Großer Kult ums kleine Auto
Für die meisten Bobby-Car-Fahrer ist im Alter von drei Jahren Schluss. Auch wenn sie angeblich 100 Kilo tragen, sind die roten Flitzer einfach zu klein und zu unbequem für größere Menschen – sollte man meinen. In Wahrheit gibt es viele 40- und 50-Jährige, die mit Bobby-Cars unterwegs sind. Nicht um ihren Eltern mit dem legendären, ungeheuer lauten Rumpeln der Polyethylen-Reifen auf die Nerven zu fallen, sondern um Rennen zu fahren. Zumindest im deutschsprachigen Raum hat sich rund um die Spielzeuge ein regelrechter Rennzirkus entwickelt.
Back to the Bobby mit 20
Stephan Wolf aus Coburg war 20, als er – nach frühester Kindheit – wieder auf den Geschmack kam. Bei einem Bekannten sah er ein Video über die Aktivitäten des Bobby-Car-Clubs Coburg, einer von vielen derartigen Hobby-Gruppierungen: Wilde Rennen auf eigenhändig umgebauten Rutschfahrzeugen, halsbrecherische Kurvenfahrten, spektakuläre Stürze. "Eine Mords Gaudi. Ich war sofort begeistert", erinnert sich der heute 27-Jährige. Wenig später war er selbst Mitglied im Coburger Club und baute seinen eigenen Renn-Rutschwagen.
Kunststoff, Holz, Metall
Es gibt Freaks, die Bobby-Cars mit Motoren ausstatten. Bei Puristen ist das aber verpönt, erklärt Stephan Wolf. Bei der Rennserie sowieso, dort wird einfach nur bergab gefahren. Dabei gilt: je schwerer der Bobby, desto schneller der Fahrer. Nach dieser Logik bestand Wolfs erster Selbstbau aus einer mit Beton ausgefüllten Bobby-Karosserie. "Für die Anbauten habe ich zunächst Holzteile verwendet, aber die haben sich bald als ungeeignet erwiesen", sagt Wolf.
"Dann geht's ins Geld"
Seitdem verwendet er Metall als Werkstoff. Wolf stellt alles selbst her, er dreht, fräst, schweißt. Gute Dienste leistet ihm dabei das Wissen, das er bei seiner Ausbildung zum Zahntechniker erworben hat. "Wer nicht selbst bauen kann, muss sich die Teile bei anderen Bobby-Schraubern kaufen. Dann geht's schnell ins Geld", erklärt Wolf. Er selbst hat "nur" einige hundert Euro in seinen aktuellen Renner gesteckt – es ist bereits sein sechster. Was sein Hobby vor allem frisst ist Zeit: Vier Monate lang verbrachte er jeden Samstag in seiner Schrauberwerkstatt.
Stürze bei 70 Sachen
Und Schuhe fressen sie natürlich auch, die Renn-Bobbys. Profis wie Wolf zerschneiden Autoreifen und verstärken damit ihr Schuhwerk. Überhaupt ist Schutzkleidung Pflicht, denn die rasenden Rutscher sind im Durchschnitt 70 Stundenkilometer schnell. Der inoffizielle Geschwindigkeitsrekord liegt bei gemessenen 114 km/h, den Stephan Wolf nach eigenen Angaben selbst gefahren ist. Bei den Rennen kommt es immer wieder zu spektakulären Stürzen. Auch wenn die dank Motoradkombi und Helm meist glimpflich ausgehen, hat ein Bobby-Pilot laut Wolf schon mal ein Bein verloren.
Mit Windeln in die Weltrangliste
"Beim Rennen selbst kommt der Ehrgeiz raus", weiß Wolf. Schließlich hat er alle Titel gewonnen, ist Deutschland-, Europa- und Weltmeister. "Aber davor und danach gibt's viel Gaudi. Und darum geht's auch." Nachwuchssorgen kenne die Bobby-Rennfahrer nicht. Die Lust am motorlosen Rasen wird von einer Generation an die nächste weitergegeben, die Weltrangliste des offiziellen Dachverbandes beginnt bei dreijährigen Fahrern. Stephan Wolf jedenfalls ist sich sicher, dass auch dann noch Rennen gefahren werden, wenn das Bobby-Car 50 wird.
Bobby-Car-Historie
17 Millionen Stück in 40 Jahren - das Bobby-Car ist eine fränkische Erfolgsgeschichte. Seine Entwicklung geht auf Ernst A. Bettag zurück. 1954 hatte der damals 24-jährige Diplomingenieur die Konkursmasse des Fürther Metallspielwarenunternehmers Johann Höfler übernommen, aus der später die BIG-Spielwarenfabrik GmbH entstand. Zunächst produzierte Bettag Spielzeug aus den traditionellen Materialien Metall und Holz, bevor er auf Kunststoff umstieg. 1972 wurde dann das Bobby-Car auf der Nürnberger Spielwarenmesse vorgestellt. Die Originalvariante gibt es noch heute zu kaufen, ebenso wie Dutzende weitere Modelle des sogenannten Kinderrutschfahrzeugs.