Unter den Geislerspitzen Skitour auf die Medalges bei Lungiarü
Ruhe, das ist eine der großen Qualitäten des Bergsteigerdorfs Campill - Lungiarü, wie es in der ladinischen Sprache des Gadertals heißt. Ein alpiner Ort ohne Lifte, mit wenig Licht, wo der Sternenhimmel noch sichtbar ist, samt der Sternschnuppen. Vielleicht war ja auch der Stern von Bethlehem dabei?
Auch in Südtirol ist der Schnee südseitig bis hoch hinauf wieder zurückgeschmolzen, aber die Einheimischen haben dann schon den richtigen Tipp parat. Eigentlich wäre ich gern Richtung Peitlerkofel aufgestiegen, südseitig, die wärmende Sonne genießend - aber: zu wenig Schnee. Roman Clara, zuhause im Weiler Seres hoch oben in Lungiarü, gibt mir einen anderen Tipp: das Medalges-Tal unter dem Felskamm der Geislerspitzen. Hier kommt im Hochwinter keine Sonne herein und der Schnee hält sich.
Schattig und froststarrend
Schattig und froststarrend geht es los, unten im Tal entlang des wenig bekannten Teils der Geislerspitzen mit Blick auf Antersasc, Doleda und den Kapuziner, bis es im Wald wärmer und oben, kurz unter der Ütia Ciampcios, einer kleinen Hütte, auch sonnig wird. Weitläufiges Almgelände breitet sich hier aus: eine typische Kombination von sanften Bergwiesen, Kuppen und bizarren Felsgipfeln, die in der Furchetta über 3000 Meter hoch aufragen. Hier ist die Bergbauernkultur, die sich heute noch so eindrücklich in den Häusern und Weilern von Lungiarü abbildet, über Jahrhunderte gewachsen.
Alte und neue Weihnachtstradition im Bergdorf
Romans Mutter, Rosalia Pedevila stellt noch eine Brücke in die alte Zeit her, in der Weihnachten und der Monat Dezember noch einen ganz anderen Stellenwert hatten: Jeden Tag gingen die Kinder früh um sechs in die Kirche zur Morgenandacht. Mehr oder weniger unbewusst hat die streng katholische Tradition des vorweihnachtlichen Frühgebets bei den Kindern eine besondere Achtsamkeit für diese Tage bewirkt. So ist die als Kind erlebte Weihnachtszeit der 1953 geborenen Bauerntochter glücklich in Erinnerung geblieben, obwohl es praktisch keine Geschenke gab. Ein Teller mit Keksen, also Plätzchen, war das Höchste, das die kleine Rosalia und ihre neun Geschwister erwarten durften. Trotzdem, so erklärt sie, waren alle zufriedener damals.
Die Weihnachtsnacht im Tiefschnee
Ein Weihnachtserlebnis steht Rosalia Pedevila besonders lebendig vor Augen: der Gang zur Christmette um Mitternacht – „mesanuet“ auf Ladinisch. Vorher hatten die Kinder noch etwas geschlafen, dann zogen sie los, es schneite und schneite dicke Flocken. Aus dem Gadertal klangen die Glocken herein nach Lungiarü. Es war ein richtiges Weihnachtsgeschenk, sagt Rosalia, und es ist ihr so lebendig in der Erinnerung bis heute geblieben.
Stille erfahren
Glocken in der Weihnachtszeit können auch die Stille erfahrbar machen. Jetzt, auf meiner Skitour über die sanften Kuppen der Medalges-Alm, herrscht einfach nur pure Stille. Holzstadel werfen lange Schatten. Sonst gar nichts, kein Flugzeug. Die Sonne kratzt gerade noch über den ausgefransten Gipfel der Furchetta, der Gabelspitze. Im Westen über dem Villnößtal säumt das weiße Relief des Alpenhauptkamms den Horizont, im Osten steht von der Nachmittagssonne rostockerfarben getränkt die Fanes mit dem Heiligkreuzkofel. Vor mir ragen schattengrau die Geislerspitzen auf, hoch neben mir der Peitlerkofel, sonst nichts, ich bin ein einsamer Mensch über den Tälern; die Weite und Größe der Berge spürend, die das Leben der Menschen hier immer bestimmt haben.
Die Sternschnuppen zur Weihnachtszeit
Weil in Lungariü kaum ein Licht den Nachthimmel stört, braucht es nur ein paar Schritte vom Haus weg, um in klarer Winternacht den ganzen Sternenhimmel zu sehen - und die Sternschnuppen, dank der Geminiden, die in diesen Tagen durchs Firmament stürzen. Und plötzlich, ups – war das gerade der Stern von Bethlehem?