Neurodermitis oder atopische Dermatitis Was genau ist Neurodermitis?
Was passiert bei Neurodermitis und wie entsteht sie? Die genauen Hintergründe sind immer noch ein Rätsel.
Atopische Dermatitis ist der neuere Fachbegriff für das, was gemeinhin als Neurodermitis bezeichnet wird. Atopische Dermatitis, die wir hier vereinfacht mit dem bekannteren Begriff Neurodermitis bezeichnen, ist eine chronisch-entzündliche, aber nicht ansteckende Hautkrankheit.
Erscheinungsbild:
- Jucken
- flächiger, roter Ausschlag, möglicherweise schuppig oder nässend
- bei Babys häufig im Gesicht und an Kopf und Rumpf
- bei Kleinkindern klassischerweise in Arm- und Kniebeugen
- Kinder kratzen sich blutig
- bei Erwachsenen auch im Gesicht, an den Händen, im Genitalbereich
- chronisch, taucht immer wieder auf
"Neurodermitis ist sehr heterogen. Es gibt viele Ausprägungsformen, viele Gründe."
Prof. Dr. Erika von Mutius, Dr. von Haunersches Kinderspital
Was passiert bei Neurodermitis?
Bei Neurodermitis ist die Hautbarriere gestört, dadurch ist sie durchlässiger. Nach außen verliert sie mehr Feuchtigkeit, daher fühlt sie sich trockener an als üblich. Von außen dringt mehr ein als gewünscht ist: beispielsweise Chlor nach dem Schwimmbadbesuch (Hautreizung) Allergene wie Hausstaubmilben, Katzenhaare, Pollen oder auch Bakterien. Das triggert eine Entzündung, da unter der Hautbarriere sehr viele Entzündungszellen sitzen, die für die Körperabwehr mit zuständig sind. Dort kommt es dann zu einer Überreaktion. Eine Polle wird genauso bekämpft, als wenn sie ein schlimmes Bakterium oder ein Virus wäre.
"Dann kommt es zu einem Teufelskreis: Wenn die Entzündungszellen unter der Haut überreagieren, wird die Hautbarriere noch schlechter. Kratzen die Kinder, dann wird die Barriere noch mehr gestört – es dringt noch mehr ein. Auch verschlimmert sich die Entzündung."
Dr. Christina Schnopp, Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein
Außerdem verändert sich die Zusammensetzung der Bakterien, die sich auf der Haut ansiedeln: Bakterien, die eigentlich der Haut helfen würden, räumen das Feld und es siedeln sich an den entzündeten Stellen zunehmend Bakterien an, die die Haut weiter schädigen – wie z.B. Staphylokokken.
Wenn die Haut nässt
In schweren Fällen von Neurodermitis beginnt die Entzündung irgendwann zu nässen. Eine "Superinfektion" mit Staphylokokken ist dafür verantwortlich. Vermehren sie sich übermäßig, nässt die Haut. Kratzen und starker Juckreiz gehen meist voraus. Infiziert sich die Haut und kommt es zu eitriger Krustenbildung, muss der Patient Antibiotika nehmen.
Bei Herpes: Kinder ins Krankenhaus
Bei einer zusätzlichen Herpesinfektion müssen Kinder ins Krankenhaus – dort können antivirale Medikamente über die Vene gegeben werden.
Wie entsteht Neurodermitis?
Insgesamt ist es noch ein Rätsel, warum es Menschen mit Neurodermitis und Menschen ohne gibt. So viel lässt sich aber bereits sagen: Die Gene spielen eine wichtige Rolle. Und zwar in drei Bereichen:
- Durch eine schlechtere Hautbarriere und eine veränderte Fettzusammensetzung ist die Haut empfindlicher und insgesamt trockener.
- Betroffene neigen zu Allergien wie Heuschnupfen und zu Asthma.
- Die Juckreizwahrnehmung ist oft intensiver.
