenn das deine Lösung ist / will ich mein Problem zurück”. Außerdem gibt es einen 6-Minüter auf dem Album, der ein Post-Punk-Meisterstück in Sachen Dramaturgie ist: baut sich langsam auf, dreht sich immer wieder um den Satz “Wir brauchen alle viel mehr”, und steigert sich dann zur gebrüllten Auflösung “Wir brauchen alle viel mehr Therapiestunden”.
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Das Format - Lösung (Official Music Video)
Allein diese 6-Minuten-Therapie in Songform tut schon ganz schön gut. Die drei Bandmitglieder Bruno Tenschert, Maximilian Stephan und Maximilian Wörle sind alle seit Jahren in unterschiedlichen Bandprojekten unterwegs. Tenschert kennt man auch als der Herr Polaris, Stephan spielt bei der Progressive Rockband Carpet und Wörle ist ein gut gebuchter Produzent und Mixing Engineer. Das Format haben sie 2022 gegründet - eine echte Bereicherung für die bayerische Indie-Szene. (Ann-Kathrin Mittelstraß)
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Das Format - Unzufrieden (Official Music Video)
Tracklisting
1. Liegen Lernen
2. Deine Mutter
3. Wir Wären Nicht Wir
4. Lichtmaschine
5. 14:30
6. Unzufrieden
7. Therapiestunden
8. Panorama Restaurant
9. Lösung
Father John Misty – Mahashmashana
Der Albumtitel „Mahashmashana“ ist Sanskrit und steht für die heilige Verbrennungsstätte, ein sakraler Ort. Der gleichnamige, über neun Minuten lange Opener ist dann auch mehr Monument als Song. Father John Misty sagt über ihn, er habe den Song hunderte Mal im Studio gehört - und immer wieder hätten sein Produzent und er sich zu diesem großartigen Song gratuliert. Bei jedem anderen Musiker, jeder anderen Musikerin hätte man gesagt, OMG, wie unglaublich selbstverliebt. Bei Father John Misty ist das Opulente Programm, gehört zu Father John Misty (dem ehemaligen Schlagzeuger der Fleet Foxes) wie zu keinem anderen Musiker. Genauso wie die Kontraste, die Vielfalt. Auf der einen Seite stehen da epische, orchestrale Songs mit den ganz ganz großen Melodien („Mahashmashana“, „Josh Tillman and the accidental Dose“ usw.), daneben funky Bläser („I Guess Time Makes Fools of Us All“), eher Noisiges mit Alan Sparhawk von Low an der Gitarre („Screamland“), grandioser Blues Rock à la Black Keys („She cleans up“) und klassischer Hollywood-Orchesterpop („Summer’s Gone“). Das Spektrum könnte nicht diverser sein. Dazu: Hoch komplexe Lyrics über unsere Kämpfe, unsere Auseinandersetzungen gestern wie heute, gespickt mit historischen und religiösen Anspielungen. Mal zynisch, mal humorvoll, aber, laut Father John Misty, immer auch voller Hoffnung.
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Father John Misty - Screamland (Official Video)
Den letzten Satz des Albums habe er an seine Tochter gerichtet. Hier sei alles zusammengefasst, was dieses Album ausmache. Und zwar: Unsere Zeit ist begrenzt und doch geht immer wieder alles von vorne los. Solange jemand da ist, der unsere Liebe, unseren Schutz braucht („you eat a peach, you skin your knee and time can’t touch me“). Trotz aller fast barocker Opulenz ist „Mahashmashana“ dann doch, wie ich finde, ein sehr romantisches Album. (Angie Portmann)
Tracklisting
1. Mahashmashana
2. She Cleans Up
3. Josh Tillman and the Accidental Dose
4. Mental Health
5. Screamland
6. Being You
7. I Guess Time Just Makes Fools of Us All
8. Summer’s Gone
SOFIE ROYER – Young-Girl Forever
Wer sagt denn, dass man zu persönlichen Krisen nicht tanzen kann? Das neue Album der US-amerikanischen Wahl-Wienerin heißt „Young-Girl Forever“. Wie und woran der eigene Wert einer Konsumgesellschaft bemessen wird – das treibt Sofie Royer um. Laut Sofie Royer wird uns schon früh eingeimpft, dass man an seiner Leistung gemessen wird. Also muss man auch abliefern. Sie selbst hat als Kind Geige gespielt, sie hat rhythmische Sportgymnastik gemacht und Ballett getanzt. Diese Frau weiß, was Leistung ist. Auch wenn die Sounds ab und an umschmeichelnd entspannt sind – Sofie Royer zermartert sich das Hirn auf englisch, französisch – und deutsch.
