Beste Alben der Zehner Jahre Courtney Barnett - Keine Frau war in den letzten zehn Jahren so souverän rotzig
Wenn die Oma die besten Sprüche parat hat und ausgestopfte Kängurus den Highway zieren, dann hatte die Australierin Courtney Barnett die schönste Spielfläche für ihr geniales Songwriting. Platz acht der "Heroes of the decade".
Eine Erinnerung aus der Kindheit, ein Poster, vielleicht mit Eselsohren an den Ecken – eine scheinbare Nebensächlichkeit perfekt in Szene gesetzt. Auf ihrem Album „Sometimes I Sit And Think and Sometimes I Just Sit“ zelebriert Courtney Barnett den Alltag. Sie schreibt über rücksichtslose Autofahrer und über Vegemite, einen zähen australischen Brotaufstrich, der so salzig ist, dass einem die Spucke wegbleibt. Es geht um den Kaffee aus der heimischen Mocca-Kanne, der besser ist als jeder Soy Spice Frappucino aus dem Laden.
Courtney Barnett lebt den australischen Alltag
„Sometimes I Sit And Think and Sometimes I Just Sit“ hat diesen Charme, wie der Tag nach einem abgekifften Abend.
Cover von "Sometimes I Sit And Think and Sometimes I Just Sit"
Alles ist entspannt, unverkrampft, und auch irgendwie egal. Donald Trump, Terrorismus, der Hass auf die Überflussgesellschaft und sich selbst, alles erst morgen wieder auf der To Do Liste. Der australische Alltag, den Barnett hier verhandelt, ist in erster Linie ein zwischenmenschlicher. Viele ihrer Songideen bekommt sie, während sie Menschen beobachtet. Damals, bei ihrem Job als Pizzalieferantin, als Barkeeperin in Melbourne, auf Tour mit ihren ersten beiden EPs, oder bei einer Hausbesichtigung.
Im Song „Depreston“ erzählt Courtney Barnett von den Habseligkeiten der verstorbenen Hausbesitzerin ihre komplette Lebensgeschichte aufzeigen, wie ein Puzzle der Vergänglichkeit.
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Depreston - Courtney Barnett
Das Besondere an diesem Album ist, dass keine Frau innerhalb der letzten zehn Jahre so rockig, souverän und schluffig zugleich abgeliefert hat. Mit Post-Punk-Rotzigkeit, der Intimität des Folk und der Schwere des Blues - so donnert sie dann ungebremst ins neoliberale Zeitalter.
Entschleunigung mit "Sometimes I Sit and Think and Sometimes I Just Sit"
Die eigene kleine Welt ist mittlerweile nicht mehr genug. Die Liste der Dinge, die man anklagen kann, in den letzten fünf Jahren erweitert. Auch für Courtney Barnett: Klimawandel, Hass im Netz und Gleichberechtigung: Auf ihrem aktuellen Album „Tell Me How You Really Feel“ widmet sie einen Song der #metoo-Debatte – mit Margret Attwood-Zitat, das auch in The Handmaid‘s Tale vorkommt: Männer haben Angst, dass Frauen sie auslachen. Frauen haben Angst, dass Männer sie umbringen.
„Sometimes I Sit And Think and Sometimes I Just Sit“ hat Courtney Barnett auf Tour fast einmal um den Globus gebracht. Ein Kraftakt auch fürs Privatleben. Ihre Frau Jen Cloher hat sich in Interviews halb scherzend halb neidisch darüber aufgeregt, dass sie weiterhin in Bars auftritt, während ihre bessere Hälfte vor über 20.000 Leuten spielt.
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Pedestrian At Best - Courtney Barnett
Barnett hat in den Zehnerjahren noch zwei Alben veröffentlicht. Das poppige „Tell me How You really Feel“ und das großartige „Lotta Sea Lice“, mit dem perfekten Duett-Partner: Kurt Vile, quasi zwei Lo-Fi-Zottel-Poeten, die sich gesucht und glücklicherweise auch gefunden haben. Das vielleicht charmanteste an der großartigen Courtney Barnett ist aber, dass sie so bescheiden ist. Sie hält sich nicht für eine großartige Sängerin, sie erzählt offen von ihren Unsicherheiten und Neurosen. Sogar die alltäglichen Selbstzweifel bekommen also einen schönen Rahmen und Platz an der Wand. Doch keine Angst, Courtney. So schnell hören wir nicht auf, Dir zuzuhören.