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Gefäße Aorten-Aneurysma – die tickende Zeitbombe an der Hauptschlagader

Jedes Jahr erkranken über 30.000 Menschen in Deutschland an einem Aorten-Aneurysma. Wenn diese Erweiterungen der Hauptschlagader zu groß werden, droht eine gefährliche Aortendissektion. Wann muss operiert werden, welche Arten von chirurgischen Eingriffen gibt es und wie bemerkt man ein Aneurysma?

Von: Florian Heinhold

Stand: 23.04.2024

Gefäße: Aorten-Aneurysma – die tickende Zeitbombe an der Hauptschlagader

So hatte sich Enrico Regel seinen Urlaub in Bayern nicht vorgestellt. Alles fing ganz harmlos mit Rückenschmerzen an. Vom Urlaubsort am Staffelsee fährt er in die nächste Klinik. Dort wird ein CT gemacht und das zeigt ein beunruhigendes Ergebnis: Die Aorta ist eingerissen. Lebensgefahr. "Es hat sich eher angefühlt, als ob ich mir einen Nerv eingeklemmt habe. Aber dann hieß es: Herr Regel, in 15 Minuten ist der Rettungshubschrauber da und sie fliegen in die Uniklinik nach München", erzählt er.

Bei einem Aorten-Aneurysma muss es schnell gehen

Im Klinikum Großhadern wird er sofort notoperiert. Die Aorta verläuft vom Herz über den Bauchraum bis zu den Beinarterien. Seit diesem Jahr wird sie sogar als eigenes Organ eingestuft. Ab circa 60 Jahren steigt das Risiko, ein Aneurysma zu entwickeln. Neben dem Alter spielen auch Bluthochdruck und genetische Faktoren eine Rolle. Erreicht das Aneurysma eine Größe von mehr als 5 cm droht eine Aortendissektion – wie bei Enrico Regel. Dabei reißt zunächst die innerste Schicht der Aorta, Blut dringt ein und drückt auf die Gefäßwand.

"Die Aortendissektion ist eine extrem tödliche Krankheit. Und da geht es um Zeit. Wir wissen, wir haben sechs bis acht Stunden, bevor die größeren Komplikationen kommen, das heißt bevor die Hauptschlagader wirklich einreißt und Blut austritt."

Prof. Dr. med. Sven Peterß Herzchirurg, LMU Klinikum, München-Großhadern

Welche Art der Operation zum Einsatz kommt, wird individuell für jeden Patienten entschieden. Eine entscheidende Rolle spielt dabei, an welcher Stelle die Aorta betroffen ist. Aneurysmen der aufsteigenden Aorta und des Aortenbogens sind meist ein Fall für eine offene, herzchirurgische Operation. Der Patient ist dabei an die Herzlungenmaschine angeschlossen. Bei dem Eingriff wird der defekte Teil der Aorta entfernt und durch eine Prothese ersetzt. Unter Umständen muss auch die Herzklappe ersetzt werden. Einen solche OP hatte auch Enrico Regel.

"Eben noch beim Fernsehschauen und eine Stunde später auf dem OP-Tisch. Ich hatte eigentlich nur Glück, es hätte auch anders ausgehen können."

Enrico Regel, Patient

In Zukunft wird er regelmäßig zur Kontrolle müssen, auf den Blutdruck achten und Sportarten mit abrupten Belastungen wie Gewichtheben eher vermeiden. Prothesen wie seine gelten als besonders nachhaltig, erklärt Herzchirurg Peterß: "Wenn er seinen Blutdruck gut einstellt und nicht überbelastet, kann es sein, dass er ins hohe Alter kommt, ohne dass man nochmal tätig werden muss." Prof. Peterß glaubt, dass die neue Einstufung der Aorta als Organ hilfreich ist, um mehr Aufmerksamkeit für die Aorta zu erzeugen.

