Fassbinder Anfänge im Avantgarde-Theater
Rainer Werner Fassbinder bekommt keine Chance an der Filmhochschule. Also stürzt er sich ins Underground-Theater - und sorgt für Eklats und Skandale.
München, 1967/68. Eine Zeit der Unruhe und des Aufbruchs. Flippern ist mindestens so wichtig wie Demonstrieren, ein eigentümliches Gemisch aus politischer Angriffslust und hedonistischer Selbstverwirklichung. Rainer Werner Fassbinder, 22 Jahre jung, bekommt keine Chance an der Filmhochschule, also stürzt er sich ins Underground-Theater. Im August 1967 stößt er zur Truppe des Münchner Action-Theaters und wird bald zur bestimmenden Figur der Avantgarde-Szene.
Theater-Kommune statt Musentempel
Das "Living Theatre" ist damals angesagt, buchstäblich lebendiges Theater, das seinen Stoff nicht bloß mitten aus dem Leben nimmt, sondern auch inmitten des normalen Leben spielt. Kostüme, Bühnenbild, schriftlich fixierte, fertige Texte, festgeschriebene Regieanweisungen kommen da nicht in Frage. Stattdessen entwickeln Schauspieler in Alltagsklamotten spontan zusammen, was sie spielen. Das Pikante daran: Sie spielen, was sie leben und leben, was sie spielen: Die meisten von ihnen - nur Kurt Raab macht da eine Ausnahme - leben auch im Theater in der Müllerstraße. Es ist eine veritable Theater-Kommune!
Faszinierend - vor allem für Fassbinder selbst
Fassbinder macht begeistert mit bei dem von Horst Söhnlein ins Leben gerufenen Action-Theater in der Müllerstraße. Die Presse ist entsetzt, empfindet improvisierte Stücke wie die "Bettleroper" als eine einzige Zumutung und Tortur."Sie stammeln und stampfen, starren und sterben, wimmernde Körper winden sich durch den Zuschauerraum, grässliche Schreie durchstoßen die Schallmauer. Man ist anti-alles." Das schreibt die "Abendzeitung" und auch die anderen Kritiken fallen nicht gnädiger aus. Die Theatermacher haben es auf die Provokation abgesehen - sie halten bei der Premiere schon Tomaten zum Werfen fürs Publikum bereit.
Gammler sticht Antigone nieder, Fassbinder macht weiter
Mit einem riesigen Eklat verliert das Action-Theater seine Unschuld: Regisseur Peer Raab engagiert Gammler für seine Version der "Antigone" - schlicht, weil sie "am überzeugendsten gegen die bestehende Ordnung rebellieren". Einer von ihnen nimmt das allzu wörtlich: Er sticht nach der Aufführung die Antigone-Darstellerin Maritet Greiselis nieder. Die 24-Jährige ist von da an querschnittsgelähmt. Der Messerstecher, Heine Schoof, bekommt zehn Jahre Haft. Trotz der Proteste seiner Kollegen setzt Fassbinder das Stück nicht ab, Hannah Schygulla spielt nun die antike Heldin - und wird bis zu Fassbinders Tod am 10. Juni 1982 noch etliche Rollen mit und neben ihm und für ihn spielen.
"Nichts langweilt mich gewöhnlich mehr als die normalen gediegenen Theateraufführungen, hier jedoch erregte mich das, was auf der Bühne geschah, wie es geschah und was dadurch im Zuschauerraum ausgelöst wurde. Zwischen den Schauspielern und dem Publikum entstand etwas wie Trance, etwas wie eine kollektive Sehnsucht nach revolutionärer Utopie."
Rainer Werner Fassbinder über das Action-Theater.