Gefahr vs. Heilung Prostata-Krebs: Was bringt ein PSA-Screening?
Es ist die häufigste Krebserkrankung bei Männern: das Prostatakarzinom. Um die Krankheit früh zu erkennen und damit die Heilungschancen zu erhöhen, nutzen Ärzte unter anderem den Bluttest auf das prostataspezifische Antigen, kurz PSA-Test. Doch Experten warnen, dieser schade mehr als er nutze.
Martin Rutenberg denkt nur ungern an das Thema Früherkennung. Er weiß zwar, dass er mit seinen 53 Jahren schon beim Prostata-Check gewesen sein sollte – ab 45 wird dieser empfohlen. Doch der Faschingsfan und Hobbyfilmer genießt das Leben und fühlt sich fit. Den Gang zum Urologen hat er aufgeschoben.
Ist der PSA-Test zur Früherkennung schädlich?
Dass Früherkennung nun sogar schädlich sein soll, verunsichert ihn obendrein. Für die Schlagzeilen zum PSA-Test hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen gesorgt. Im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses wurde dort untersucht, ob die Krankenkassen PSA-Tests flächendeckend zahlen sollten. Das Ergebnis: ein klares Nein.
"Unsere Kritik bezieht sich darauf, dass man mit diesem Test sehr viele Männer völlig umsonst nervös macht. In Zahlen ausgedrückt, bedeutet das, dass etwa das Risiko durch den PSA-Test eine unnütze Behandlung zu erhalten, eine unnütze Krebsdiagnose, von der man am Ende überhaupt nichts gemerkt hätte, dass dieses Risiko etwa 10-20-fach höher ist als der Vorteil eines solchen Screenings."
Prof. Dr. med. Stefan Sauerland, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
Tastuntersuchung für mögliche Prostata-Erkrankung
Wann ist eine Krebsbehandlung unnütz? Martin Rutenberg holt sich Rat beim Urologen. Bisher bezahlt die Krankenkasse zur Früherkennung nur die Tastuntersuchung, bei der der Arzt übers Rektum mit dem Finger nach Veränderungen sucht. Dr. Nicolas Haseke empfiehlt ihm, zusätzlich den PSA-Wert zu bestimmen. Das kostet den Patienten rund 25 Euro. Ist der Wert erhöht, kann er auf verschiedene Erkrankungen der Prostata hinweisen.
"Wenn man sich überlegt, dass mehr als 60.000 Patienten jedes Jahr am Prostatakarzinom erkranken, sollte man wirklich jede Möglichkeit nutzen. Und dazu gehört dieser Wert. Wenn man ein Prostatakarzinom diagnostiziert, heißt das ja noch lange nicht, dass man es auch therapieren muss. Es unterscheidet sich immer in der Aggressivität. Oft reicht es auch zu beobachten. Deswegen ist dieser PSA-Wert ein zusätzlicher Baustein für eine adäquate Prostata-Früherkennungsuntersuchung."
Dr. med. Nicolas Haseke, Urologe, München
Wert kann auch durch Sport oder Sex erhöht sein
Ein Wert von mehr als vier Nanogramm pro Milliliter kann ein Hinweis auf eine Erkrankung der Prostata sein, auch auf Krebs. Der Wert kann aber auch nach einer Fahrradtour oder nach dem Sex erhöht sein. Deshalb ist es wichtig, ihn richtig zu interpretieren und über längere Zeit zu beobachten.
Nicht zu spät zum Urologen gehen
Die Früherkennung hat Franz Stadler als jüngerer Mann verdrängt. Er ging erst mit Anfang 60 zum Urologen, als er schon Beschwerden hatte. Die Diagnose: ein aggressiver Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium. Für ihn war das ein großer Schock.
"Das war wirklich der Hammer. Mich psychologisch so zu fassen und wiederzufinden, das war ein schwerer Weg."
