Franken - Buchtipps


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Drei neue Gedichtbände Lyrik von Nora Gomringer, Joachim Sartorius und Jehuda Amichai

Poesie erobert so gut wie nie die Bestsellerlisten. In der Gunst der Leser steht die Lyrik weit hinter Romanen und Erzählungen zurück. Dabei ist sie die Königsdisziplin unter allen literarischen Gattungen. Sie reizt besonders die sprachbegabten und sprachverliebten Autorinnen und Autoren. Auch aus Franken kommen hervorragende Lyriker, die ihren Platz behaupten im Konzert der poetischen Stimmen. Dirk Kruse stellt drei neue Gedichtbände: von der Oberfränkin Nora Gomringer, dem Unterfranken Jehuda Amichai und dem Mittelfranken Joachim Sartorius.

Von: Dirk Kruse

Stand: 17.03.2021 | Archiv

Lyrik von Joachim Sartorius, Nora Gomringer und Jehuda Amichai | Bild: BR

Die Bambergerin Nora Gomringer zählt zu den populärsten und pointiertesten Lyrikerinnen Deutschlands. Obwohl erst 40 Jahre alt hat sie für ihr Werk zahlreiche Preise verliehen bekommen. Nora Gomringers neuester Gedichtband ist auch ihr persönlichster. Denn er beantwortet die Gretchenfrage, wie es die Autorin mit der Religion hält. "Gottesanbieterin" heißt der Band und versteht sich als Angebot an die Leser.

"Es ist in Bescheidenheit ein Angebot zu zeigen, wie mein Verhältnis zum Glauben und zur Frömmigkeit vielleicht auch ist, wie es darum bestellt ist und wie ich mich als gläubiger Mensch im Hier und Jetzt auch fühle und wobei mir der Glauben hilft. Bei der Liebe etwa in all ihren Formen und Verlusten war mir der Glaube ein sehr sicherer Hort."

Nora Gomringer

Liebesgedichte sind dabei und Trauergedichte. Diesseitiges und Jenseitiges. Gedichte an Gott und über religiöse Bräuche. Mal ernsthaft, häufiger aber mit einem Augenzwinkern.

Jesus

kommt

Wir räumen auf,
kehren unter den Teppich,
stellen uns gerade hin
mit geschnittenen Haaren,
ziehen ein Kleid an,
auch die ehrlichen Jungs
sagen artig Danke und Bitte.
Jesus, der schaut.
So kennt der uns gar nicht.
Fragt, ob er sich in der Tür geirrt …
Und ich sag:
Man wird doch
den einen Abend
mal höflich sein dürfen.

Info und Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Nora Gomringer: Gottesanbieterin, Berlin 2020, Voland & Quist Verlag, 96 Seiten + Audio-CD, 20,00 Euro, ISBN 978-3-86391-250-5

"Gottesanbieterin" ist ein Glaubensbekenntnis von Nora Gomringer der unaufdringlichen, aber umso wirkungsvolleren Art. Wir werden nicht missioniert, sondern erhalten raffinierte Denkangebote. Dieser silbern glänzende, spiegelnde Gedichtband hält uns nicht nur optisch einen Spiegel vor.

Buchtipp: 3 x Lyrik aus Franken: Lyrik von Nora Gomringer, Joachim Sartorius und Jehuda Amichai

Joachim Sartorius: "Wohin mit den Augen"

Joachim Sartorius: "Wohin mit den Augen"

Seinen 75. Geburtstag feiert in dieser Woche der in Fürth geborene Lyriker, Essayist, Herausgeber und Übersetzer Joachim Sartorius. Der ehemalige Diplomat und Festivalleiter ist der weitgereisteste unter den deutschen Dichtern. Nach fünf Jahren Pause hat er nun einen neuen Lyrikband vorgelegt. Die Gedichte spielen meist am Mittelmeer von Tunesien bis Sizilien, wo Sartorius einen Zweitwohnsitz hat.

AUFWACHEN IN ORTIGIA

Die Nacht wäscht das Meer.
Am Morgen ist das Wasser neu.
Auf der Netzhaut wird Licht
mit Gischt bezahlt.

