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Rückblick auf das extreme Juli-Unwetter im Aostatal Saisonende in Cogne

Das Bergdorf Cogne in einem Seitental des Aostatals hat in diesem Jahr Schlagzeilen gemacht, weil die rund 1500 Einwohner nach einem Unwetter mit Muren und Überflutungen vier Wochen lang von der Außenwelt abgeschnitten waren. Umso fröhlicher wurde jetzt mit dem Almabtrieb das glückliche Ende der Sommersaison gefeiert.

Von: Georg Bayerle

Stand: 11.10.2024

Rückblick auf das extreme Juli-Unwetter im Aostatal | Bild: BR; Georg Bayerle

Fröhlich und aufgeregt klingen die Schellen der wolligen Schafe, wie ein Nachhall des 1000 Meter-Abstiegs von den Weiden unter dem Gran Paradiso, während sie in den Pferch auf dem Dorfanger getrieben werden.

Der Hirte ist glücklich

Dem Hirten Enrico Cavagnet, ein kräftiger Bergler mit silbergrauem Vollbart und tief ins Gesicht eingegrabenen Lachfalten um die Augen, sieht man die Anstrengung nicht an. Freude strahlt aus seinen hellen Augen, denn es ist alles gutgegangen. Vor allem vor einer schmalen Brücke über den Bergbach hatte er Angst. Sie war nach dem Unwetter nur notdürftig aufgebaut worden und ist so schmal, dass die Schafe nur im Gänsemarsch darüber gehen können. Aber jetzt sind alle wohlbehalten im Tal, knapp 700 Tiere. Auch der Wolf ist nicht aufgetaucht. Wir waren „bravi e fortunati“, sagt er, tapfer und vom Glück begleitet.

Schau der prächtigen Almtiere

Königin der Kuhkämpfe

Das gilt auch für Paula Bertoli und ihre Familie auf der Fattoria di Gran Paradiso, einer Alm mit Gastbetrieb am Talschluss. Hier klingen die Glocken in einer kräftigeren und dunklen Tonlage, denn sie werden von den stämmigen schwarzen Valdostaner Kühen getragen. Besonders herausgeputzt sind die Regine, die Königinnen der Kuhkämpfe, die hier eine Woche zuvor ausgetragen wurden. Die Tiere folgen ihrem Naturinstinkt und machen mit wuchtigen Duellen die Rangordnung in der Herde aus. Die Valdostaner Rinder sind eine stämmige, muskulöse Rasse. Aus ihrer Milch entsteht der bekannte Fontina-Almkäse, auch das Fleisch ist wertvoll. Abgesehen von den vier Wochen, in denen sie von der Außenwelt abgeschnitten waren, lief die Saison gut, berichtet Paula. Im August sind die Gäste wieder gekommen, und so konnte aufgeholt werden, was nach dem Unwetter verloren schien.

Cogne non si ferma – ein Ort hält durch

Spuren der Zerstörung

Es grenzt an ein kleines Wunder und zeugt gleichzeitig von der Beharrlichkeit und Ausdauer der Leute. An einem halben Dutzend Stellen an der Straße sind immer noch die Bagger im Einsatz, stückweise ist die Straße nur behelfsmäßig hergerichtet. Handyvideos von Einwohnern zeigen, welche Schlamm- und Wassermassen sich durch die Dörfer ergossen und alles mitgerissen haben. Glücklicherweise gab es kein Todesopfer. An der Stelle, wo zuvor der Bergbach durch einen grünen Wald geströmt ist, haben Muren und Fluten einen hundert Meter breiten Schuttstrom voller Felsbrocken und Baumtrümmer hinterlassen. In nur sechs Stunden hat das Unwetter alles abgeräumt und dabei auch die Wasserversorgung des Ortes zerstört. In der kollektiven Erinnerung der vergangenen 100 Jahre hat es etwas Derartiges nie gegeben. Während die eingeschlossenen Urlauber nach und nach mit Hubschraubern ausgeflogen wurden, haben alle Einwohner zusammengeholfen und die Wasserversorgung innerhalb von 40 Stunden provisorisch repariert. Cogne wurde so als ein Ort wahrgenommen, wo die Leute wissen, wie sie auf so ein Ereignis reagieren müssen, sagt die Tourismuschefin.

Die Widerstandskraft eines Bergdorfs

Pause bei der Almfeier

Die Besucherzahlen waren im August und September sogar leicht höher als im Vorjahr. Ohne Seilbahnen und als Ort am und im Nationalpark Gran Paradiso lebt Cogne ganz vom sanften Tourismus und gehört zum Netzwerk der „Alpine Pearls“, das sich um klimafreundliche Mobilität und sanften Tourismus bemüht. Die glücklichen Tage des Almabtriebs hatten daher in diesem Jahr eine besondere Bedeutung für den Ort, der seine Bergbauernkultur noch sehr traditionell feiert. An Ständen werden handwerklich gemachte Textilien, Tonwaren und natürlich Käse, Würste und Schinken verkauft, dazu Valdostaner Weine von weiter unten im Tal. Alles 0-Kilometer-Produkte, also ohne weiten Transport und wirklich aus der Region, lautet das Motto. Gerade in diesem Sommer hat die Bergkultur gezeigt, wie vital und widerstandskräftig sie ist.


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