Das Soldatenlied „Erika" Werden Nazi-Parolen auf Social Media salonfähig?
Auf Tiktok und Instagram wird das Soldatenlied "Erika" (... auf der Heide blüht ein kleines Blümelein) oft satirisch eingesetzt, um sich über Deutschland lustig zu machen. Manchmal aber geht es dabei auch um rechtsextreme Meinung. Unser Autor recherchiert die Genese Liedes und fragt: Ist es gefährlich?
Können Katzen Nazis sein? Wer dieser Tage im Internet umherscrollt, kann sich diese Frage ernsthaft stellen. Seit einiger Zeit kursiert auf Instagram, TikTok und Co. das Video einer Katze, die ihre rechte Pfote im 45-Grad-Winkel gerade in die Luft streckt. Pathetisch ernsthaft blickt der braune Schnurrer nach oben – und zum Video ertönt das NS-Propagandalied Erika.
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Herms Niel - Erika ( auf der Heide blüht ein kleines Blümelein) +Lyrics
Der Song wird nicht nur als musikalische Untermalung für Nazi-Schnurrer verwendet, sondern auch, wenn es zum Beispiel um typisch deutsche Marotten geht. Dieser Song wird in Reels über Mülltrennung, über Pünktlichkeit, den „German Stare“, also das Anstarren anderer Menschen in der Öffentlichkeit von internationalen Content Creators unter ihre Videos gelegt.
Weiß das Internet, was es da tut?
Der Song heißt „Erika“. Und stammt eigentlich von Ferdinand Friedrich Hermann Nielebock, besser bekannt als Herms Niel. Dieser Herms Niel war ein bedeutender Marschliederkomponist in der NS-Zeit. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ist er „Obermusikzugführer“, kurz zuvor hat er „Erika“ geschrieben. Das Lied, das von einem deutschen Soldaten handelt, der seine Frau an der Heimatfront vermisst, sollte deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg beim Marschieren motivieren.
Der Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz findet dass „die großen Plattformen endlich mal in die Füße kommen“ müssen und „viel stärker entsprechende Songs wieder rausschmeißen“ sollten. Er sieht YouTube, TikTok, Instagram und Spotify in der Pflicht. Die sollten seiner Ansicht nach einen Song wie „Erika“ eigentlich gar nicht anbieten. Zwar nutzen viele das Lied ohne den genauen geschichtlichen Kontext zu kennen. Aber dann sind da eben auch die anderen: Leute, die das Lied verwenden, nicht obwohl es in der NS-Zeit ein „Hit“ war, sondern gerade deshalb.
Von harmlosen Memes ins kollektive Bewusstsein
Wer auf YouTube nach dem alten NS-Marschlied sucht, findet nicht nur Witze über deutsche Marotten oder Nazi-Katzen. Ein Musikvideo, 97-millionenfach geklickt wird mit eisernem Kreuz bebildert, ein anderes mit Fraktur-Schrift. Unter dem Video finden sich zahlreiche Kommentare, wie „Ich bin stolz, Deutscher zu sein“, „Sehr gut, das war noch Musik“ und „Dazu marschiere ich gern“ oder sogar ein Apell, der lautet: „An alle Kameraden die nicht wissen was sie wählen wollen, wählt richtig nach euerem Herz“.
Angefangen hat der Internet-Hype um „Erika“ circa 2010, später kam der Song in Computerspielen vor, bevor er dann ab 2021 vermehrt in Instagram- und TikTok-Memes auftauchte. Kira Ayyadi von der Amadeu-Antonio-Stiftung setzt sich gegen Rechtsextremismus ein sagt, es sei auch die „schiere Masse dieses Sounds“ die vor allem auf TikTok zu einer „stetigen Normalisierung und zur Bagatellisierung der Verbrechen der Nazis ganz nach dem Wunsch von Björn Höcke“ führe. Höcke fordert eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad. Genau dazu trüge Erika bei, indem man ganz unbedarft NS-Propaganda verbreitete.
Wenn es jemanden gibt, der es verdient hätte, gecancelt zu werden, dann also Komponist Herms Niel? Vielleicht. Vom Entnazifizierungsausschuss für Kulturschaffende in Hannover wurde er nach Kriegsende zwar als "Mitläufer" eingestuft, aber – so Ayyadi:
"Niel lieferte mit Kompositionen wie 'Wir fahren gegen England', 'Erika', dem 'Panzerkampflied' oder 'Wir stürmen dem Sieg entgegen' den Soundtrack für Hitlers Vernichtungskrieg und seine Lieder wurden damals vom NS-Regime gefeiert und verbreitet."
– Kira Ayyadi, Autorin an der Amadeu-Antonio-Stiftung
Ist es schon zu spät, um zu canceln?
Kann man "Erika" jetzt überhaupt noch verhindern? Auf TikTok gibt es sogar schon Techno-Remixe des Liedes. Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs sieht die Debatte etwas gelassener. Wenn "Erika" mit dem entsprechenden Kontext zum Beispiel im Geschichtsunterricht erklärt werden würde, könne man den Song ruhig anhören, um sich politisch zu bilden. Hindrichs besorgt eher, wie selbstverständlich "Erika" zitiert wird.
"Verhindern in dem Sinne lässt sich das vermutlich kaum oder auf lange Sicht und mit einer großen Strategie, denn letztendlich sind ja auch diese scheinbar humorvollen, memifizierten Beiträge Ausdruck von einem Einstellungsrepertoire der Gesamtgesellschaft."
- Thorsten Hindrichs, Musikwissenschaftler der Johannes-Gutenberg-Universität
Wer den historischen Kontext von „Erika“ kennt, dem dämmert wahrscheinlich, dass Nazi-Katzen auf Instagram, TikTok und Co. noch das geringste Problem sind.