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Leben mit Krebs Krebs: Was Hoffnung und Mut macht

Jedes Jahr sterben 250.000 Menschen in Deutschland an Krebs, der zweithäufigsten Todesursache nach Herz-Kreislauferkrankungen. Doch es gibt auch Hoffnung: Krebs ist immer besser therapierbar. Und es gibt sehr gute Beratungsangebote.

Von: Tom Fleckenstein

Stand: 27.10.2023

Patrick Fröhlich: Aufgeben ist keine Option

Patrick Fröhlich aus Nürnberg ist 37 Jahre jung, lebt gesund und geht regelmäßig ins Fitness-Studio. Als Polizist beim Sondereinsatzkommando USK übersteht er harte Einsätze. Doch dann verspürt er plötzlich Schmerzen im Rücken. Danach erhält er die überraschende Diagnose: Hodenkrebs. Er war am Boden zerstört, doch Aufgeben ist für ihn keine Option.

"Mein erster Gedanke war, ich muss sterben, ich habe nicht mehr lang zu leben."

Patrick Fröhlich 

Hodenkrebs ist heilbar – selbst dann noch, wenn er wiederkehrt

Hodenkrebs ist die häufigste Krebsart vor allem junger Männern. Rund 4000 erkranken pro Jahr in Deutschland. Eigentlich ist Hodenkrebs sehr gut heilbar. Gefährlicher wird es jedoch, wenn der Tumor wie bei ihm „rezidiv“ ist, also wiederkommt. Oberärztin Sabine Dressler vom Nürnberger Nordklinikum behandelt Patrick Fröhlich.

"Bei ihm ist natürlich das Bittere, dass er eigentlich eine Heilungschance von über 90 Prozent hatte und dass es trotzdem zum Rückfall gekommen ist. Er hatte Metastasen im Bauchraum, am Hals, und in der Lunge. Das Ziel der Chemotherapie ist eine Zerstörung aller Tumorzellen."

Dr. med. Sabine Dreßler, Fachärztin für  Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Klinikum Nürnberg

Stammzelltherapie notwendig nach Chemotherapie

Außerdem bekommt Patrick eine Stammzellentherapie. Dafür wurden im Labor Millionen von Stammzellen aus seinem Knochenmark gewonnen. Die körpereigenen Zellen sorgen dafür, dass er schnell wieder weiße Blutkörperchen bilden kann, die die Chemotherapie zerstört hat. Das ist wichtig für die Immunabwehr. Sonst könnte der kleinste Infekt tödlich sein. Liegen genug Stammzellen vor, kann sie Sabine Dreßler ihrem Patienten per Infusion verabreichen. Die Heilungschancen stehen jetzt „fifty fifty“.

Die Hochdosis seiner Chemotherapie verkraftet Patrick Fröhlich gut. Danach steht eine schwierige Operation an. Aus seinem Bauchraum werden 37 Lymphknoten entfernt. Dabei wird eine Arterie verletzt. Er verliert drei Liter Blut und landet auf der Intensivstation. Die gute Nachricht: Das Gewebe ist tumorfrei, was ihm wieder Hoffnung macht.

Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs hilft

Geholfen hat Patrick Fröhlich auch der Kontakt zur Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Dort erhalten Betroffene praktische Tipps im Umgang mit der Erkrankung, individuelle Beratung und die Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen. Pro Jahr erkranken über 16.000 junge Menschen zwischen 18 und 39 Jahren an Krebs. Die Stiftung wurde 2014 von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie DGHO gegründet. Sie will die Erforschung von Krebs bei jungen Erwachsenen fördern sowie Heilungschancen verbessern.

Sabine Behner: Malen gibt Kraft

Sabine Behner aus Passau erhält 2016 die schlimmste Nachricht ihres Lebens: Brustkrebs. Sie ist eine von 70.000 Patientinnen in Deutschland, die jedes Jahr diese Diagnose bekommen. Doch immer weniger Frauen sterben am sogenannten „Mamakarzinom“: 18.000 pro Jahr.
Frauenarzt Christian Ziselsberger aus Hutthurm in Niederbayern beobachtet aber, dass seine Patientinnen mit Brustkrebs immer jünger werden. Die jüngste in seiner Praxis erkrankte mit 22 Jahren.

"Brustkrebs ist der häufigste Krebs bei Frauen. Jede siebte bis achte Frau erkrankt in ihrem Leben. Das war vor 30 Jahren noch jede zwanzigste. Man weiß nicht genau, woran das liegt. Aber ein großer Anteil ist genetisch bedingt. Die Mutter oder Großmutter war schon an Brustkrebs erkrankt. Und dann kommen Umweltfaktoren dazu. Unter anderem auch die Hormonersatztherapie oder die Pille, also die Gabe von Hormonen über einen längeren Zeitraum."