Franz Stadler, Prostatakrebs-Patient
Der Krebs hatte bereits gestreut. Die Metastasen behandelt Urologe Prof. Dr. med Maximilian Burger vom Caritas-Krankenhaus St. Josef in Regensburg heute medikamentös. Er kann die Krankheit noch bremsen, aber nicht mehr stoppen.
"Hätte Herr Stadler viel früher mit einer stringenten, regelmäßigen Vorsorge angefangen, hätte man es vielleicht vermeiden können."
Prof. Dr. med Maximilian Burger, Urologe, Caritas-Krankenhaus St. Josef, Regensburg
Seit Franz Stadlers Prostata operativ entfernt wurde, muss er regelmäßig die umliegenden Organe untersuchen lassen. Eine mögliche Nebenwirkung nach einer Prostata-Entfernung ist Impotenz. Auch Franz Stadler leidet darunter. Trotzdem ist er dankbar, dass er lebt.
Sorge vor Übertherapie und unnötig verängstigten Männern
Beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen befürchtet man, dass solche Nebenwirkungen auch Männern drohen, bei denen eine Behandlung nicht nötig wäre – durch Übertherapie.
"Ich glaube nicht, dass die Urologen leichtfertig operieren oder die Radiologen leichtfertig bestrahlen. Es ist nur schwierig und es erfordert sehr viel gutes Zureden, den Männern zu vermitteln, dass bei einem nachgewiesenen Prostatakarzinom dieser Zustand erst einmal nicht so bedrohlich ist, wie man das von einer Krebsdiagnose erwartet. Und da fehlt in der Praxis oft Zeit und Geduld, das den Männern zu erklären."
Prof. Dr. med. Stefan Sauerland
Prof. Burger sieht diese Gefahr nicht. Er lässt heute selbst zum ersten Mal seinen PSA-Wert bestimmen. Mit 45, wie es die Fachgesellschaft empfiehlt. Ab 4 Nanogramm gilt der Wert als erhöht und sollte abgeklärt werden. Prostatakrebs wächst langsam und würde deshalb im Leben mancher Betroffener nie auffallen. Der Urologe findet: Der Test ist trotzdem wertvoll – vorausgesetzt er wird richtig angewendet.
"Man würde ihn falsch anwenden, indem man bei jedem positiven Ergebnis sofort eine diagnostische Maschinerie anwerfen würde und aus jedem Krebsnachweis eine maximale Therapie als Konsequenz ziehen würde. Das wäre eine Verkettung, die verkehrt wäre, die aber in keiner Weise bei uns in Deutschland so gelebt wird."
Prof. Dr. med. Maximilian Burger
Selbsthilfegruppen zu Prostata-Erkrankungen
In Selbsthilfegruppen wie der von Christian Geltl hat jeder seine Leidensgeschichte mit der Prostata. Umso wichtiger ist es den Mitgliedern, ihre Geschlechtsgenossen für die Früherkennung zu gewinnen. Denn das erhöht die Chance auf Heilung.
"Tatsache ist, dass die Männer Vorsorgemuffel sind. Und wenn dann die Leute hören: Der PSA-Wert ist unsicher oder den muss man bezahlen, dann haben die ein zusätzliches Argument, um keine Vorsorge zu machen – und das ist schlecht."
Christian Geltl, Prostata-Selbsthilfegruppe Landshut
Für seinen Bericht hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen übrigens Langzeitstudien ausgewertet. Darüber, wie Patienten heute beraten werden, sagt er also nichts aus.
Vertrauen in den Arzt
Martin Rutenberg will Bescheid wissen. Er hat beschlossen seinen PSA-Wert bestimmen zu lassen – auch wenn er selbst bezahlen muss. Die Tastuntersuchung geht schnell, und der Arzt gibt Entwarnung.
"Es war gar nicht schlimm, hat auch nicht weh getan, und ich bin froh, dass ich es gemacht habe."
Martin Rutenberg
Martin Rutenberg vertraut darauf, dass der Arzt aus seinem Wert die richtigen Schlüsse zieht.