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"Verknallt in einen Talahon" So reagiert der Talahon-Produzent auf die Rassismus-Vorwürfe

„Verknallt in einen Talahon“ ist der erste KI-generierte Song in den Charts. Er provoziert mit einem Text rund um Jugendwort-Kandidaten „Talahon“ – und steht wegen rassistischer Stigmatisierung in der Kritik. Der Produzent des Songs sieht das anders.

Von: Ferdinand Meyen

Stand: 23.08.2024

Das Cover des Songs "Verknallt in einen Talahon" | Bild: Butterbro

Sie ist ein wandelndes Klischee: Die Frau, die das Cover der neuen Hitsingle „Verknallt in einen Talahon“ ziert, hat einen Ausschnitt fast bis zum Bauchnabel und eine blonde Föhnfrisur wie aus den 80er Jahren. „Letzte Woche Kirmes war anders wild. Ich hab‘ mit den anderen Chayas am Autoscooter gechillt“, singt sie. Hinter ihr stehen ein paar Typen, die man in Jugendsprache wohl „Talahons“ nennen würde. Trainingsanzüge, Gucci-Caps, Bauchtaschen, Proll-Posen. Der Refrain: „Ich glaube, ich bin verknallt in einen Talahon. Mit Louis-Gürtel, Gucci-Cap und Airmax-Schuhen. Er macht Schattenboxen und ist der coolsten von seinen Bros, und das Messer in der Tasche ist bestimmt nicht nur für’s Butterbrot.“

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Verknallt in einen Talahon | Bild: Butterbro - Topic (via YouTube)

Verknallt in einen Talahon

Produzent Butterbro schrieb „Verknallt in einen Talahon“ mit KI

Geschrieben hat den Song ein Künstler namens Butterbro, der eigentlich Josua Waghubinger heißt. Ein Hobbymusiker und IT- und Software-Entwickler aus Westfalen. „Ich habe relativ früh mit KI-Tools rumexperimentiert, um für Freunde lustige Sounds zu machen, in denen wir Insider aus dem Wochenende verarbeitet haben“, erzählt Waghubinger im Interview. Dann habe er sich gefragt, was passiert, wenn er ein Thema aufgreift, das einer breiteren Masse zugänglich ist. „Und ‚Talahon‘ ist ja ein potenzielles Jugendwort“, sagt Waghubinger.

„Verknallt in einen Talahon“ als erster KI-Song in den Charts

Was passiert ist: Waghubingers KI-Song hat Platz 48 der Charts erreicht. Als erster Song, bei dem KI fast alles übernommen hat. Zwar war auch „Now and Then“ von den Beatles 2023 ein Hit in den Charts. Aber da war KI nicht viel mehr als ein Filter, der John Lennons Stimme von Störgeräuschen befreite. Nun hat die künstliche Intelligenz Udio Musik, Gesang, Komposition und Mastern übernommen – kurz: alles bis auf den Text. Der stammt von Waghubinger. Im Netz hat „Verknallt in einen Talahon“ schon mehrere Millionen Streams. Zunächst trendete nur der Refrain in Kurzvideos auf TikTok, jetzt das ganze Stück auf den Streaming-Plattformen. Waghubinger erzählt, dass er eigentlich einen Denkanstoß liefern wollte. Eine Debatte auslösen über Künstliche Intelligenz und ihre Verwendung in der Musik. Aber was einige feiern, finden andere auch aus einem anderen Grund problematisch.

Stigmatisierung von muslimischen Jugendlichen?

Sind das Talahons? Dieses Klischee sorgt im Internet für Aufregung.

