Bayerisches Rundfunkgesetz 1972/1973 Volksentscheid für die Rundfunkfreiheit
Das erste bayerische Rundfunkgesetz – die Grundlage für den öffentlich-rechtlichen Bayerischen Rundfunk – aus dem Jahr 1948 wurde 1959 erstmals novelliert. Damals war der Rundfunkrat von 33 auf 43 Mitglieder erweitert worden, ohne dass es zu größeren Protesten kam. 1972 wurde das Rundfunkgesetz erneut geändert – diesmal mit weitreichenden politischen Folgen.
Der CSU-Vorstoß
Am Abend des 29. Februar 1972 trat der Bayerische Landtag in München zu einer Nachtsitzung zusammen. Am 1. März um 1.30 Uhr beschloss er nach langen, hitzigen Debatten mit den Stimmen der absoluten CSU-Mehrheit ein neues Rundfunkgesetz.
Der Vorgang ist für eine Gesetzesnovellierung in einem Landtag zunächst nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich hingegen waren die Heftigkeit und die tumultartigen Szenen in der Nachtsitzung und die äußerst kurze Vorlaufzeit des Gesetzes. Von der Ankündigung einer Änderung im Rundfunkgesetz am 20. Januar 1972 durch die CSU und der 1. Lesung am 27. Januar bis zu seinem Inkrafttreten vergingen nicht einmal sechs Wochen.
Dieses Gesetz sah eine Vergrößerung des Rundfunkrats um zwölf Landtagsangehörige und sechs Vertreter gesellschaftlicher Gruppen vor: Bayerischer Gemeindetag, Bayerischer Zeitungsverlegerverband, Bund Naturschutz in Bayern, Verband der freien Berufe, eine Frau vom bayerischen Landessportverband. Gleichzeitig wurden die Rechte der Rundfunkratsmitglieder erweitert. Sie bekamen das Zustimmungsrecht nicht nur bei der Berufung von Intendanten und Direktorinnen, sondern auch bei der von Hauptabteilungsleiterinnen und -leitern, die nur noch für fünf Jahre Verträge erhielten. Schließlich sollte eine Entscheidung über die Einführung von Privatfunk in Bayern vorbereitet werden.
So überraschend die Initiative der CSU-Fraktion in Sachen Rundfunkgesetz war, so kam sie doch nicht aus heiterem Himmel. Seit den 1960er Jahren kamen aus den Reihen der CSU immer wieder Versuche, die Rundfunkaufsicht des Staates zu erweitern. Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß plädierte im Bundestagswahlkampf 1969 für privates Fernsehen in Deutschland, da seiner Meinung nach die öffentlich-rechtlichen Massenmedien die Mindestbedingungen einer ausgewogenen, fairen journalistischen Berichterstattung nicht erfüllten. Ab diesem Zeitpunkt tauchten aus CSU-Kreisen immer wieder entsprechende Vorschläge auf, die eine starke staatliche Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Möglichkeit von Privatfunk zum Thema hatten.
Der Widerstand
Die Reaktionen der Gesetzesgegner fielen nicht nur im Landtag deutlich aus. Der parlamentarische und auch außerparlamentarische Widerstand gegen die Novellierung war bereits unmittelbar nach den Ankündigungen der CSU im Januar 1972 auf den Plan getreten. Die Befürchtungen gingen dahin, dass die Meinungsvielfalt und Informationsfreiheit in Gefahr seien und der Rundfunk in Bayern zu einem "willfährigen Parteiinstrument" werden könnte. Gerade die Erhöhung der Anzahl der Rundfunkräte aus dem Landtag nährte diese Befürchtungen, da gemäß der dortigen Mehrheitsverhältnisse die CSU im Rundfunkrat noch stärker vertreten gewesen wäre.
Rede von Franz Josef Strauß zum Download Format: PDF Größe: 3,05 MB
Die Landtagsfraktionen von SPD und FDP luden am 11. Februar mehrere Fachleute zu einem Hearing in den Landtag ein. Der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Christian Wallenreiter, warnte dabei vor einer Verwandlung der Programmkontrolle des Rundfunkrats in eine Programmleitfunktion. Zehn Tage später kritisierten 5.000 Demonstrierende in München den Gesetzesentwurf.
Trotz der Proteste stimmte am 24. Februar eine Mehrheit von 97 CSU-Abgeordneten für die Gesetzesnovelle, 71 Oppositionelle stimmten dagegen.
