Grüne in der Krise "Wahlentscheidend ist eine Germany-first-Mentalität"
Nach ihren Wahlniederlagen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen hat die Parteispitze der Grünen ihren Rücktritt angekündigt. Aber woher kommt die starke Abneigung gegen die Grünen?
Die Grünen haben drei desatröse Landtagswahlen hinter sich. Nur in Sachsen sind sie gerade mal so im Landtag geblieben. Ein Desaster, das die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour am Mittwoch zum Rücktritt bewegt hat. Aber wie konnte es soweit kommen? Analysen zeigen, dass fast 70 Prozent der Wähler eine "starke Abneigung" gegen die Grünen haben. Sie fühlen sich von dieser Partei bevormundet. Angeblich machen die Grünen keine Politik für die Arbeiterschicht. Die jungen Wähler haben bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg vor allem die AfD gewählt.
In einer Nachwahlanalyse in Brandenburg zeigt sich deutlich, dass die Bevölkerung in Brandenburg die Grünen nicht nur nicht gerne wählt, sondern ausdrücklich ablehnt. Von "starker Abneigung" ist in der Analyse die Rede. Die Grünen würden es "übertreiben" beim Klimaschutz, 66 Prozent gaben an, die Grünen seien eine Partei, die den Menschen vorschreiben wolle, wie sie zu leben hätten. Das klingt nicht nach einer politischen Auseinandersetzung mit Parteiprogrammen oder einer kühlen Analyse, sondern eher nach einer Stimmung, einem Gefühl gegen etwas.
Wahlentscheidungen sind von Emotionen und Stimmungen abhängig
Tobias Rothemund, Direktor am Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration in Jena, sagt dazu, dass Wahlentscheidungen grundsätzlich auch von Emotionen und Stimmungen abhängig sind. Gerade Menschen, die sich inhaltlich wenig mit politischen Themen beschäftigen, würden eher ihren Gefühlen folgen, auch bei der Wahlentscheidung. Laut einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung aus dem Jahr 2018 sagen mehr als die Hälfte der Befragten, dass sie bei der Wahlentscheidung stark auf ihr Gefühl vertrauten. Unsere Emotionen beeinflussen also, wie wir Politik wahrnehmen. Beispielsweise spielt die wirtschaftliche Lage im Land eine Rolle für Wählerinnen und Wähler. Vor allem Angst ist ein wichtiger Faktor. Und wenn die Angst vor Veränderungen groß ist, kann auch ein Widerstand gegen eine Partei entstehen, sagt auch Tobias Rothemund.
"Der Widerstand gegen die Veränderung, die grüne Politik bedeutet, ist sehr stark in unterschiedlichsten Gesellschaftsbereichen", sagt er. Das habe soziale Gründe, wirtschaftliche Gründe, identitäre Gründe. Rothemund glaubt, diese Widerstände würden immer wieder aktiviert und seien nur zum Teil dadurch erklärbar, wie sich die Grünen verhalten. Sicherlich hätten sie sich nicht geschickt verhalten, aber er glaube, die Widerstände gegen diese Politik seien substanzieller und nicht nur durch die politischen Vorschläge der Grünen zu erklären.
Greta Thunberg ist bei Fridays for Future als Gallionsfigur weggefallen
Bei der Wahlentscheidung könnte auch eine Rolle spielen, dass Themenfelder wie die Klimakrise weniger Aufmerksamkeit bekommen haben in letzter Zeit. Greta Thunberg ist bei Fridays for Future als Gallionsfigur weggefallen. Sie stand als Influencerin und Idol für den Kampf gegen die Klimakrise, hat aber durch ihre kontroverse Haltung zu Gaza der Fridays-for-Future-Bewegung geschadet. Tobias Rothemund sagt jedoch, er würde das nicht unbedingt an Greta Thunberg festmachen. "Die Klimakrise ist im Moment insgesamt eher wieder in den Hintergrund gerückt: Wahlentscheidend ist eine Art Germany-first-Mentalität." Viele Menschen würden gerade keine Einschränkungen auf sich nehmen wollen. Das Heizungsgesetz, das letztes Jahr sehr viel Wirbel erzeugt hat, stehe symptomatisch für diese Entwicklung.
Parteien wie die AfD betreiben eine schwarz-weiß Politik, deklarieren, wer aus ihrer Sicht schuld an bestimmten Probleme ist, und schaffen es so, ihre Wähler zufriedenzustellen. Die Grünen stehen mit ihrem Klimaschutz, der selbstverständlich Einschränkungen verlangt, vor einem Dilemma. Dagegen anzukommen und gleichzeitig die Klimakrise nicht zu verleugnen, ist nicht leicht, sagt auch Tobias Rothemund, Direktor am Zentrum für Rechtsextremismusforschung in Jena: "Es wird keinen einfachen Ausweg aus dieser Lage geben." Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Anpassung an den Klimawandel, sei notwendig, und sei auch eine Erinnerung daran, bestehende Lebensweisen zu verändern. "Und dieser Hinweis bleibt immer schmerzhaft." Sicherlich sei es wichtig, eine positive Utopie zu entwickeln, aber diese Frage auf ein reines Kommunikationsproblem zu reduzieren, greife zu kurz.
Der Vorwurf: Die Grünen greifen in das Leben der Menschen ein
Bedeutet: Solange die Grünen Themenfelder haben, die in das Leben der Menschen, der Wähler, eingreifen, solange werden sie damit vermutlich auch auf Ablehnung stoßen und Wähler vergraulen. Es gibt aber auch Parteien, die Konflikte vermeiden, indem sie Grundprobleme leugnen. Also beispielweise behaupten, es gäbe keinen Klimawandel. Klingt auf den ersten Blick wie eine kluge Strategie, ist es aber nicht, sagt Tobias Rothemund, da unter diesen Rahmenbedingungen keine Anpassung geschehen könne. Der Erhalt des Wohlstands sei aber nur möglich, wenn die Wirtschaft sich anpasse an veränderte Rahmenbedingungen. "Die AfD-Politik funktioniert nur im hier und jetzt, weil das Versprechen abgegeben wird, nichts verändern zu müssen", so Rothemund. "Aber auf lange Sicht gefährdet das den Wohlstand eher als dass es ihn sichert."
Die Grünen wollen sich jetzt nach der Ankündigung des Rücktritts der beiden Grünen-Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour neu aufstellen. Viel wichtiger erscheint jedoch, eine Klärung, wofür die Partei noch steht. Dann klappt es vielleicht auch mit den Wählern.