Religion & Orientierung


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Lebensläufe Therese Giehse - Tscharlies jüdische Oma

Sehr viele, die sonst nichts von ihr wissen, kennen sie zumindest als die Oma vom Tscharlie. Die jüdische Schauspielerin Therese Giehse, 1898 in München geboren, 1933 emigriert, nach 1945 als eine der wenigen Ausnahmen nach Bayern zurückgekehrt, 1975 in München gestorben.

Stand: 08.09.2011 | Archiv

Therese Giehse und Günther Maria Halmer in "Münchner Geschichten" | Bild: BR

Sehr viele, die sonst nichts von ihr wissen, kennen sie zumindest als die Oma vom Tscharlie. Die jüdische Schauspielerin Therese Giehse, 1898 in München geboren, 1933 emigriert, nach 1945 als eine der wenigen Ausnahmen nach Bayern zurückgekehrt, 1975 in München gestorben. Eine Frau, die den braunen Teil der Geschichte Münchens am eigenen Leib erlebte und in Helmut Dietls BR-Kultserie "Münchner Geschichten" vielleicht deshalb den Eindruck vermittelt, als könne sie nicht allzuviel erschrecken.

Spezialisiert auf herbe Charakterrollen

Therese Giehse kommt 1898 als Therese Gift, Tochter des jüdischen Kaufmannsehepaars Gertrude und Salomon Gift zur Welt. Von 1918 bis 1920 lässt sie sich in ihrer Heimatstadt zur Schauspielerin ausbilden. 1920 nimmt sie den Künstlernamen Therese Giehse an. Bis 1925 folgen Engagements an verschiedenen renommierten Bühnen in ganz Deutschland. Dann kehrt sie nach München zurück, wo sie an den Kammerspielen unter Otto Falckenberg zu einer festen Größe wird. Die herbe Charakterrolle gehört ebenso zu ihrem Repertoire wie der Faschings-Sketch. Früh spielt sie jedoch vor allem ältere Frauen.

Beißende Satire gegen die Nazis

Erika und Klaus Mann

Bald nach ihrer Rückkehr nach München schließt Therese Giehse Bekanntschaft mit Thomas Mann, mit dessen Kindern Erika und Klaus entwickelt sich eine enge Freundschaft. Am 1. Januar 1933 gründen die drei das literarische Kabarett "Die Pfeffermühle".

Die beißende Satire, die dort gegen die Nazis betrieben wird, hätte wenige Wochen später eine Emigration auch notwendig gemacht, wenn Therese Giehse nicht Jüdin gewesen wäre. Sie verlässt Deutschland am 13. März 1933. "Die Pfeffermühle" beschert dem Gasthaus "Zum Hirschen" in Zürich, wohin Giehse flüchtet, in der Folgezeit über Monate ein volles Haus. Nächste Station ihrer Flucht ist England, wo sie den Schriftsteller John Hampson-Simpson heiratet.

Erste Mutter Courage

Therese Giehse in der Ur-Inszenierung des Brecht-Dramas "Mutter Courage und ihre Kinder" am Zürcher Schauspielhaus

1941 spielt Giehse wiederum in Zürich in der Uraufführung von Bertolt Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" die Titelrolle. Es folgt eine Vielzahl weiterer Brecht-Rollen, die sie neben Helene Weigel, der Frau des Dramatikers, bis auf den heutigen Tag zum Maßstab für weibliche Besetzungen in Brecht-Rollen machen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet sie vor allem in Ost-Berlin und München, ab 1949 auch wieder an den Kammerspielen. In Ost-Berlin inszeniert Giehse selbst Kleists "Zerbrochenen Krug" (1952). Der Wiederbewaffnung und dem nicht nur ästhetischen Muff der Adenauer-Ära steht die Schauspielerin offen feindselig gegenüber. Während des Widerstands gegen Notstandsgesetze und Vietnam-Krieg folgt die Zusammenarbeit mit jungen, politischen Theaterleuten.

Gemeinsam mit einem der jungen Regisseure der Zeit nach 1968 errichtet sie dann zu Beginn der 1970er-Jahre noch zu Lebzeiten ihr eigenes Denkmal.

Eigenes Denkmal in den Münchner Geschichten

In Helmut Dietls "Münchner Geschichten" sind die Augen, die alles Niederträchtige zu durchschauen, aber alles Menschliche zu verzeihen scheinen, wöchentlich auf den Fernsehschirmen zu sehen. Durch die Oma des berufsjugendlichen Hallodris Tscharlie Häusler, dargestellt vom blutjungen Günther Maria Halmer, haucht die 1933 mit Stumpf und Stiel aus München und Bayern ausgetriebene Moderne fast spürbar von innen an die Mattscheibe.

Therese Giehse in "Münchner Geschichten"

Auch der zu dieser Zeit nicht nur in München noch sehr präsente ewiggestrige Hausmeister-Blockwart wird in den "Münchner Geschichten" abgebildet. Fritz Strassner mimt den klassischen deutschen Spießer, dessen Antisemitismus sich gegen Oma Häuslers Untermieter, Herrn Heinrich richtet ("Warum is' er denn dann vor de Nazis davo, wenn er koa Jud' is?"). Therese Giehse überlebt ihre Rolle nicht einmal zwei Jahre. Sie stirbt am 3. März 1975.

Über Christian Friedrich Grabbe, einen bitterbösen deutschen Satiriker des 19. Jahrhunderts, sagte ein Zeitgenosse nach seinem Tod: "Gestorben in und an Detmold". Bei Therese Giehse drängt sich bezüglich Münchens eine Parallele auf. In einer der letzten Folgen der "Münchner Geschichten" soll Anna Häusler, vermittelt durch ihren von einem Immobilienhai bestochenen Enkel, in das damals noch neue Wohngebiet Neuperlach ziehen. Der Blick aus dem Fenster des Neubaus in der Trabantenstadt stürzt die Oma in tiefe Depression. Ihre Augen schweifen dabei auch über den tristen Straßenzug, der wenige Jahre später nach ihr benannt werden sollte. Die Oma zieht nicht nach Neuperlach.


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