Bayern 2 - Zündfunk

Josephine Apraku "Woher weiß ich, wann es Zeit ist, Deutschland zu verlassen?"

Diese Frage treibt die Autorin und Afrikawissenschaftlerin Josefine Apraku derzeit um – und sie ist bei weitem nicht alleine. Was ihr Post dazu auf Instagram ausgelöst hat, welche Rolle die Parteien neben der AfD dabei spielen und was ihr dennoch Hoffnung macht.

Von: Alexandra Martini

Stand: 18.09.2024 | Archiv

Josephine Apraku, Afrikawissenschaftlerin und Autorin.  | Bild: Josephine Apraku

Der Rechtsruck und die Wahlerfolge der AfD, die Verschärfung der Migrationspolitik, die Verengung der politischen Debatte wo Migration und Terror durcheinandergeworfen werden, all das führt dazu, dass immer mehr Menschen sich hier nicht mehr sicher fühlen. Und das, obwohl Deutschland weltweit eine Vorbildrolle eingenommen hatte und das "Nie Wieder" in der Erinnerungskultur hochhält. Josephine Apraku hat diese diese Gedanken bestürzend klar in einem Instagram Post formuliert: "Woher weiß ich, wann es Zeit ist, zu gehen?". Sie fragt darin, woher Menschen in den 30er-Jahren wussten, dass es Zeit war, Deutschland zu verlassen. Josephine Apraku ist Afrikawissenschaftlerin, Antirassismustrainerin.

Zündfunk: Frau Apraku, denken Sie persönlich darüber nach, ihr Heimatland zu verlassen?

Josephine Apraku: Meine persönlichen Überlegungen sind gar nicht konkret. Was aber in mir in letzter Zeit sehr viel Raum hat, ist die Frage "Gibt es einen Punkt, an dem es zu spät ist? Gibt es einen Punkt, an dem es einfach nicht mehr möglich ist zu fliehen?" Und in gewisser Weise natürlich auch eine Melancholie in viele Richtungen. Einerseits, weil ich hier geboren und aufgewachsen bin und die Frage des Gehens natürlich keine einfache ist. Menschen, die fliehen und ihre Heimat verlassen, machen das nie aus freien Stücken. Zum anderen ist es natürlich auch so, dass ich schon lange Arbeit gegen Rassismus als Form von Diskriminierung mache. Mir war es immer schon wichtig, auch ein Beitrag zu dieser Gesellschaft zu leisten. Und da ist es traurig zu sehen, wo es hingeht.

Sie haben den Vergleich zu 1933 aufgemacht. Fürchten sie denn tatsächlich, dass uns ähnliches bevorsteht wie damals? 

Ich kann es ehrlicherweise nicht einschätzen. Was sich in jedem Fall zeigt, ist, dass es ähnliche Strukturen und ideologische Bewegungen überall auf der Welt gibt und dass damit in Teilen unterschiedlich umgegangen wird. Ich muss da an Bolsonaro in Brasilien denken oder an Donald Trump in den USA. Zumindest in diesen Ländern war es danach so, dass dann doch noch in eine andere Richtung gewählt worden ist. Wie das in Deutschland ist, kann ich überhaupt nicht realistisch einschätzen. 

Der Instagram-Post im Wortlaut

Was sind denn die konkreten Auslöser für diese Gefühle der Unsicherheit? Sie haben ja auch viele Reaktionen auf Ihren Post bekommen. 

Ich glaube, ein wichtiger Punkt ist sicherlich, dass die anderen politischen Parteien dem Diskurs folgen. Migration wird enorm in den Vordergrund gestellt, wird enorm aufgebauscht. Migration ist der vermeintliche Grund für all die Probleme, sei es im Bereich Schule oder im Bereich Gewalt. Aber wir sehen auch eine Gleichzeitigkeit. Wie viele Naziaufmärsche es jetzt bei CSD-Veranstaltungen gerade auch in Ostdeutschland gegeben hat und wie die Untätigkeit teilweise da auch überhandnimmt. 

Untätigkeit seitens der Behörden und der Politik, dass es keine Konsequenzen gibt und dass es ein neues Selbstbewusstsein gibt seitens der Rechten? 

Ja, das zum einen. Zum anderen ist es so, dass teilweise verfassungsfeindliche Symbole offen gezeigt werden können und dass das scheinbar keine größere Konsequenzen hat oder in irgendeiner Weise geahndet wird. Das wäre ja vergleichsweise einfach zu machen. 

