Auf den Piz Cavradi über der Vorderrhein-Quelle Frühjahrs-Skitour in der Surselva
Um den jungen Rhein kommt man nicht herum, wenn man in der oberen Surselva auf Tour geht, denn er ist hier allgegenwärtig. Zwischen Andermatt und Disentis soll sich die Quelle des Vorderrheins befinden. Wo genau aber der Fluss entspringt, das ist nicht so einfach herauszubekommen, wenn der Rhein-Ursprung noch unter dem Schnee liegt.
Am Oberalppass befindet sich entgegen zahlreicher Vermutungen der Ursprung nicht - jedenfalls nicht dort, wo die Matterhorn-Gotthard-Bahn an der Höhe zwischen Urserntal und Surselva die Skitourengeher im verwehten Weiß aussetzt.
Dabei hat man eigens ein rotweiß geringeltes Leuchtfeuer in den Schnee gestellt. Bergführer Bruno Honegger erklärt, was es mit dem maritimen Wegweiser im Hochgebirge auf sich hat: „Der Leuchtturm soll ein Symbol sein, ein symbolischer Punkt der Rheinquelle.“ Der Bergführer weiß auch, dass man den Leuchtturm, neben dem die Skitourengeher starten, von der 1230 Kilometer entfernten Rheinmündung bei Rotterdam hierher an die Kantonsgrenze zwischen Graubünden und Uri quasi entführt hat. Die echte Rheinquelle will er uns später zeigen. Jetzt geht es erstmal mit ein paar Schwüngen im Pulverschnee hinab zu einer Handvoll Almhütten, die wie eine kleine Treppe in der Landschaft stehen. An der Alp Tschamut beginnt die Skitour zum Piz Cavradi. Als wir aufsteigen, ist alles in dichte Watte gehüllt: Nebel! Entlang von auffälligen Stangenmarkierungen geht es etwa eineinhalb Stunden aufwärts bis zur Maighels-Hütte des SAC.
Der Piz Cavradi ist quasi der Wächter über das obere Surselva-Tal und der Hausberg der Maighels-Hütte, auf der Bruno Honegger viele Jahre lang Wirt war. Klar, dass er voller Inbrunst vom Val Maighels als Touren-Paradies schwärmt: Pazzolastock, Piz Badus oder weiter hinten im Tal der Piz Borel – alles feine Skitourenziele. Unbeirrt zieht der Bergführer aus Sedrun nun seine Spur durch den Talboden. Als ein Rinnsal im Schnee auftaucht, erklärt er, dass man nun den Rhein überquere. Der habe seinen Ursprung nämlich gleich in der Nähe, ein paar Hundert Meter höher im Nebel. Ein See, der Lai da Tuma, ist die offizielle Quelle des Vorderrheins. Von dort fließt er das ganze Vorderrheintal hinaus bis nach Reichenau, wo er sich dann mit dem Hinterrhein vereint.
Zum Aufwärmen stoppen wir kurz in der Maighels-Hütte. Dann geht es weiter hinein in den steilen Schneehang, der zum Cavradi-Gipfel auf 2614 Meter Höhe hinaufführt. Das Panorama der Surselva-Berge kann sich angesichts der umherwabernden Wolkenfetzen diesmal nicht in voller Schönheit präsentieren. Die Skiabfahrt hinab zum Weiler Selva dagegen lockt mit Pulverschnee. Es ist ein wilder Ritt, der erst an einer Brücke über einen Bach endet. Und was ist das nun wieder für ein Gerinnsel? „Natürlich der Rhein!“, erklärt Honegger mit einem Schmunzeln. Im Winter fließt er hier sehr spärlich, doch im Sommer sieht man ihn schon als kleinen Bach. Erst weiter talabwärts wird der junge Rhein dann zum richtigen Fluss. Hier oben lässt er sich noch leichtfüßig mit wenigen Schritten überqueren.