Ich bürste Salz vom Tisch.
Ich küsse die Augen der Echse.
Ich schneide das Brot.
Ungemein hell wird der Tag.

Später nimmt dir die See
die Münzen ab
und ritzt in eine jede
den Namen einer Nymphe

für das lange Glück,
am Leben zu sein.

"Wohin mit den Augen" heißt dieser neue Lyrikband. Denn der Dichter ist ja in erster Linie ein Augenmensch, einer der beobachtet und die Tiefenschichten der Wirklichkeit wahrnimmt.

"Wohin mit den Augen, das hat ein bisschen zu tun mit der Helligkeit, der großen Sinnlichkeit. Viele Gedichte spielen ja im Süden Europas. Es geht also auch um das Geblendetsein. Das zweite ist, vieles was heute passiert ist so schrecklich, dass man es vielleicht auch gar nicht wahrnehmen will und seine Augen verstecken will. Und der dritte Punkt ist vielleicht, dass im Laufe eines langen Lebens – und ich bin ja nun doch schon ziemlich alt – einem eher mehr als weniger Augen zuwachsen und man sehr verschiedene Methoden des Beobachtens, des Wahrnehmens entwickelt."

Joachim Sartorius

Info und Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Joachim Sartorius: Wohin mit den Augen, Köln 2021, Kiepenheuer & Witsch Verlag, 80 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-462-05300-5

Sartorius schreibt Gedichte, die vom Leser eine gewisse Anstrengung verlangen, um sie zu entschlüsseln, da sie viele Assoziationsebenen antippen. Doch dafür er wird reich belohnt mit schönen Metaphern und Bildern voller Nachhall. Wohin mit den Augen? Am besten auf die Seiten dieses erlesenen Gedichtbands.

Jehuda Amichai: "Offen Verschlossen Offen"

Jehuda Amichai: "Offen Verschlossen Offen"

Der 1924 in Würzburg geborene Jehuda Amichai, der als Elfjähriger mit seinen Eltern nach Palästina auswanderte, gilt als einer der bedeutendsten Lyriker Israels. Mit einer neu übersetzten Auswahl aus seinem Werk, ist er jetzt bei uns wieder zu entdecken. "Offen Verschlossen Offen" heißt der Gedichtband, der sich mit Amichais Identität als Jude in Israel auseinandersetzt. Alle seine Gedichte seien immer auch politisch, sagte er 1988 bei einem Besuch in Würzburg.

"In Israel kann man nicht in einem Elfenbeinturm leben. Man kann sich nicht verschließen. Und ein jedes Liebesgedicht hat auch irgendwie mit Krieg zu tun. Und jedes Landschaftsgedicht hat mit historischen Dingen zu tun. Man kann das absolut nicht auseinanderhalten."

Jehuda Amichai

Gedichte über Liebe und Elternschaft, Krieg und die Schoah, Religiosität und immer wieder seine neue Heimatstadt Jerusalem enthält dieser Band. Jehuda Amichai, der die Metapher als die größte Erfindung der Menschheit feierte, ist selbst ein großer Metaphernfinder, etwa wenn er die Wüstenstadt Jerusalem als das Venedig Gottes feiert.

Gedicht

Jerusalem ist eine Hafenstadt am Ufer der Ewigkeit.
Der Tempelberg ist ein Ozeanriese, ein prächtiger
Vergnügungsdampfer. Aus den Luken seiner Westlichen Mauer schauen
fröhliche Heilige, Reisende, Chassidim am Pier winken
zum Gruß, schreien: Lebe hoch, auf Wiedersehen.
Immer legt er an, immer legt er ab.

Info und Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Jehuda Amichai: Offen Verschlossen Offen, Berlin 2020, Suhrkamp Verlag, 160 Seiten, 25,00 Euro, ISBN 978-3-633-54297-0

Mit Jehuda Amichais Werkauswahl "Offen Verschlossen Offen" ist ein international gefeierter Lyriker aus Würzburg zu entdecken, der erst in seiner Exilsprache Hebräisch zum großen Dichter wurde.


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