Christian Ziselsberger, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, Hutthurm

Krebserkrankungen: Regelmäßige Kontrolle wichtig

Viermal pro Jahr muss Sabine Behner zur Kontrolle. Dabei tastet der Gynäkologe die Brust nach Verhärtungen ab. Auch die Ultraschallgeräte arbeiten immer präziser. Sabine Behner kann aufatmen: Das Gewebe ist unauffällig. Aber von einer Heilung kann man offiziell erst nach fünf Jahren sprechen. Christian Ziselsberger ist noch vorsichtiger.

"Es kann auch für immer gut gehen, aber es kann auch sein, dass sie in eine paar Jahren wieder ein Rezidiv, also einen Rückfall hat. Viele Patientinnen bleiben über Jahre gesund. Doch nach zehn Jahren haben sie irgendwo eine Metastase in Lunge, Leber, Knochen oder Gehirn, das kann alles sein."

Christian Ziselsberger, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, Hutthurm

Unterstützung durch Bayerische Krebsgesellschaft

Sabine Behner trifft sich regelmäßig in Passau mit anderen Betroffenen bei der Bayerische Krebsgesellschaft. In den Gesprächen geht es dabei selten um die Krankheit. Normalität tut gut, sagt die 59-jährige Pfälzerin.

"Man fokussiert sich dann nicht so auf sich selbst und seine Krankheit, sondern man sieht, dass es anderen genauso geht und es immer eine Lösung gibt. Hier sind auch manche dabei, die depressiver geworden sind durch den Krebs. Ich kann denen auch viel geben."

Sabine Behner

Krebskranke und Arbeitswelt: oft ausgegrenzt

Im Raum hängen ihre Aquarelle. Den Verkaufserlös spendet sie der Bayerischen Krebsgesellschaft. Die unterstützt Krebskranke auch finanziell mit einmaligen Zuschüssen. Menschen, die nicht mehr mithalten können, sind in der Gesellschaft schnell ausgegrenzt, beobachtet die Leiterin der Beratungsstelle, Martina Oswald.

"Die Arbeitswelt ist oft so dicht und es ist oft so schwierig für diese Menschen, die unsicher sind: Kann ich den Belastungen noch standhalten, schaff ich das noch? Es geht darum, seinen Platz zu finden, auch mit den Einschränkungen durch Krebs."

Martina Oswald, Dipl.-Sozialpädagogin (FH), Psychoonkologin (DKG), Gestalttherapeutin (DVG), Bayerische Krebsgesellschaft, Beratungsstelle Passau

Wegen ihrer Krebserkrankung konnte Sabine Behner jahrelang nicht mehr arbeiten. Jetzt läuft die berufliche Wiedereingliederung. In der Passauer Altstadt leitet sie die Filiale einer Lederwarenkette. Lohnfortzahlung und Krankengeld gibt es für eineinhalb Jahre, 63 Prozent des Bruttolohns. Danach müsste sie Arbeitslosengeld beantragen. Nach der Scheidung reichen für die dreifache Mutter, die weitgehend alleinerziehend war, die Altersbezüge nicht aus.

"Es läuft schleppend, ich bin einfach noch kaputt, ich weiß nicht, ob ich diese sieben oder acht Arbeitsstunden am Tag oder mehr durchhalten oder bringen kann. Es ist sehr schwierig. Ich glaube nicht, dass man in Deutschland von 550 Euro Rentenanspruch leben kann."

Sabine Behner

Sabine Behner macht sich Sorgen, dass der Brustkrebs durch zu viel Stress zurückkommen könnte. Von einer Heilung würde man bei ihr offiziell erst in vier Jahren sprechen. Unterdessen ist sie stolz darauf, was sie allein im Kampf gegen den Krebs geschafft und an mentaler Stärke gewonnen hat.

"Meinen geistigen Kampf habe ich bestimmt gewonnen, den werde ich auch immer gewinnen. Der kriegt mich nicht klein, es kriegt mich so schnell gar nichts mehr klein. Man ist immer im Ungewissen, aber man darf sich nicht zu viel damit beschäftigen, sonst kann man seine innere Freiheit, die man erreicht hat durch die Verarbeitung der Krankheit, gar nicht genießen."

Sabine Behner

Wenn Krebs nicht mehr heilbar ist

Als Angelika Wilkening die Diagnose Brustkrebs erhält, werden außerdem Metastasen im Knochenskelett festgestellt. Die 69-jährige Sozialpädagogin arbeitete in der Frühförderung mit Kindern und stand kurz vor dem verdienten Ruhestand. Im ersten Moment war sie geschockt:

"Es war eine Zufallsdiagnose, ich hatte Magen-Darm Probleme und war deswegen zu einer Untersuchung und da hat der Radiologe die Metastasen im Beckenkamm entdeckt. Mein erster Gedanke, der mir durch den Kopf schoss: Wieviel Zeit bleibt mir noch? Es war ja alles sehr überraschend."

