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Landarztquote Landarzt werden – auch ohne Einser-Abitur

Wie kriegt man angehende Mediziner dazu, Landarzt zu werden? Die Lösung heißt Landarztquote. Die begehrten Medizinstudienplätze gehen nicht nur an diejenigen mit den glänzenden Abinoten, sondern an engagierte junge Leute, die sich auf einen Handel einlassen. Verpflichtend zehn Jahre nach dem Studium Hausarzt auf dem Land werden – dafür muss die Abiturnote nicht ganz so gut sein.

Von: Veronika Keller

Stand: 16.09.2024

Landarztquote: Landarzt werden – auch ohne Einser-Abitur

In vielen Gegenden Bayerns sind Hausärzte extrem rar. Ein Mittel, um das zu ändern ist die Landarztquote. Coburg in Oberfranken ist beispielsweise ein Landkreis, in dem es an Hausärzten mangelt. Ullrich Zuber ist Vorsitzender im regionalen Berufsverband und hält mit seiner Hausarztpraxis die Stellung.

"Es fehlen bis zu 21 Hausarztstellen umgerechnet auf die Landkreis-Bevölkerung. Bedeutet, es ist nicht nur die Notwendigkeit, die bestehenden Praxen zu ersetzen, denn ein Drittel der Ärzteschaft ist über 60 und hört mehr oder weniger bald auf, sondern wir müssen auch aufstocken."

Ullrich Zuber, Facharzt für Allgemeinmedizin und Reisemedizin, Itzgrund-Kaltenbrunn

Patient Heinrich Ortlauf ist wegen Reizhusten in der Praxis. Er ist froh, dass Ullrich Zuber immer für ihn da ist – seit Jahrzehnten. Dessen Rente blickt er deswegen besorgt entgegen: "Das ist eine Vertrauenssache der Hausarzt, allein wegen der ganzen Krankheiten, und ich fühle mich bei ihm sehr gut aufgehoben. Wenn ich erst 50 Kilometer fahren muss, dann ist das einfach ein Problem."

Ob die Landarztquote dieses Problem lösen wird? Ullrich Zuber ist optimistisch: "Sie wird zumindest einen wesentlichen Beitrag leisten, es zu lösen, aber die Leute müssen natürlich erst ihren Weg gehen durch das Studium, durch die Weiterbildung, und dann zurechtfinden, dass sie auch ihre Vorstellungen von Familie und Tätigkeit unter einen Hut bringen." Wie gut das Instrument funktioniert, wird sich voraussichtlich im Jahr 2031 zeigen, wenn sich die ersten Landärzte niederlassen. Noch sind die Anwärterinnen und Anwärter im Studium.

5,8 % der Medizinstudienplätze für zukünftige Landärztinnen und Landärzte

Es braucht mehr Personal. Und deshalb gibt es die Landarztquote. Das heißt: Bis zu 5,8% der Medizinstudienplätze gehen jährlich nicht nur an die mit den besten Abiturnoten, sondern an die, die sich auf eine Bedingung einlassen: Wer sich verpflichtet, nach dem Studium in einer ländlichen Region Landarzt zu sein, hat auch mit nicht ganz so gutem Abitur Chancen auf einen Studienplatz.

Für Adriano Franco war das eine sehr gute Gelegenheit. Er studiert im zweiten Semester Medizin an der LMU München. Seinen Studienplatz bekam er über die Landarztquote.

"Ich war auf einer Mittelschule, meine Eltern haben beide kein Abitur und zudem wurde mir dann an meiner Schule gesagt, dass ich doch besser eine Ausbildung machen soll, weil ich die Probezeit an der FOS eh nicht bestehe. Für mich war es aber, so blöd das klingt, schon irgendwie motivierend, weil ich gesagt habe: Denen möchte ich es zeigen."