"Dass einige Neurodermitiker auch Allergiker sind, liegt daran, dass ihr Immunsystem überempfindlich ist. Oft haben sie später im Leben Heuschnupfen und möglicherweise sogar Asthma. Außerdem nehmen sie Juckreiz oft intensiver wahr als Nicht-Neurodermitiker – aber das ist noch nicht ausreichend erforscht."
Dr. Christina Schnopp, Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein
Wenige Kinder, die früh eine Neurodermitis hatten, bekommen später Asthma. Das seien allerdings lediglich zwei bis drei Prozent der Betroffenen, so Erika von Mutius vom Haunerschen Kinderspital. Auch ist wohl ein ganzes Bündel an Genen dafür verantwortlich, ob ein Kind überhaupt Neurodermitis entwickelt oder nicht. Das bedeutet: Auch, wenn die Eltern nicht betroffen sind, kann es sein, dass ihr Kind Neurodermitis bekommt, da viele verschiedene Gene zusammenkommen müssen. Allerdings gibt es auch ein besonderes Gen, das bei Neurodermitikern eine Rolle spielen könnte: das Filaggrin-Gen. Filaggrin ist ein Schlüsseleiweiß der Hautbarriere. Neueste Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Menschen, die einen genetisch bedingten Filaggrin-Mangel haben, ein deutlich höheres Risiko haben, an Allergien oder Neurodermitis zu erkranken.
"Zellen hängen normalerweise ganz dicht zusammen. Bei Neurodermitis kann diese Barriere gestört sein, indem diese Zellen einfach nicht so stark aneinanderhängen. Das sieht man mit bloßem Auge zwar nicht, aber man sieht die Konsequenzen daraus: dass die Haut trocken ist, weil sie die Feuchtigkeit verliert."
Prof. Dr. Erika von Mutius, Dr. von Haunersches Kinderspital
Wann entwickelt sich Neurodermitis?
Neurodermitis entwickelt sich meist innerhalb der ersten zwei Lebensjahre. Aber es gibt auch 20 Prozent der Betroffenen, die sie erst später bekommen – und einige, bei denen Neurodermitis sogar erst mit 65 ausbricht. Die Spätentwickler sind jedoch die Ausnahme. Dr. Christina Schnopp vermutet, dass es auch Umweltfaktoren sind, die den Zeitpunkt des Ausbruchs bestimmen.
Umweltfaktoren, die Neurodermitis triggern:
- bei Kindern häufig Infekte oder wenn sie Zähne bekommen (wenn also das Immunsystem "angeheizt" wird)
- nach anstrengenden Momenten, wie z. B. Babyschwimmen (was aber nicht als Argument gegen Babyschwimmen verstanden werden darf, denn die Neurodermitis wäre so oder so ausgebrochen)
- Stressphasen wie Trauer, Beziehungskrisen, Arbeitsüberlastung etc.
- falsche Cremes oder Kleidung (am besten ist Baumwolle, möglichst wenig Plastik)
Bei 80 Prozent der Kinder verschwindet die Neurodermitis im Verlauf des Lebens wieder. Auch hier sind die genauen Hintergründe und Zusammenhänge unklar – vielleicht hängt es damit zusammen, dass das Immunsystem und die Hautbarriere ausreifen. Fest steht nur: 15 bis 20 Prozent der Kinder in Deutschland haben derzeit Neurodermitis, bei den Erwachsenen sind es nur noch drei Prozent.
"Die Neurodermitis kommt und geht von sich aus. Wenn sie kommt, denkt man immer, man habe etwas falsch gemacht. Und wenn sie geht, denkt man, man habe etwas richtiggemacht, das ist aber meistens nicht der Fall."
Prof. Dr. Erika von Mutius, Dr. von Haunersches Kinderspital
Ein schubweiser Verlauf ist typisch für die Erkrankung. Manche begleitet die Neurodermitis ein Leben lang, sie kann aber beispielsweise auch durch Schwangerschaft und Stillzeit erneut aufflammen.