Jüdisches Leben in Bayern Vom alten Municher zum neuen Zentrum
Jüdisches Leben in München begann im Mittelalter. Das erste Dokument stammt aus dem Jahr 1229, der Jude Abraham der Municher wird darin erwähnt. Seit November 2006 hat München wieder ein bedeutendes Gemeindezentrum mit Hauptsynagoge.
Jüdisches Leben in München begann im Mittelalter. Das erste Dokument stammt aus dem Jahr 1229, der Jude Abraham der Municher wird darin erwähnt. Kaum waren sie angesiedelt, veranstaltete man schon 1285 ein Pogrom gegen Juden. 67 Menschen wurden dabei ermordet. Anlass war das Gerücht, Juden hätten ein christliches Kind zu Blutkultzwecken getötet - eine für die damalige Zeit typische "Ritualmord"-Lüge. Bereits im Mittelalter hatte München eine Synagoge - in der so genannten Judengasse. In diesem Ghetto lebten die meisten Juden der Stadt.
Nach ihrer Vertreibung aus Oberbayern durch Herzog Albrecht III. im Jahr 1442 wurde das Gotteshaus in eine Marienkapelle umgewandelt. Die einstige Juden- wurde in Gruftgasse umgetauft und jüdisches Leben verschwand für lange Zeit aus der Stadt. Erst im 18. Jahrhundert durften sich wieder Juden in München ansiedeln.
Aus versteckten Betstuben ins Herz der Stadt
Unter dem Einfluss der französischen Revolution verbesserte sich ihre rechtliche Stellung allmählich. 1815 wurde erstmals die Israelitische Kultusgemeinde gegründet.
1816 durften die Juden in München einen eigenen Friedhof anlegen. Anfangs waren die Gottesdienste auf viele kleine Betstuben über die ganze Stadt verteilt. Nach erbitterten Kämpfen mit den Behörden wurde 1826 am Stadtrand - in der heutigen Westenriederstraße - wieder eine Synagoge errichtet.
Mehr als 60 Jahre später entstand 1887 im Zentrum der Stadt die Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße. Sie war das Gotteshaus der liberal ausgerichteten, also für die Mehrheit der Münchner Juden. Diese Synagoge war damals die drittgrößte in ganz Deutschland und ein Symbol für die gewachsene Akzeptanz und die Bedeutung der Juden im gesellschaftlichen und politischen Leben der Stadt.
Drei Synagogen
1892 weihten auch die orthodoxen Juden ihr religiöses Zentrum ein: die Ohel-Jakob-Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße. 1931 folgte die Synagoge in der Reichenbachstraße für die ostjüdische Glaubensgemeinschaft.
Jahrhundertwende als Höhepunkt
Namhafte Persönlichkeiten - wie Lion Feuchtwanger, Bruno Walter, Hermann Levi, Max Reinhardt, Otto Bernheimer, Kurt Eisner - haben nachhaltig das geistige, kulturelle und wirtschaftliche Leben der Stadt geprägt. 1910 erreichte die Kultusgemeinde mit 11.083 jüdischen Bürgern ihre bisher höchste Mitgliederzahl.
In den 1920er-Jahren stieg die Zahl der Juden in München zunächst sprunghaft an: Eine erste Auswanderungswelle aus Russland und anderen osteuropäischen Ländern konfrontierte die Gemeinde mit schweren Integrationsproblemen. Die so genannten Ostjuden galten - teilweise auch für die deutschen Juden - als unerwünschte Ausländer.
1938 - immer noch Hauptstadt der Bewegung
Münchner Straße am Tag nach der Pogromnacht (9. November 1938): Gesplitterte Schaufenster einer jüdischen Ladenfront
Wenn es um Aktionen gegen Juden ging, waren Bayern und speziell München stets Vorreiter. So demonstrierte beim ersten planmäßigen Boykott gegen jüdische Geschäfte im Frühjahr 1933 der damalige Münchner NS-Bürgermeister Karl Fiehler vorauseilenden Gehorsam.
München beeilte sich auch besonders mit dem Abreißen von Synagogen: Propaganda-Minister Joseph Goebbels ließ die braunen Bagger die Hauptsynagoge schon im Juni 1938 zerstören - also Monate vor der Pogromnacht, in der die meisten Synagogen der Vernichtungswut der Nazis zum Opfer fielen.
Warum im Juni? Die Nazis nutzten München als Testballon, um herauszufinden, wie solidarisch die Deutschen noch zu Juden waren. Das Ergebnis ist bekannt: Die Judenfeindlichkeit bzw. der Grad der Indifferenz war inzwischen so hoch, dass die Pogrome am 9. November ohne Widerstände aus der deutschen Bevölkerung veranlasst werden konnten.
Neubeginn mit Neuland
Nach dem Holocaust war das jüdische Leben in der Landeshauptstadt nahezu erloschen. Von einst 12.000 Münchner Juden flohen 7.500 vor den Nazis nach deren Machtübernahme. Fast 3.000 wurden in KZs deportiert, mehr als die Hälfte nach Theresienstadt.
1945 suchten 430 überlebende Münchner Juden eine neue religiöse Heimat. Auf Initiative von Fritz Neuland - einem angesehenen Münchner Rechtsanwalt, den die Nazis 1938 gezwungen hatten, den Vornamen "Siegfried" anzunehmen - wurde am 19. Juli 1945 die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) neu gegründet. Der bekannte Kinderarzt Julius Spanier wurde zum Präsidenten, Neuland - Vater der heutigen Gemeinde-Präsidentin Charlotte Knobloch - zum ersten Vizepräsidenten gewählt.
Die ehemalige Synagoge der ostjüdischen Glaubensgemeinschaft in der Reichenbachstraße wurde zur neuen Hauptsynagoge der IKG. Die feierliche Einweihung am 20. Mai 1947 mit zahlreiche prominenten Gästen hatte weitreichenden Symbolcharakter: Es war die erste Synagoge, die in Deutschland nach dem Krieg ihre Türen öffnete.
Nummer zwei hinter Berlin
Heute ist die IKG am St.-Jakobs-Platz der Mittelpunkt jüdischen Lebens in Bayern und das Zentrum jüdischer Aktivitäten in München.
Mit über 9.000 Mitgliedern ist die IKG hinter Berlin die zweitgrößte jüdische Gemeinde in Deutschland. Die meisten Mitglieder sind Zuwanderer aus Russland. Die heutige Einheitsgemeinde steht zwar in orthodoxer Tradition, ihre Vorsitzende Charlotte Knobloch will sich der Moderne aber nicht verschließen.
Wieder zurück in der Mitte der Stadt
2006 ist das neue Jüdische Zentrum im Herzen der Stadt eröffnet worden. Das Haus ist als Begegnungsstätte der Kulturen gedacht: Neben dem Kulturzentrum mit Schule und Kindergarten wurden unter anderem auch ein Museum zur jüdischen Stadtgeschichte, ein koscheres Restaurant und ein großer Veranstaltungsraum gebaut. Damit wurde ein deutliches Bekenntnis für die Integration jüdischen Lebens in München gesetzt.