Adriano Franco, Medizinstudent

Adriano Franco ist auch Rettungssanitäter und hat sich verpflichtet, innere oder Allgemeinmedizin zu lernen, um dann Landarzt zu werden. Wenn man sich daran nicht hält, droht eine Strafe von 250.000 Euro. Die schreckt ihn aber nicht ab: "Den Part hab ich komplett ausgeblendet, weil für mich sowieso klar war, ich möchte auf dem Land als Arzt arbeiten, auch weit über diese zehn Jahre hinaus, und dann sind mir die 250.000 Euro eigentlich auch relativ egal."

Wer wie an seinen Studienplatz gekommen ist, erfahren die Professoren an den Universitäten nicht – Landarztstudenten sind inkognito. Prof. Jens Waschke, der den Lehrstuhl für Anatomie an der LMU leitet, schätzt diese Gruppe aber besonders: "Die Vorteile sind natürlich, dass die Leute zum einen motivierter sind, auch fokussierter sind, weil die auch schon wissen, worauf es ankommt. Also das merken wir schon."

Auch die Abiturnote von Laura Stephan aus dem schwäbischen Gansheim reichte nicht ganz für die normale Zulassung zum Medizinstudium. Deshalb wurde sie erst Physiotherapeutin, bewarb sich über die Landarztquote und studiert nun im vierten Semester Medizin. Sie glaubt: Landärztin ist genau das Richtige für sie.

"Ich bin sehr heimatverbunden, deswegen war von Anfang an klar: Ich möchte auf dem Land bleiben, ich bin hier groß geworden, und mir ist wichtig, dass ich meine Patienten kenne."

Laura Stephan, Medizinstudentin

Die ärztliche Versorgungslage in Bayern ist auf die Landarztquote angewiesen

So sieht die Versorgungslage in Bayern aus: Rote Regionen sind unterversorgt, bei hellroten droht die Unterversorgung, so wie in Lauras Gemeinde. Sie kann sich gut vorstellen, sich später hier niederzulassen, vielleicht sogar gemeinsam mit ihrer Lernpartnerin. Kassandra Müller lebt im nächsten Städtchen, Rain am Lech. Die gelernte Kinderkrankenschwester bekommt bald ihr zweites Kind und studiert auch über die Landarztquote. Haben beide das Gefühl, die Studierenden, die ihren Studienplatz über die Landarztquote bekommen haben, sind anders als die anderen Medizinstudenten?

"Ich glaub schon, dass wir ein bisschen ländlicher geprägt sind, und vielleicht auch im Schnitt, dass wir ein bisschen älter sind, kann ich aber nicht belegen."

Kassandra Müller, Medizinstudentin

Laura Stephan ergänzt: "Und es ist ein anderes Auswahlverfahren, also bei dem Verfahren wird ganz viel Wert auf die sozialen Kompetenzen gelegt und einfach viel auf das Menschliche."

Die Landarztquote: eine Erfolgsgeschichte?

An der Uni Erlangen-Bayreuth üben Max Tröglen und sein Kommilitone Julius Täschner Fertigkeiten wie das Nähen. Vor acht Semestern begann ihr Medizinstudium. Die Landarztquote war da noch ganz neu. Max, der damals gerade Rettungssanitäter lernte, war sofort begeistert. Was ihn an der Medizin reizte:

"Ich würde sagen, den Körper kennenzulernen, den Menschen zu verstehen, das war eigentlich das ursprüngliche. Und mit Menschen reden, das ist ja ein großer Teil, gerade in der Hausarztpraxis, dass man viel mit Leuten redet und viel auf die eingeht."

Max Tröglen, Medizinstudent

Seit 2020 wurden in Bayern 440 Studienplätze über die Landarztquote vergeben. An Menschen wie sie, die im Ausbildungsberuf oder im Ehrenamt zeigen, dass sie das Zeug zu guten Ärzten haben. Max Tröglen und Julius Täschner sind schon auf der Zielgeraden. Zwei Uni-Semester haben sie noch vor sich, dann beginnt die Facharztausbildung.


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