"Man kommt weg davon, die Aorta nur als Schlauchverbindung zwischen Herz und Organen anzusehen. Sie hat eine sehr komplexe Struktur, sie hat Ernährungsstrukturen, sie hat eine eigene Blutversorgung, sie muss dem täglichen Blutdruck bei jedem Herzschlag standhalten, sie hat eine sehr komplexe Mechanik."

Prof. Dr. med. Sven Peterß Herzchirurg, LMU Klinikum, München-Großhadern

Endovaskuläre Eingriffe

Am Aortenzentrum des Münchener LMU-Klinikums arbeiten Herzchirurgen und Gefäßchirurgen eng zusammen. Bei den meisten Patienten von Prof. Nikolaos Tsilimparis wurde ein Aneurysma nur durch Zufall bemerkt. In einem der Patientenzimmer auf der Gefäßchirurgischen Station wartet Ludwig Alles auf seine Operation. Er war an Weihnachten gestürzt und mit einem Knochenbruch ins Krankenhaus gekommen: "Dann hat man also festgestellt: es gibt noch einen Zufallsbefund. Und zwar ist die Aorta anstatt drei Zentimeter sechs Zentimeter dick."

Morgen wird Prof. Tsilimparis sein Aneurysma im Bauchraum mit einer Stentprothese ausschalten. Das Blut hat dann keinen Kontakt mehr zur geschwächten Gefäßwand, sondern fließt durch den Stent.

"Ab diesem Moment ist das Aneurysma ausgeschaltet und Sie sind tatsächlich vor einer Ruptur geschützt. Viele Patienten empfinden das als eine tickende Bombe und wir freuen uns, wenn wir die Bombe entschärfen können."

Prof. Dr. med. Nikolaos Tsilimparis Gefäßchirurg, LMU Klinikum, München-Großhadern

Der Eingriff von Ludwig Alles findet unter Vollnarkose statt. Das Aneurysma ist mit 6 cm besonders groß und betrifft die Aorta an den Stellen, an denen die Nieren-, Darm- und Leberarterien abzweigen. Das Team um Professor Tsilimparis muss den Stent so einsetzen, dass die Blutversorgung der Organe weiter funktioniert, jede kleinste Abweichung hätte schwere Folgen. "Wenn wir es nicht schaffen, dann verliert der Patient seine Niere oder der Darm wird nicht durchblutet. Das wäre natürlich eine Katastrophe", erklärt Prof. Tsilimparis.

Der Eingriff erfolgt endovaskulär. Über Zugänge an der Leiste führt das Team zunächst den großen Stent, der das Aneurysma überbrücken soll, in die Aorta. Die Prothese wurde speziell für Ludwig Alles angefertigt und aus Australien nach München geliefert. Sobald die Hauptprothese sitzt, wird es kleinteilig. In Millimeterarbeit muss das Team insgesamt sechs kleinere Stents einsetzen, um die Nieren-, Darm-, Leber- und Beinarterien an die neue Prothese anzuschließen. Bei der entscheidenden Kontrolle sind alle Blicke gespannt auf die Bildschirme im OP-Saal gerichtet. Dann verkündet Professor Tsilimparis das Ergebnis des Eingriffs: "Es ist super gelaufen, wir sind sehr zufrieden. Wir haben alles angeschlossen, das Aneurysma ist ausgeschaltet."

Mehrere Stunden nach der OP können wir Ludwig Alles auf der Intensivstation besuchen. Er ist schon wieder wach und fühlt sich den Umständen entsprechend gut. Übrigens: Für Männer ab 65 zahlt die Kasse ein Aortenscreening auf Aneurysmen im Bauchraum. Frauen sind statistisch deutlich seltener betroffen, dennoch setzten sich Ärztinnen und Ärzte dafür ein, dass auch für sie ein Screening in den Leistungskatalog der Kassen aufgenommen wird: Damit die Zeitbombe Aneurysma entdeckt wird, bevor sie explodiert.


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