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Sofie Royer - Babydoll (official video)
Dass ihre Musik über das ständige Sich-selbst-zur-Ware-machen dabei so eingängig ist, wie kaum bisher, ist vielleicht auch ein Hinweis auf das Funktionieren in der Konsumgesellschaft? In jedem Fall ist es schlauer Pop, der auch von Royers musikalischem Wissen zeugt. Von Air und anderen französischen Producern bis hin zu Nico mögen einem beim Hören Referenzen einfallen, die Royer – die auch für das Label Stones Throw gearbeitet hat – mit Sicherheit differenziert auseinandernehmen könnte. (Katja Engelhardt)
Tracklisting
1. "Babydoll"
2. “Young-Girl (Illusion)”
3. “Nichts Neues im Westen”
4. “Keep Running (Sebastian in Dreams)”
5. Indoor Sport”
6. “Sage Comme Une Image”
7. “I Forget (I’m So Young)”
8. “Ghost Town”
9. “Tigerbunny”
10. “Lights Out Baby! (Entropy)”
11. “Saturdee Nite”
12 “Fassbinder”
LIVE
30 Nov - Berlin - Berghain Kantine
2 Dec - London - Omeara
13 Dec - Paris - New Morning
25 Jan - Vienna – TBA
PRIMAL SCREAM – Come Ahead
"Come Ahead" ("vorwärts kommen") beginnt mit Gospel und einem Stück übers Bereit-Sein fürs Abschiednehmen, seinem verstorbenem Vater gewidmet: ein ex-Labour-Politiker und Gewrkschafter in Schottland - wo Bobby herkommt. Der Sound aber ist quicklebendig und wie in den letzten Jahren ein Mix aus Disco mit Streichern, bassigem Punk-Funk und gut informiertem Indie-Pop. Bobby singt vom Auseinanderdriften der Gesellschaft, schmutzigem Geld, der Kraft der Liebe – produziert hat ihr irischer Kumpel, der inzwischen in Hollywood lebende Kumpel, DJ und Produzent David Holmes.
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Primal Scream - The Centre Cannot Hold (Official Video)
Die Fans werden das neue Album sicher mit dem Primal Scream-Klassiker "Screamadelica" vergleichen. Der Platz 3 in den Zündfunk-Charts der besten Platten der 90er belegte – nach Massive Attack und Nirvana – und unerreicht bleibt. Was weiter nicht schlimm ist: Die Band hat längst andere Qualitäten, als den Rave-Sound von damals zu wiederholen, ist nun mehr an Gemeinschaft interessiert als am Hedonismus von früher. Release-Konzert ist am 16.11. – in Mexiko (!), die Tour startet erst im April. Bisher gibt es nur UK-Daten. Aber Europa sollte folgen. So oder so. (Ralf Summer)
Tracklisting:
A1 Ready To Go Home
A2 Love Insurrection
B1 Heal Yourself
B2 Innocent Money
B3 Melancholy Man
C1 Love Ain't Enough
C2 Circus Of Life
C3 False Flags
D1 Deep Dark Waters
D2 The Centre Cannot Hold
D3 Settlers Blues
Mount Eerie – Night Palace
Der amerikanische Musiker und Songwriter Phil Elverum wurde bekannt durch seine Bandprojekte "The Microphones" und "Mount Erie". Seine Frau, auch Musikerin, starb 2016 mit 35 Jahren an Krebs - nur ein Jahr nach der Geburt der gemeinsamen Tochter. Die Vergänglichkeit und Nichtigkeit des menschlichen Daseins waren davor guter Stoff fürs Songwriting, aber danach plötzlich absurd real. Nach einer weiteren Krise - der gescheiterten kurzen Ehe mit Hollywood-Schauspielerin Michelle Williams - hat er sich zuletzt auf das für ihn Wesentliche konzentriert: seine Tochter aufzuziehen und vor allem viel Zeit in der Natur zu verbringen, er lebt auf Orca Island im Bundesstaat Washington.
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Mount Eerie - Night Palace (Full Album)
Auf seinem neuen Album als Mount Eerie, “Night Palace”, hören wir jetzt einen, der’s schafft, die Welt wieder mit Staunen zu sehen und wie alles mit allem zusammenhängt. Auf dem Song “I Saw Another Bird” sieht er nicht nur Vögel, die, wie er glaubt, seine Aufmerksamkeit suchen. Er spricht mit Fischen - die ihm ziemlich witzig antworten. Er meint, Walgesange zu hören und spielt uns zwei Minuten Rauschen vor, die man - eingebettet in dieses fantastische Album - nur hinreißend finden kann. Aufgenommen hat Elverum das Album in seinem Studio mitten im Wald. Die Natur ist auf der ganzen Platte spürbar und hörbar: Es geht ständig um Wind, Nebel, Regen, Schnee. Es ist ein Hin und Her zwischen zärtlichem lo-fi Folk und mitreißendem Indie-Noise-Rock, zwischen tollen Melodien, die von Verzerrern begraben werden und wie die Sonne hinter dem Berg wieder strahlend auftauchen.
Ein raues, episches, wunderschönes Album, mit dem man sich im Winter eingraben und nie wieder das Haus verlassen möchte. (Ann-Kathrin Mittelstraß)
Tracklisting
1. Night Palace
2. Huge Fire
3. Breaths
4. Swallowed Alive
5. My Canopy
6. Broom of Wind
7. I Walk
8. (soft air)
9. Empty Paper Towel Roll
10. Wind & Fog
11. Wind & Fog pt. 2
12. Blurred World
13. I Heard Whales (I Think)
14. I Saw Another Bird
15. I Spoke With A Fish
16. Myths Come True
17. Non-Metaphorical Decolonization
18. November Rain
19. Co-Owner of Trees
20. Myths Come True pt. 2
21. & Sun
22. Writing Poems
23. the Gleam pt. 3
24. Stone Woman Gives Birth To A Child At Night
25. Demolition
26. I Need New Eyes
26 tracks / 80:47