Manfred Kern Die Preisrede
Manfred Kern ist einer der wenigen fränkischen Autoren, die in Mundart und auf Hochdeutsch schreiben. "Die Preisrede" dreht sich um seine Kindheit in Wettringen. Weitere Buchtipps sind "Todesströmung" und "Da haben wir den Salat".
Das kleine Dorf Wettringen bei Schillingsfürst, nahe der Landesgrenze zu Baden-Württemberg, war schon mehrfach Schauplatz der Geschichten und Gedichte von Manfred Kern. Dort wuchs der 1956 geborene Autor auf einem Bauernhof auf.
"Das ist meine Inspirationsquelle und auch mein Problemfeld. Das ist der Ort meiner Familie, meiner Herkunft. Seit Generationen sind beide Elternteile aus dem Dorf und mit der Mundart des Dorfes bin ich aufgewachsen. Ich habe praktisch die ersten fünf Jahre meines Lebens kaum andere Töne gehört, außer aus dem Radio vielleicht. Fernseher hat es damals noch nicht gegeben. Insofern ist es einerseits auch so etwas wie mein Paradies gewesen und gleichzeitig auch der Ort, der sich immer mehr zur Hölle entwickelt hat. Insofern konnte ich dem Dorf nicht entkommen, auch literarisch nicht."
Manfred Kern
Wettringen ist auch in Manfred Kerns neuem Roman "Die Preisrede" der Schauplatz. Ein älterer Schriftsteller erhält einen Literaturpreis für sein Gesamtwerk und spricht in seiner Dankesrede über das eine Buch, das er nie vollendet hat, aber immer schreiben wollte. Das Opus Magnum seiner Herkunft und seines Schmerzes. Doch indem er in seiner Rede davon erzählt entsteht dieses Buch endlich.
Bekenntnis zur Mundart
Der Grundschüler Max ist aufsässig und rebellisch. Als die Dorfschullehrerin von den Kindern verlangt, in der Schule nur noch Hochdeutsch zu sprechen, weigert sich Max beharrlich. Es kommt ihm, ohne dass er es ausdrücken könnte, wie ein Verrat an allem vor, was ihn ausmacht.
"Nicht ICH weigerte mich scheinbar. ES, irgendetwas weigerte und sträubte sich mit Haut und Haar dagegen. Wenn ich heute daran denke, bohrt sich immer noch eine Faust in meinen Magen und will sich durch mich hindurch fressen; alles in mir empört sich, vielleicht nicht alles, aber dieses ES empört sich; es empört sich schon gegen die Gestalt der Lehrerin, wie sie diese Maßnahme ankündigt, eines Tages im Klassenzimmer."
Aus 'Die Preisrede'
Es ist die Zeit der frühen 60er-Jahre, als die Dorf-Autoritäten noch absolute Macht besitzen und diese mit Gewalt durchsetzen. Wer in der Schule nicht spurt, wird mit dem Rohrstock geschlagen. Der Pfarrer züchtigt die Kinder, die nicht gehorchten, ebenfalls. Und Max' dominanter Vater hat eine geradezu sadistische Freude an körperlicher Züchtigung.
"Hätte ich geahnt, dass Vater im Schuppen arbeitete, hätte ich einen Umweg genommen. Er überraschte mich mit einem Zuruf aus dem Tor: 'Doa schau, dess is firr dii!' Ein Geschenk? Ein weißes Kabelstück, fingerdick, abgeschnitten von einer Rolle, die vor der Schnauze des Traktors lag. 'Doamiid', fuhr er fort, brach aber ab und ersetzte die Worte durch eine Hiebbewegung mit dem Kabel durch die Luft. 'Waaschd, dess mid demm Beidschle, dess woar nix. Des Ding doa wirgd besser. Am beschde jedi Wuche emoll im voraus, wi merre e Arznei einimmd.' Er lachte auf. 'Und dann is widder e Ruah firr e Wall.' Er schlug das Kabel, das ungefähr die Länge eines Ochsenziemers hatte, in die Handfläche."
Aus 'Die Preisrede'
Autobiografischer Roman
Verständnis für den in seiner Existenz verunsicherten Max hat eigentlich keiner in dem Dorf. Und er kann sich in seiner Sprachlosigkeit auch niemandem mitteilen. Also wird er bockig, läuft immer wieder aus dem Unterricht fort und wird drakonisch bestraft. All das hat der Autor Manfred Kern als Kind selbst erlebt.
"Die Höllenmomente waren bei mir natürlich in der Familie. Die Dinge, die ich in dem Buch beschreibe, also das In-den-Keller-gesperrt-werden, die seelischen Qualen, die Sprachmacht, die mein Vater ausgeübt hat, kann ich nicht leugnen, dass die autobiographisch sind. Auch das Schweigen, also dass ich mit meinem Vater jahrelang nicht mehr gesprochen habe, das ist meine Geschichte."
