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100 Jahre Bergwacht Bayern Die Grenzen des Ehrenamts

Rund 5000 Mitglieder zählt die Bergwacht in Bayern, 99 Prozent leisten ihren Dienst ehrenamtlich. Nur so gelingt es, wirklich überall in den bayerischen Bergen präsent zu sein. Doch das Prinzip des Ehrenamts hat auch Nachteile.

Von: Sebastian Nachbar

Stand: 27.06.2020

Luftrettung im Gebirge | Bild: C.Vogg, BW Grainau

Mehr als 3000 Einsätze leisten die Mitglieder der Bergwacht im Sommerhalbjahr, das sind doppelt so viele wie 2008. Bergrettung verläuft ehrenamtlich. Wenn jemand in Bergnot gerät, verlassen die Retterinnen und Retter das Büro, die Werkstatt oder die Praxis - je nachdem, wo sie arbeiten. Was bei wenigen Einsätzen pro Woche gut möglich ist, bringt das System während der Hochsaison allerdings an die Grenzen. Arbeiten ist da kaum noch möglich, sagt Karsten Menzel, Bereitschaftsleiter der Bergwacht Oberstdorf: „Wir haben auch in so einem scharfen Monat wie im Juli durchaus Tage, wo ein oder zwei Einsätze sind, die gemütlich abgewickelt werden können. Wir haben aber auch Stresstage drin, wo sieben, acht, neun Einsätze teilweise parallel hintereinander laufen. Wo einer von acht Arbeitsstunden am Tag vielleicht zwei oder drei am Vormittag vielleicht noch beim Arbeiten ist und danach halt nicht mehr.“

Die letzten Meter eines langen Weges: Johann Westhauser nach seiner Rettung aus der Riesending-Höhle im Juni 2014

Die Bergrettung wird da zu einer Art Fulltimejob, der nebenbei abläuft. Das geht nur, wenn die Arbeitgeber ihre Leute für den Rettungsdienst großzügig freistellen. In Österreich, der Schweiz und in Frankreich führen professionelle Hubschrauber-Besatzungen die Bergrettungen oft alleine durch. In Bayern ist das rechtlich unmöglich, denn das Bayerische Rettungsdienstgesetz ist so formuliert, dass private Rettungsorganisationen keine Chance haben. Die ehrenamtlich organisierte Bergwacht hat also de facto ein Monopol. Das stärkt zwar ihre Position, erhöht aber gleichzeitig den Druck auf Bereitschaften mit hohem Einsatzaufkommen. Das ist eine enorme Last für ehrenamtliche Kräfte, sagt Thomas Lobensteiner, der stellvertretende Landesleiter der Bergwacht: „Sicherlich gibt es Ansätze, auch hauptamtliche Retter bei der Bergwacht einzustellen. Aber ich bin der Meinung, dass das auch sehr große Auswirkungen auf die Kameradschaft untereinander hat. Es muss sehr wohl überlegt werden, ob man so etwas in Zukunft angeht. Natürlich muss man diese Idee auch zulassen, vor allem, wenn man an die stark belasteten Hotspot-Bereitschaften denkt. Aber grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Bergwacht auch weiterhin überwiegend ihre Rettungen im ehrenamtlichen Bereich durchführen sollte.“

Gerade in der großen Zahl ihrer freiwilligen Mitglieder liegt für Lobensteiner die Schlagkraft der Bergwacht. Nur im Ehrenamt sei es möglich, viele Rettungskräfte für seltene Großlagen wie Vermisstensuchen oder Lawinenunglücke parat zu haben. Kein Unternehmen könne das finanzieren. Immer mehr Sorgen bereiten der Bergwacht aber die vielen Bergsteiger und Wanderer, die unverletzt Rettung brauchen, weil sie mit ihrer Tour überfordert sind und irgendwann verängstigt und erschöpft aufgeben, also „blockieren“, wie die Bergwacht sagt. Auch in Berchtesgaden ist das ein Thema. Dort ist Thomas Stöger Bereitschaftsleiter der Bergwacht. Er wünscht sich von den Bergsportlerinnen und Bergsportlern, dass sie ihr Tun am Berg besser reflektieren.

Immer mehr Verunglückte sind der Meinung, sie würden von professionellen Bergrettern geholt, die nur darauf warten, bis sich jemand verletzt. „Die stellen dann auch Ansprüche, die völlig überzogen sind. Das geht dann zum Teil so weit, dass manche die Rechnung bekritteln, die sie kriegen. Dieses Denken bereitet immer mehr Probleme“, sagt Stöger. Das mag auch daran liegen, dass immer mehr Leute in Bayerns Bergen unterwegs sind. Gerade die großen Bergwacht-Bereitschaften wie Oberstdorf, Garmisch-Partenkirchen und Berchtesgaden merken das besonders. Das erfordere schnelle und brauchbare Antworten, findet Stöger. Seiner Meinung nach hinkt die Bergwacht Bayern diesbezüglich mit ihrer ehrenamtlichen Führungsstruktur um Jahre hinterher. Deshalb geht die Bergwacht Berchtesgaden neue Wege bei der Finanzierung - etwa mit einem Förderverein, mit Crowdfunding-Kampagnen oder einem kommerziellen Sponsor. Das stößt bei anderen Bergwachten zum Teil auf Unverständnis. „Da begegnet einem auch ganz viel Neid“, so Stöger.

Trotzdem betont der Berchtesgadener Bergwacht-Chef, dass er seine Bereitschaft sehr wohl als Teil der Bergwacht Bayern versteht. Um das Aufkommen aber noch ehrenamtlich stemmen zu können, wollen er und seine Mitstreiter die Bergwacht Berchtesgaden möglichst effizient und professionell aufstellen. Der Gründungs-Gedanke der Bergwacht Bayern mit ihrem Anspruch an Naturschutz, gutem Benehmen und Kameradschaft im Gebirge hat für Stöger da kaum noch Platz: „Der Gegenpol zum Vereinsleben ist die Anforderung eines modernen Rettungsdienstes. Wir sind verpflichtet, dass wir 365 Tage im Jahr 24 Stunden lang Bereitschaft haben und einen Rettungsdienst im unwegsamen Gelände zu Verfügung stellen. Da sehe ich, dass die Schere im Denken auseinandergeht, in dem, was ich bereit bin, zu leisten. Wir sehen uns ganz klar als Bergretter. Im Sinn des Wortes: Retter. Und nicht als Wachtler.“


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