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Rheuma Zu wenige Rheumatologen in Bayern

Mehr als 100 entzündliche Erkrankungen zählen zum rheumatischen Formenkreis. 1,8 Millionen Deutsche sind betroffen. Sie brauchen eine genaue Diagnostik, sowie eine individuelle und schnelle Behandlung. Doch es gibt nicht genügend Fachärzte für die Patientinnen und Patienten.

Von: Antje Maly-Samiralov

Stand: 19.02.2024

Rheuma: Zu wenige Rheumatologen in Bayern

Waren Menschen mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen noch vor dreißig Jahren zum Teil auf einen Rollstuhl angewiesen, konnten nicht arbeiten und mussten teils unerträgliche Schmerzen erleiden, sind diese Krankheiten heute gut behandelbar. Vorausgesetzt, sie werden frühzeitig erkannt.

"Wir wissen, wenn Beschwerden länger als sechs Wochen dauern, wenn Gelenkschwellungen auftreten oder auch allgemeine Krankheitssymptome da sind, dass wir dann möglicherweise eine Autoimmunerkrankung diagnostizieren können. Je früher wir diagnostizieren, desto früher können wir therapieren. Und desto früher können wir verhindern, dass sich diese Erkrankung festsetzt im Körper, dass die Autoimmunreaktionen chronifizieren. Daher ist eine frühe und rasche Diagnose ganz zentral."

Dr. med. Florian Schuch, Facharzt für Rheumatologie und Vorsitzender des bayerischen Rheumatologen Verbandes, Erlangen

In den vergangenen 20 bis 30 Jahren hat die Therapie rheumatischer Erkrankungen große Fortschritte gemacht.

"Noch vor 25 Jahren haben wir Patienten betreut, deren Hände aufgrund langjähriger, nicht behandelter oder mitunter zum damaligen Zeitpunkt nicht behandelbarer entzündlich rheumatischer Erkrankungen zum Teil irreversible Deformationen aufwiesen. Mittlerweile verfügen wir über so viele verschiedene Medikamente, die hoch wirksam sind und – rechtzeitig eingesetzt – Fehlbildungen verhindern. Die Therapiestrategien sind mittlerweile so ausgefeilt, dass wir bei weit über 90 Prozent der Patienten die Krankheit in Remission bringen können. Das bedeutet, die Patienten haben kaum Symptome und können ein weitgehend beschwerdefreies Leben führen. Zum Teil können wir sogar die Medikation aussetzen, ohne dass die Beschwerden zurückkommen. Das sind großartige Entwicklungen."

Dr. med. Jörg Wendler, Facharzt für Rheumatologie, Erlangen

Rheuma ist eine individuelle Krankheit

Rheuma ist nicht gleich Rheuma. Es gibt nicht nur mehr als 100 verschiedene entzündlich rheumatische Erkrankungen, die zum rheumatischen Formenkreis gezählt werden. Darüber hinaus gibt es:

  • degenerative rheumatische Erkrankungen wie die Arthrose
  • Weichteilrheumatismus wie die Fibromyalgie
  • Stoffwechselerkrankungen mit rheumatischen Beschwerden wie die Gicht und
  • Erkrankungen des Knochens, die zu Beschwerden der Wirbelsäule führen wie die Osteoporose.

Laut aktuellen Daten der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie e.V. haben mindestens fünf Millionen Menschen in Deutschland eine symptomatische Arthrose, die ihnen Beschwerden bereitet. Etwa 900.000 leiden an Gicht und rund 1,5 Millionen Erwachsene an einer Fibromyalgie.

Präzise und schnelle Diagnose ist wichtig

Deformation an den Händen bei Rheuma-Patienten vor etwa 25 Jahren

All diese verschiedenen Erkrankungen bedürfen einer exakten Diagnose, denn jede rheumatische Erkrankung erfordert eine gesonderte Behandlung. Die meisten Patienten werden mit ihren Beschwerden zunächst beim Hausarzt vorstellig. Geschwollene und schmerzhafte Gelenke oder dauerhafte Muskelschmerzen werden häufig mit Cortison behandelt, um zunächst die Entzündung einzudämmen, bevor eine für den jeweiligen Patienten und das jeweilige Krankheitsbild passende Basismedikation festgelegt werden kann.

Für Patienten mit Fibromyalgie, die ebenfalls Muskel- und Gelenkschmerzen haben können, ist eine Therapie mit Cortison allerdings contra indiziert. Daher ist die präzise Diagnose unerlässlich.

Patienten individuell behandeln

Hinzu kommt, dass jeder Patient ein Individuum ist, und ein Medikament, das bei einem Menschen anschlägt, kann bei einem anderen mit der gleichen Diagnose kaum oder gar nicht wirken. Daher sind vor allem die Erstuntersuchung, die Anamnese wichtig. Und die erfordert viel Zeit. Zeit, die nicht adäquat vergütet wird.