Das "Landesbürgerkomitee Rundfunkfreiheit"
Aber auch durch das Inkrafttreten des Gesetzes ließen sich dessen Gegner nicht entmutigen. Ungewöhnlich war die breite Front, die sich gegen dieses novellierte Rundfunkgesetz aufbaute. Bereits am 15. März 1972 gründete sich unter Vorsitz des Politikprofessors Paul Noack das "Landesbürgerkomitee Rundfunkfreiheit". Diesem gehörten neben Privatpersonen verschiedene Organisationen an: u.a. SPD-Landesverband Bayern, FDP-Landesverband Bayern, DGB, RFFU, Verband der Schriftsteller, Bayerischer Journalistenverband, Bund der Deutschen Katholischen Jugend.
Das Ziel des Landesbürgerkomitees war es, gegen das neue Rundfunkgesetz ein Volksbegehren anzustrengen. Die Vorsitzende der FDP-Fraktion, Hildegard Hamm-Brücher, wies bereits während der Landtagsdebatte auf diese Möglichkeit der Bayerischen Verfassung hin. Anfangs von der CSU unterschätzt, entwickelte sich das "Volksbegehren Rundfunkfreiheit" zu einer breiten Bewegung gegen das CSU-Gesetz.
Statt der benötigten 720.000 Unterschriften kamen mehr als eine Million Unterschriften zusammen. Die CSU erklärte daraufhin in einem Parlamentsbeschluss das Volksbegehren für verfassungswidrig. Ein Gang zum Verfassungsgericht wäre unvermeidbar gewesen. Franz Josef Strauß und die Landesregierung erkannten, dass die Pläne nicht durchzusetzen waren – und lenkten ein. In zwei Gesprächsrunden am 11. und am 22. Januar 1973 unter dem Vorsitz von Paul Noack konnten Landesbürgerkomitee und CSU einen Kompromiss finden, der auch die Zustimmung des Landtags fand und der bayerischen Bevölkerung zum Volksentscheid vorgelegt wurde. Der einjährige "Rundfunkkrieg" war beendet.
Der Volksentscheid 1973
Am 1. Juli 1973 fand dieser Volksentscheid statt. Die Bayerische Verfassung wurde um einen Artikel 111a ergänzt. Dieser schreibt für Hörfunk und Fernsehen im Freistaat eine öffentlich-rechtliche Trägerschaft vor und legt fest, das beim Bayerischen Rundfunk Regierung, Landtag und Senat nicht mehr als ein Drittel der Rundfunkratsmitglieder stellen dürfen. Das Gesetz für den Bayerischen Rundfunk wurde zum 1. August 1973 entsprechend geändert.
Bayerische Verfassung
Artikel 111 Pressefreiheit
(1) Die Presse hat die Aufgabe, im Dienste des demokratischen Gedankens über Vorgänge, Zustände und Einrichtungen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wahrheitsgemäß zu berichten.
(2) Vorzensur ist verboten. Gegen polizeiliche Verfügungen, welche die Pressefreiheit berühren, kann gerichtliche Entscheidung verlangt werden.
Artikel 111a Garantie der Rundfunkfreiheit
(1) Die Freiheit des Rundfunks wird gewährleistet. Der Rundfunk dient der Information durch wahrheitsgemäße, umfassende und unparteiische Berichterstattung sowie durch die Verbreitung von Meinungen. Er trägt zur Bildung und Unterhaltung bei. Der Rundfunk hat die freiheitliche demokratische Grundordnung, die Menschenwürde, religiöse und weltanschauliche Überzeugungen zu achten. Die Verherrlichung von Gewalt sowie Darbietungen, die das allgemeine Sittlichkeitsgefühl grob verletzen, sind unzulässig. Meinungsfreiheit, Sachlichkeit, gegenseitige Achtung, Schutz vor Verunglimpfung sowie die Ausgewogenheit des Gesamtprogramms sind zu gewährleisten.
(2) Rundfunk wird in öffentlicher Verantwortung und in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft betrieben. An der Kontrolle des Rundfunks sind die in Betracht kommenden bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Gruppen angemessen zu beteiligen. Der Anteil der von der Staatsregierung und dem Landtag in die Kontrollorgane entsandten Vertreter darf ein Drittel nicht übersteigen. Die weltanschaulichen und gesellschaftlichen Gruppen wählen oder berufen ihre Vertreter selbst.
(3) Das Nähere regelt ein Gesetz.