Manfred Kern
Versöhnung von Hochdeutsch und Mundart
"Die Preisrede" ist mit gut 150 Seiten ein schmaler Roman, aber einer, der es in sich hat. Ein berührendes, eindringliches und verstörendes Buch, das das Schicksal einer ganzen Generation von gezüchtigten Kindern exemplarisch widerspiegelt. Manfred Kern schreibt es in einem metaphernreichen, einfühlsamen Ton. Und ihm gelingt, was dem Kind Max in seiner Sprachkrise nicht gelingen konnte: die Versöhnung von Hochdeutsch und Mundart. Denn alle Dialoge in dem Buch sind auf Fränkisch.
"Das Bild, das ich habe, ist das des Gleichgewichtes beider Sprachen. Dass beide ihre Berechtigung haben, dass beide ihre Schönheit haben, dass beide ihre Einzigartigkeit haben und dass die eine nicht zu ersetzen ist durch die andere. Wenn ich in Mundart spreche oder Schreibe, bin ich ein anderer Mensch als wenn ich in Hochdeutsch spreche oder schreibe. Und ich möchte beide Seiten nicht missen. Es gibt hier nichts gegeneinander auszuspielen. Auch die verschiedenen Melodien, die in beiden Sprachen sind, sollen beide zum Klingen kommen. Und wenn man schreibt, muss die Sache klingen, finde ich."
Manfred Kern
Dieser große kleine Roman endet damit, dass Max in der 8. Klasse an einer lebensbedrohlichen Herzmuskelentzündung erkrankt. So erging es auch Manfred Kern. Es bleibt zu hoffen, dass der Autor diesen autobiographischen Entwicklungsroman fortsetzt.
Info & Bewertung
Manfred Kern: Die Preisrede, Würzburg 2018, Königshausen & Neumann Verlag, 153 Seiten, 14,80 Euro, ISBN 978-3-8260-6454-8
Weiterer Buchtipp für den Sommer: Gordon Tyrie, "Todesströmung"
Nach einem missglückten Auftragsmord fliehen die Killer auf eine einsame, schottische Insel. Doch sie haben nicht mit den unerschrockenen und schrägen Inselbewohnern gerechnet. Die kommen nämlich ziemlich schnell auf die Idee, die flüchtigen Auftragsmörder für eigene Interessen zu nutzen. Das führt zu einem gefährlichen Deal inmitten der rauen Insellandschaft. Ein humorvoller aber auch brutaler schottischer Thriller "made in Franken". Hinter dem Pseudonym Gordon Tyrie verbirgt sich der erfolgreiche Bamberger Krimi-Autor Thomas Kastura.
Info & Bewertung
Gordon Tyrie: Todesströmung, München 2018, Droemer Verlag, 378 Seiten, 14,99 Euro, ISBN 978-3-426-30650-5
Für den Urlaub mit Kindern: Rolf-Bernhard Essig, "Da haben wir den Salat"
Ein idealer Begleiter für den Urlaub mit Kindern ist das neue Buch des Bamberger Sprichwort-Papstes Rolf-Bernhard Essig. Denn daran haben nicht nur die Kinder, sondern garantiert auch die vorlesenden Eltern, Spaß. "Da haben wir den Salat" ist eine Reise um die Welt, nicht in 80 Tagen, sondern in 80 Sprichwörtern. Wenn der Finne sagt: "Ich warte hier mit dem Bart im Briefkasten" will er damit sagen, dass er in einer Klemme steckt. Wenn der Spanier sagt: "Man kann nicht in der Messe sitzen und die Glocken läuten", will er sagen, dass man nicht gleichzeitig auf zwei Hochzeiten tanzen kann. Und wenn ein Koreaner rät: "Zieh dein Schwert nicht, um eine Mücke zu töten", dann will er sagen, dass man nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen soll. Das jüngste Sprichwort stammt aber aus Brasilien nach dem demütigenden 7:1 der brasilianischen Mannschaft gegen die deutsche beim Halbfinale der Fußballweltmeisterschaft 2014. "Tor für Deutschland", seufzt der Brasilianer jetzt, wenn ihm ein Unglück passiert. Das Ganze wird von Rolf-Bernhard Essig in kleinen Geschichten charmant und informativ erzählt und ist von Regina Kehn ansprechend illustriert. "Da haben wir den Salat" ist eine spielerische Einladung, um fremde Kulturen zu entdecken.
Info & Bewertung
Rolf-Bernhard Essig: Da haben wir den Salat. In 80 Sprichwörtern um die Welt, München 2018, Hanser Verlag, 168 Seiten, 14,00 Euro, ISBN 978-3-446-26059-7
Kommentieren