Aktuelle Daten sehen einen fast doppelt so hohen Bedarf an Rheumatologinnen und Rheumatologen, um eine leitliniengerechte Versorgung zu gewährleisten. Es gibt aber zu wenig rheumatologische Fachärzte, was zu dramatischen Versorgungs-Engpässen führt, sagt Dr. med. Florian Schuch, Vorsitzender der bayerischen Rheumatologen:

"Auf der einen Seite verfügen wir über ausgefeilte Diagnosemöglichkeiten und hoch wirksame Medikamente. Aber die Patienten haben keinen adäquaten Zugang zum Spezialisten. Lange Wartezeiten auf Erstvorstellungstermine und stundenlange Anfahrtswege sind in manchen Regionen die Regel. Der 'Rheumatologen-Nachwuchs' kann die geburtenstarken Jahrgänge, die in den nächsten Jahren aus der Versorgung ausscheiden, nicht annähernd ersetzen."

Dr. med. Florian Schuch, Vorsitzender des bayerischen Rheumatologen Verbandes, Erlangen

Zu wenige Rheumatologen: die Gründe

Er kritisiert die Gesundheitspolitik. Denn die genaue, oft jahrelange Krankheitsgeschichte und die komplette körperliche Untersuchung der Patienten erfordere viel Zeit. Nur so könnten Patienten individuell behandelt werden. Doch diese Arbeit sei vom Gesetzgeber abgewertet worden:

"Anstatt Anreize zu setzen, wurde aktuell das Gegenteil durch die Gesundheitspolitik beschlossen. Eine unbudgetierte, also Hundertprozent-Honorierung für die Erstvorstellung, wurde im Januar 2023 abgeschafft. Ein Schlag für alle Rheumatologen, die ihre Arbeit ernst nehmen und leider kein Anreiz für potenziellen Nachwuchs."

Dr. med. Florian Schuch, Vorsitzender des bayerischen Rheumatologen Verbandes, Erlangen

Fehlende Lehrstühle und an vielen Universitäten so gut wie keine Ausbildung in der internistischen Rheumatologie während des Medizinstudiums verschärften die Situation weiter.

"Die sprechende Medizin, die wir in der Rheumatologie durchführen, wird nicht honoriert. Diese sehr ungünstigen Entwicklungen werden letztlich auf dem Rücken der Patienten ausgetragen, die künftig noch schlechter versorgt werden. Das ist schon jetzt absehbar und teils schon Realität."

Dr. med. Florian Schuch, Facharzt für Rheumatologie, Erlangen

Diese Entwicklung ist vor allem vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Zunahme von entzündlich rheumatischen Erkrankungen bedenklich. Einerseits gibt es immer mehr Patienten und auf der anderen Seite weniger Ärzte, sowie eine Minderhonorierung ihrer Arbeit.

Rheumapatienten leiden

Viele Rheumapatienten haben Probleme, ihren Alltag zu meistern. Erkrankungen wie der Systemische Lupus, aber auch die rheumatoide Arthritis gehen häufig mit Müdigkeit und Erschöpfung einher. Ein normaler Arbeitsrhythmus ist für solche Menschen schwierig. Chronische Entzündungen schwächen den gesamten Organismus und kosten die Betroffenen viel Energie.

Vielen Patienten sieht man ihre Erkrankung nicht an. Elisha Laeke beklagt beispielsweise, dass viele Mitmenschen keine Rücksicht nehmen, weil man ihr die Erkrankung nicht ansieht. Aber sie hat Schmerzen, kann nicht so schnell laufen und mitunter machen ihr banale Alltagstätigkeiten wie das Öffnen einer Flasche oder das Aufhalten einer Tür Probleme. Auch Gela Dellert hat sich immer wieder die unverschämte Frage anhören müssen: "Was hast du nur? Du siehst gar nicht krank aus."

Wer ständig erschöpft ist und nicht vollumfänglich am Leben Teil haben kann, wen kleinste Zwischenfälle aus der Bahn werfen und wer Schmerzen hat, der leidet. Auch wenn man es vielen Rheumapatienten nicht ansieht: Die Krankheit bestimmt ihr Leben, mitunter ein ganzes Leben lang.

Stress triggert Schübe und verstärkt die Symptomatik

Rheumapatienten, die ohnehin belastet sind, weil sie nicht voll arbeiten, ihre Ausbildung nicht absolvieren können und dadurch existenzielle Probleme haben, sind deutlich weniger stressresistent als gesunde Menschen. Jede zusätzliche Belastung kann individuell als Stress empfunden werden und das ohnehin fehlgesteuerte Immunsystem, dass ursächlich für die chronischen Entzündungen ist, in weitere Schieflage bringen. Stress ist für Menschen mit Autoimmunerkrankungen toxisch. Aber Schmerzen und Entzündungen erzeugen Stress – ein Teufelskreis.

"Stress ist für Patienten mit chronisch entzündlichen rheumatischen Erkrankungen eine besondere Belastung und kann die Erkrankungen verstärken. Und wir wissen – da gibt es auch gute Daten – dass ausreichend Ruhezeiten, ausreichend Schlaf - gerade bei Erkrankungen wie Kollagenosen, wie dem Systemischen Lupus - einen sehr positiven Einfluss haben kann und die Patienten das auch brauchen."

Dr. med. Florian Schuch, Facharzt für Rheumatologie, Erlangen

Rheuma ist eine höchst individuelle Erkrankung. Sie erfordert fachkundige Versorgung und mitunter viel Geduld.


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