Fassbinder Die frühen Filme
In der Zeit von 1969 bis 1982 realisierte Fassbinder rund 30 Spielfilme, zahlreiche Theaterstücke, eine Dokumentation und zwölf Fernsehproduktionen. Schon sein erster Streifen "Liebe ist kälter als der Tod" war eine Initialzündung.
13 Jahre blieben Fassbinder nur für seine Arbeit. "Die dreizehn Jahre des Rainer Werner Fassbinder" nennt denn auch Peter Berling, der den Regisseur die ganze Zeit über als Mitarbeiter und Schauspieler begleitet hat, seine Fassbinder-Monografie.
Der WDR-Redakteur und Drehbuchautor Peter Märthesheimer bringt es auf die Formel: "Filme zu drehen war einfach seine Form zu leben". Fassbinders Lebensthemen waren seine Filmthemen; seine Freunde, Feinde und "glücklichen Opfer" (Rosa von Praunheim) zugleich die Mit- und Gegenspieler in seinem Oeuvre. Oft tragen Figuren einfach die Vornamen ihrer Schauspieler. Fassbinder selbst formulierte in einem Interview mit der US-Filmwissenschaftlerin Ellen Oumano: Der Film "gibt zu, dass er begrenzter Raum ist. Das Leben gibt vor, mehr Möglichkeiten zu bieten. Deshalb ist es eine größere Lüge als der Film".
1969: Es geht los
Die Formulierung erinnert an den oft zitierten Titel von Fassbinders erstem Film "Liebe ist kälter als der Tod" (1969). Zweimal hat Fassbinder den Namen geändert, mehrfach das Drehbuch umgeschrieben. Worum es von Anfang an ging: Gewalt, Revolte, Sex, große Gesten, ein Banküberfall, eine Verfolgungsfahrt. Der depressive Gangsterfilm ist kein Meisterwerk - es sei denn eines der Illusionszertrümmerung und Improvisation - aber eine Initialzündung. Und er gibt die Richtung vor. Im selben Jahr entstehen noch vier weitere Filme, darunter "Warum läuft Herr R. Amok" und "Katzelmacher". Letzterer erhält den Bundesfilmpreis und bringt Fassbinder ein, was er am meisten braucht: Geld und Beachtung.
Anarchist im Mannschaftsbus
Von nun an rast die Künstlerkommune des autoritären Anarchisten RWF wie ein überfüllter, auffrisierter Kleinwagen auf drei Rädern von (Miss-)Erfolg zu (Miss-)Erfolg: Triumphe wechseln sich ab mit Projekten, die vorm oder beim Dreh scheitern, mit Experimenten ("Whity") und Gerichtsterminen wie dem mit Franz Xaver Kroetz, Autor der Vorlage zu "Wildwechsel".
Fassbinder ist auf dieser Tour de Force zugleich Motor und Fahrer ohne Führerschein; die unverwechselbare Karosserie steuern die Kameraleute Dietrich Lohmann und Michael Ballhaus, später Franz Xaver Schwarzenberger bei, die elegante Innenausstattung Set Designer Kurt Raab und Komponist Peer Raben; als Beifahrerinnen sorgen die Diven Hanna Schygulla und Ingrid Caven, Margit Carstensen und Irm Hermann für Glamour und Drama. Fassbinder will stets ihr Bestes. Und er bekommt es.
Ankunft in der Detlef-Sierck-Straße
Nach 1971 fährt unsichtbar noch einer mit: Der als Detlef Sierck in Hamburg geborene Hollywoodregisseur Douglas Sirk ("Was der Himmel erlaubt", "Zeit zu lieben, Zeit zu sterben"). Ein ehrfürchtiger Fassbinder trifft den Meister des Melodrams im Tessin und bekommt eine Lektion in Timing, Mitgefühl für die Figuren - und Gefühl für große Momente.
Dreharbeiten zu "Martha" (1973): Rainer Werner Fassbinder, Margit Carstensen, Karlheinz Böhm (v.l.n.r.)
"Martha" ist einer von Fassbinders Paradefilmen: Karlheinz Böhm und Margit Carstensen zertrümmern in diesem Psychothriller nonchalant die Institution Ehe; Fassbinder und Ballhaus schütteln in pompösem Dekor nie gesehene Kameraaufnahmen aus dem Ärmel - etwa einen zoomverstärkten 360-Grad-Schwenk um das Albtraumpaar. Die gequälte Martha gibt im Film die Adresse "Detlef-Sierck-Straße, Hamburg" an - der Regisseur hat via Hollywood den ersten Gipfel seines Schaffens erreicht.
Fassbinders Filme
1969: Liebe ist kälter als der Tod
1969: Katzelmacher
1969: Götter der Pest
1969: Warum läuft Herr R. Amok?
1970: Whity
1970: Rio das Mortes (TV)
1970: Das Kaffeehaus (TV)
1970: Warnung vor einer heiligen Nutte
1970: Pioniere in Ingolstadt (TV)
1971: Der Händler der vier Jahreszeiten
1972: Die bitteren Tränen der Petra von Kant
1972: Wildwechsel
1972: Acht Stunden sind kein Tag (TV)
1972: Bremer Freiheit
1973: Welt am Draht (TV)
1973: Nora Helmer
1973: Martha
1973: Angst essen Seele auf
1974: Fontane "Effi Briest"
1974: Faustrecht der Freiheit
1975: Angst vor der Angst
1976: Ich will doch nur, dass ihr mich liebt
1976: Satansbraten
1977: Bolwieser (TV)
1977: Despair - Eine Reise ins Licht
1977: Deutschland im Herbst (Filmbeitrag)
1978: In einem Jahr mit 13 Monden
1978: Die Ehe der Maria Braun
1979: Die dritte Generation
1980: Berlin Alexanderplatz (TV)
1981: Lili Marleen
1981: Lola
1982: Die Sehnsucht der Veronika Voss
1982: Querelle