Dieses Gefühl der Unsicherheit ist leider kein individuelles Gefühl. Das sieht man in einer aktuellen Studie: Da geben knapp 19 Prozent der Menschen aus dem Nahen Osten und Nordafrika, die in Deutschland leben, an, sie würden überlegen, das Land zu verlassen aufgrund der Erfolge der AfD. Auch unter ihrem Post haben sehr viele unterschiedliche Menschen kommentiert. Was erleben die, dass sie zu solchen Auswanderungsplänen bewegt? 

Unter meinem Post haben Leute ihre Ansichten und ihre Emotionen geteilt, die von Ableismus, also von Behindertenfeindlichkeit, betroffen sind, die von Queerfeindlichkeit betroffen sind, die von Antisemitismus betroffen sind, die von Rassismus betroffen sind. Viele Menschen, die von sehr unterschiedlichen Diskriminierungsformen negativ betroffen sind, nehmen wahr, dass es eine Art Klimawandel gibt durch diesen Rechtsruck. Und ich glaube es ist total wichtig ist zu verstehen, dass die anderen Parteien kein klares Gegenbild darstellen, sondern weitestgehend mitziehen. Das zeigt sich zum Beispiel daran, was wir für Diskussionen rund um das Bürgergeld führen. Dass Menschen, die Bürgergeld erhalten, oftmals in politischen Debatten kriminalisiert werden, dass sie vermeintlich zu faul zu arbeiten wären und so weiter. Wir sprechen aber nicht darüber, ob es Optionen und Möglichkeiten gibt, sehr reiche Menschen höher zu besteuern. Wir haben kein politisches Gegenstück aktuell, sondern weitestgehend eine Politik, die bei den AfD-Forderungen mitzieht. Das ist etwas, das sich natürlich in einem alltäglichen Gefühl niederschlägt: Es gibt keinen Schutz. 

Sie sind Autorin, Afrikawissenschaftlerin und Antirassismustrainerin. Sie haben das Institut für diskriminierungsfreie Bildung gegründet. Woher kommt Ihrer Meinung nach dieses gestiegene Selbstbewusstsein von Rechtsextremen in Deutschland? 

Eine Sache, die ich immer wieder mitverfolge, ist, dass es in der Regel kaum Konsequenzen gibt. Zum Beispiel die Konsequenzen im Kontext des NSU-Prozesses und die mangelnde Aufarbeitung davon zeigen, dass − in Teilen zumindest − rechtsstaatliche Mittel eigentlich wirkungslos gegenüber Menschen sind, die eine solche Ideologie verfolgen und sogar in die Tat umsetzen. Ich glaube, das ist der eine Teil, wer sich so ein bisschen mit Diskurstheorie zum Beispiel beschäftigt, kennt aber auch den anderen Teil. Nämlich der, dass es einen starken Widerstand gegeben hat. Das Thema Kolonialismus ist zum Beispiel immer weiter ins Zentrum gerückt und immer stärker aufgearbeitet worden. Da sind wir natürlich noch längst nicht am Ende, aber gleichzeitig können wir sehen, dass darauf natürlich eine Form von Backlash folgt. Es geht am Ende des Tages auch um Deutungshoheit, es geht in einem Staat, der sich in Teilen noch Sozialstaat nennen kann, auch darum: Wer gehört eigentlich dazu, und wer darf davon profitieren. Und ich glaube dieses Pendel, das hin und her schwingt, nehmen wir gerade wahr.  

Es kann also auch wieder zurückschwingen. 

Das ist meine Hoffnung, sonst würde ich die Arbeit, die ich mache, nicht machen. 

Ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland, das zeigt auch die vorhin erwähnte Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung, nimmt die AfD als extremistisch oder rassistisch wahr. Und die Aufdeckung von Correctiv von Plänen zur massenhaften Verteibung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland haben Anfang des Jahres Millionen Menschen auf die Straße gebracht. Aber offenbar reicht das nicht. Was müssen denn demokratische Bürger:innen tun, um sich dem Extremismus noch stärker entgegenzustellen? 

Ein wichtiges Mittel ist weiterhin Druck auszuüben auf die politischen Parteien, die theoretisch ein Gegenbild darstellen könnten. Die eine Alternative zu Rassismus, zu Antisemitismus, zu Behindertenfeindlichkeit, zu Tierfeindlichkeit darstellen könnten. Zu schauen, welche Möglichkeiten habe ich, vielleicht auch selbst politisch aktiv zu sein? Gibt es Optionen, in Parteien einzutreten? Natürlich immer mit der Realität im Hinterkopf, dass das auch nicht einfach ist und Menschen dafür auch Zeit haben müssen. Oder wie kann ich mich ehrenamtlich engagieren und Menschen im Hier und Jetzt unterstützen? Organisationen, die diese Arbeit ja im auch schon echt lange machen, unterstützen. Ich glaube, dass das sicherlich ein wertvoller Beitrag ist.