Biwak im Eiskeller Übernachtung in den "Baitels" der Livigno Alpen
Mehrere Tage mit Ski durchs Gebirge streifen und in alten Hirtenhütten übernachten. Das geht in den Livigno-Alpen, aber Achtung: Ganz so romantisch wie sich das anhört, wurde diese Skitour nicht.
Die Stille der Winterberge wird besonders spürbar, wenn man durch unbekanntes Gelände zieht oder draußen auf dem Berg übernachtet. Wir haben uns ein Baitel, so heißen die alten Hirtenhütten in den Livigno-Alpen, ausgesucht, das ganz oben auf einem Gipfel steht: auf dem Monte delle Rezze, knapp 2900 Meter hoch. Da braucht es allein schon eine Menge an Gepäck vom Schlafsack bis zum Essen, das man für eine Mehrtagestour mitschleppen muss. Und: Im Ofen knistert jetzt zwar unser Feuer, aber das Baitel, so schön es auf den Bildern auch ausschaut, ist ein Eiskeller!
Eine Hirtenhütte als Eiskeller
Die Kanister mit Wasser sind tiefgefroren. Auch draußen ist der Schnee total vereist. Es wird dauern, bis es den ersten warmen Tee gibt. Aber der Platz und das Konzept sind einmalig. Wir befinden uns auf einem Berggipfel in einem alten, aus Steinen aufgeschichteten und kunstvoll gewölbten Hüttenbau, in dem einst Hirten wohnten.
Dass die Baitel, wie diese Schutzhütten in Livigno genannt werden, uns Touristen offensteht, verdanken wir dem Baitel-Verein und Fabiano Monti, bei dem wir zuvor Erkundigungen eingeholt haben: „Um die Baitel kümmert sich eine Gruppe aus dem Tal, Jäger, auch Frauen sind dabei; die schauen danach und halten sie sauber. Sie sind immer offen.“ Und das Notwendigste, so hat uns der Bergführer gesagt, ist oben: „Es kostet nichts, aber jeder, der hinaufgeht, bringt etwas rauf, Bier oder was auch immer nützlich ist. Aber das Wichtigste ist, immer alles sauber zu hinterlassen. Wenn etwas nicht funktioniert oder kaputt gegangen ist oder das Holz zum Einheizen fehlt, dann schreibt man dem Tourismusbüro.
Eine kalte Nacht auf der Holzbank
Das Holz ist nicht ausgegangen, aber auch nach Stunden hat sich im Inneren des in Eis eingepackten Steinbaus nicht viel getan: Wir sitzen da in Daunenjacke, Mütze und Handschuhen. Behaglichkeit sieht anders aus! Und nachdem das Feuer im Ofen erlischt, kühlt der Raum binnen Stunden wieder auf seine Gefrierschrank-Temperatur ab. Am anderen Morgen knirscht der eisige Schnee so, wie sich unsere Knochen nach wenig Schlaf auf der harten Holzbank anfühlen.
Sonnenaufgang – endlich! Jetzt steht uns die Bergwelt offen: Um die 3000 Meter hoch sind die Gipfel und eigentlich alle so wenig schroff, dass sie mit Skiern bestiegen werden können – wir müssen nur wählen und überlassen uns ganz dem Instinkt, dem Gelände und der Zeit, fahren erst in ein Hochtal hinab, steigen dann auf der Gegenseite auf und traversieren ins nächste Tal - über Stunden und ganz allein auf weiter Flur. Die Sonne brennt intensiv, manche Hänge müssen wir schon um 10 Uhr umgehen. So passen wir unsere Entdeckerrunde dem Gelände an. Und ein 3000er ist auch dabei – auf der Karte ist er nur als Punkt ohne Namen vermerkt.
Spiel mit dem Gelände und den Bedingungen
Als ich es Fabiano Monti später erzähle, gefällt ihm unsere Tour. Es gibt so viele Möglichkeiten in den Livigno-Alpen, schwärmt er – deswegen ist er hergekommen: Fabiano Monti ist Bergführer, ursprünglich vom Comer See, hat dann in Davos am bekannten Institut für Schnee- und Lawinenforschung über Schneedeckenaufbau und die Stabilität des Schnees promoviert. Als „Lawinendoktor“ ging er 2013 nach Livigno und schlug dem Bürgermeister und dem Tourismuschef vor, ein Bergführer-Lawinenbüro aufzumachen, um den Freeride- und Skitourentourismus zu entwickeln. Das frühere Almdorf ist ein zollfreies Pistenskigebiet mit vorwiegend italienischem Publikum.
Fabiano hat das Angebot erweitert: „Wir haben einfache Skirouten entwickelt; sie stehen auf der Webseite und sind mit Stangen markiert. Sie sind sehr schön und speziell, mal liegt der Start weit weg von der Piste, aber die Abfahrt führt über eine Skipiste. Mal ist es umgekehrt. Die Idee ist, in natürlicher Umgebung abseits der Lifte, erste Erfahrungen zu machen.“
Damit das möglichst sicher ist, wurden diese Routen speziell ausgewählt. Und Fabiano Monti gewährleistet mit seinem Büro die bestmöglichen Informationen: Immer sonntags organisiert er ein Treffen in dem kleinen Lokal „Campo Base“, wo alle hinkommen können zu Informationsaustausch und Bier. Aber auch, um zu erfahren, wo man die besten Bedingungen findet. Und weil uns das alles so gut gefallen hat, hängen wir gleich noch eine zweite kalte Nacht auf der Holzbank im Baitel an.