Angelika Wilkening

Der Krebs ist schon weit fortgeschritten. Die üblichen schulmedizinischen Therapien machen keinen Sinn mehr, sagen ihre Ärzte. Dass sie eventuell nicht mehr lange leben würde, macht ihr zunächst große Angst, aber dann konzentriert sie sich auf jeden Moment und empfindet jeden neuen Tag als Geschenk.

"Ich lebe jetzt. Wenn auch keine OP mehr möglich ist, keine Bestrahlung, keine Chemo. Ich versuche jetzt das Schönste draus zu machen, genieße die gewonnene Zeit, weil ich ja keine aufwendigen Behandlungen haben muss."

Angelika Wilkening

Komplementärmedizin stärkt Immunsystem

Weil sie keine Chemotherapie machen muss, bleiben ihr körperliche Torturen erspart. Unterdessen ernährt sie sich gesund. Und bekommt Biphosphonat gegen den Knochenabbau sowie Medikamente, die das hormonell bedingte Wachstum der Tumorzellen hemmen. Immer mit der Hoffnung, dass die Metastasierung verlangsamt oder im Idealfall gestoppt wird und vor allen Dingen keine Metastasierung der inneren Organe stattfindet. Der Tumor hat bei Angelika Wilkening seit drei Jahren nicht mehr gestreut.  

Im Münchner Universitätsklinikum und dem CCC, dem Comprehensive Cancer Center, bekommt sie Hilfe. Jetzt geht es darum, das Immunsystem zu stärken und die Lebensqualität zu erhalten. Ambulant und kostenfrei berät sie Wolfgang Dörfler. Er ist Arzt für Komplementärmedizin. Die versteht sich als Ergänzung zur Schulmedizin. So senkt - das haben Studien ergeben - ausreichend Vitamin D das Rückfallrisiko, sagt der Facharzt für Neurologie und Naturheilverfahren.

"Wenn jemand, den eine Tumorerkrankung ereilt hat, anfängt, gut mit Vitamin D versorgt zu sein, einfach nur innerhalb des Referenzrahmens, dann kann das Wiedererkrankungsrisiko im Durchschnitt um 10 Prozent vermindert werden."

Wolfgang Dörfler, Facharzt für Neurologie, Arzt für Naturheilverfahren, Comprehensive Cancer Center LMU Klinikum

Daher empfiehlt er, den Vitamin-D-Wert regelmäßig messen zu lassen, auch wenn viele Kassen das Labor in der Regel nicht bezahlen, nur bei einem Verdacht auf Vitamin-D-Mangel. Auf der anderen Seite ist nicht erwiesen, dass Vitamin D einer Krebserkrankung vorbeugt.

Psychische Beratung beim Verein „lebensmut“

Eine wichtige Rolle spielt auch die Psyche. Angelika Wilkening fiel es lange Zeit schwer, Hilfe anzunehmen. Doch im Verein lebensmut e.V. , der ebenfalls im LMU Klinikum sitzt, fühlt sie sich bei der Psycho-Onkologin Karen Stumpenhusen gut aufgehoben. Die bewundert die Stärke, mit der gerade viele ältere Menschen mit Krebs umgehen.

"Es ist auch gerade bei den älteren Krebspatienten so, dass eine Riesenressource die Lebenserfahrung ist. Viele ältere Menschen haben in ihrem Leben schon viele Talsohlen gehabt, und haben einen gut gefüllten Rucksack mit Strategien, wie sie durch Talsohlen durchkommen."

Karen Stumpenhusen, Sozialpädagogin/Psycho-Onkologin i. W., Comprehensive Cancer Center LMU Klinikum

Einmal im Monat bietet der Verein Wanderungen an. Die positiven Wirkungen von Bewegung an der frischen Luft, Kräftigungsübungen und Gymnastik sind wissenschaftlich erwiesen. Bei einer Krebserkrankung wirkt Sport regenerativ, kann einer chronischen Müdigkeit vorbeugen und die Nebenwirkungen durch Medikamente lindern.

Adressen und Ansprechpartner

Bayerische Krebsgesellschaft e.V.
Nymphenburger Straße 21a 
80335 München
Tel. 089 - 54 88 40 -45 
info@bayerische–krebsgesellschaft.de


Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs
Chausseestr. 50
10115 Berlin
Tel.: 030-28093056-0
info@junge-erwachsene-mit-krebs.de


lebensmut e.V.
LMU Klinikum
Marchioninistr. 15
81377 München
Tel.: 089-4400-74903
lebensmut@med.uni-muenchen.de


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