Jüdisches Leben in Bayern Vertreibung im großen Stil
Im 15. Jahrhundert setzten Vertreibung und Ghetto-Bildung ein, d.h. Juden mussten isoliert in eigenen Stadtvierteln leben. Das erste gesetzlich für Juden vorgeschriebene Ghetto wurde 1555 von Papst Paul IV. befohlen.
Die Pogrome hatten neben der religiösen Hetze einen weiteren Hintergrund: Wirtschaftsneid. Entgegen vieler Vorurteile betrieben Juden bis ins 13. Jahrhundert hinein so gut wie nie Finanzgeschäfte, entsprechende Verbote in Bibel und Talmud hinderten sie daran.
Doch nun nahm die Geldwirtschaft an Bedeutung gegenüber der Naturalwirtschaft massiv zu. Da die Juden keinen Zugang zu den christlich geprägten Handwerkszünften und Kaufmannsgilden hatten, verlegten sie sich zunehmend - und erfolgreich - auf den Geldverleih.
Taufe oder Tod, Ghetto oder Ausweisung
Hintergrund
Stigma - lange vor NS-Zeit
Wer nicht verjagt wurde, den demütigte man mit Kleidervorschriften, auf die später in ähnlicher Form auch die Nazis mit dem gelben Stern zurückgriffen. So mussten die Juden im Hochstift Bamberg ab 1451 als "Schandmal" einen gelben Ring tragen, im Hochstift Augsburg heftete man ihnen einen gelben Lappen auf die Brust.
Der Hass gegen Juden nahm im 15. Jahrhundert deutlich zu. Vor allem kirchliche Mächte legten einen bislang kaum gekannten christlichen Rigorismus an den Tag. Das Baseler Konzil (1431-1437) machte die Ausgrenzung von Juden quasi zur kirchlichen Vorschrift. Juden mussten sich fortan durch äußerliche Kennzeichen von Christen unterscheiden. Entsprechende Kleidervorschriften gab es schon 1422 in Bamberg und Würzburg im Vorgriff auf die Konzilsbeschlüsse.
In jener Zeit setzte auch die Ghetto-Bildung ein, d. h. Juden mussten isoliert in eigenen Stadtvierteln leben. Das erste gesetzlich für Juden vorgeschriebene Ghetto wurde 1555 von Papst Paul IV. befohlen.
Von der Ausgrenzung zur Vernichtung
In manchen Gegenden stellte christlicher Fanatismus Juden nicht selten vor die Alternative "Taufe oder Tod". An anderen Orten äußerte sich die religiöse Unduldsamkeit gegenüber Juden in Form von Ausweisung, wie zum Beispiel 1478 im Hochstift Passau: Als Begründung musste dort der alte Vorwand "Hostienfrevel" herhalten.
Nicht zu unterschätzender Impuls für judenfeindliche Maßnahmen war auch, dass Bayern im 16. und 17. Jahrhundert eine Hochburg der Gegenreformation wurde. Um Protestanten zurückzudrängen, verfolgte man das Prinzip der "ausschließlichen Katholizität", das sich selbstredend auch gegen Mitglieder anderer Konfessionen richtete.
Konflikt mit Zünften
Wo auf gewaltsame Christianisierung verzichtet wurde, begannen Vertreibungen aus den Städten im großen Stil.
Im 15. Jahrhundert waren die meisten Juden zur großen Kapitalleihe nicht mehr in der Lage, da die christliche Konkurrenz zu groß wurde. Auch diese bekam vom jeweiligen Landesherrn nun häufiger das Recht, in Darlehensgeschäfte einzusteigen. Juden verlegten sich daher auf den kleinen Pfandhandel.
Stichwort: Landjudentum
Die Verdrängung aus den Städten zog sich bis ins 17. Jahrhundert. Juden siedelten sich auf dem Land an oder fanden Aufnahme in Ritterschaften. Aus diesen Refugien entwickelten sich Landgemeinden. In Memmelsdorf startete eine Privatinitiative ein spezielles Erinnerungsprojekt. Mehr dazu unter:
Das führte aber zu ständigen Reibereien mit den Unterschichten und den christlich geprägten Zünften. Um ihre jüdischen Konkurrenten loszuwerden, vertrieben sie sie kurzerhand aus den Städten: 1440 aus Augsburg, 1442 aus Oberbayern, 1450 aus Niederbayern, 1499 aus Nürnberg, 1519 aus Regensburg, 1553 aus dem vereinigten Herzogtum Bayern oder 1567 aus Würzburg.
Toleranzinsel Fürth
Dazwischen gab es immer wieder auch gegenläufige Tendenzen: 1528 erteilte Fürth zwei Juden gegen Schutzgeld eine Ansiedlungserlaubnis - der Beginn des "fränkischen Jerusalem": Fürth wurde im 17. und 18. Jahrhundert die bedeutendste jüdische Gemeinde in Bayern. 1675 wurde dort eine Jeschiwa eingerichtet, die sich zu einer der wichtigsten Talmud-Hochschulen Europas entwickelte.
Auch das oberpfälzische Sulzbach hob sich im 17. Jahrhundert von antijüdischer Stimmung ab. Dort genehmigte man 1669 den Bau einer jüdischen Druckerei zur Herstellung von Büchern in hebräischer Schrift. Diese Druckerzeugnisse waren unerlässliche Grundlage für den Gottesdienst in der Synagoge.