Seyran Bostancı vom deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung sieht in „Verknallt in einen Talahon“ einen Othering-Prozess. „Der Talahon wird als unzivilisierter, frauenfeindlicher, gewaltbereiter Menschen gezeichnet“, erklärt sie. Gleichzeitig schwinge dabei ein gegenteiliges Bild über weiße Männer mit. Doch das, sagt die Wissenschaftlerin, entspreche nicht der Realität. Ihre Erklärung, warum sie den gesamten Talahon-Trend eher kritisch sieht: „Talahon bedeutet auf Arabisch ja ‚Komm her‘. Dieser Begriff tauchte vor zwei Jahren schon in einem Rapsong von Hassan auf und verbreitet sich dann zunächst auf Twitch. Was wir aber aktuell auf Social Media monitoren können, ist, dass dieser Begriff vor allem als Fremdbezeichnung für junge muslimische Menschen genutzt wird.“ Muslimische Männer, die mit Bauchtasche und Gucci-Cap aggressiv Schattenboxen? Das sei eine Stigmatisierung.

Die Talahon-Debatte geht über die Musik hinaus

Zusammengefasst: Talahon war mal eine Selbstbezeichnung, die jetzt zur Fremdbezeichnung wird. Und die Debatte um die Verwendung des Wortes tobt. In der Kritik steht auch der Langenscheidt-Verlag, der den Begriff in seine Liste für das Jugendwort des Jahres aufgenommen hat. Was Seyran Bostancı und andere als muslimfeindliche Stigmatisierung kritisieren, sieht Produzent Josua Waghubinger anders. „Ich möchte mich da klar distanzieren von dieser Kritik“, sagt er. Seine Erklärung: „Die Absicht hinter dem Song ist, dass sich ‚Talahon‘ auf bestimmte Verhaltensweisen bezieht, die selbst gewählt sind.“ Gucci-Tasche, Schattenboxen, Autoscooter, sagt Waghubinger, seien Eigenschaften, die sich jeder Mensch selbst aneignen könne. „Ich stelle gar keinen Bezug zur Herkunft her, das war auch gar nicht meine Absicht“, erklärt der Produzent.

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HASSAN - TA3AL LAHON (PROD. BY OSEE | NOTGUILTY) | Bild: HASSAN (via YouTube)

HASSAN - TA3AL LAHON (PROD. BY OSEE | NOTGUILTY)

„Aspekte, die kritisiert werden müssen und auch sollten“

Trotzdem kritsiert der Produzent, dass der Begriff „Talahon“ gerade von rechtspopulistischen Influencern zweckentfremdet werde, um Menschen mit Migrationshintergrund zu diffamieren. Sein Song solle eigentlich frauenverachtendes Verhalten anprangern, unabhängig von der Herkunft. Waghubinger sagt: „Wenn selbsternannte Talahons Videos von sich machen, in denen sie gewaltbereit auftreten, sich frauenverachtend und sexistisch äußern, dann sind das Aspekte, die kritisiert werden müssen und auch sollten.“

Wer darf was wann sagen? Was darf Humor? Was sagt der Talahon-Trend über Debatten um Rassismus und Integration? Komplexe Fragen für einen Schlagersong, der ursprünglich einfach ein Witz war. Laut Wissenschaftlerin Bostancı steht die Talahon-Debatte genau jetzt am Scheideweg. Rechte Influencer würden den Begriff vereinnahmen, um Muslime zu diskreditieren. In migrantischen Kreisen dagegen wird „Talahon“ jetzt wieder mehr selbstermächtigend genutzt. „Es hat natürlich ein Stigmatisierungspotenzial, aber es kann sich auch zu einer selbstermächtigenden, empowernden Selbstbeschreibungspraxis entwickeln“, sagt sie.

Talahon vs Layla?

Ein bisschen erinnert „Verknallt in einen Talahon“ auch an den Song „Layla“. Zwar will Waghubinger mit seinem Hit Sexismus anprangern, während „Layla“ eher damit kokettierte. Die Gemeinsamkeit: Auch „Layla“ provozierte absichtlich mit dem Text und stürmte mit Hilfe des Skandals die Charts. „Layla“, aber, sagt Produzent Waghubinger, habe er sich noch nie angehört.