Franken - Zeitgeschichte


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Karl-Friedrich Beringer "Musik - eine ungeheure Kraft"

Wenn sich Karl-Friedrich Beringer Ende des Jahres vom Windsbacher Knabenchor verabschiedet, geht für das weltberühmte Ensemble eine Ära zu Ende. Ein Rückblick auf 34 Jahre leidenschaftliche Chorarbeit.

Von: Rainer Aul

Stand: 22.12.2011 | Archiv

Karl-Friedrich Beringer im Probenraum in Windsbach | Bild: Jim Albright

Es ist ein schwerer Schlag für den jungen Studenten. "Musikalisch bist Du hervorragend, aber das Klavier – das ist doch ein Fremdkörper für Dich", das waren die Worte seines Professors am Nürnberger Konservatorium. Ausgerechnet. Dabei ist Klavier doch das Hauptfach im Musiklehrer-Studium von Karl-Friedrich Beringer. Seit dem neunten Lebensjahr lernt er, es zu spielen. Seine Mutter hatte ihr geliebtes Harmonium versetzt, das sich ihre Eltern in Ansbach einst vom Munde absparten, um dem studierenden Sohn ein Klavier zu kaufen. Und nun das.

"Vier Wochen lang war ich völlig fertig. Dann hat er zu mir gesagt: 'Mensch, dirigieren, das wär' doch was für Dich.' Ich bin meinem Professor Appel wahnsinnig dankbar."

Karl-Friedrich Beringer

Stimmen zu Beringer

Karl-Günter Beringer "Seine Klavierlehrerin war unbezahlbar"


Erich Appel "In ihm ruhte eine große Strahlkraft als Musiker"


Norbert Forster "Ich hatte Angst, er wäre viel zu soft"


Delf Lammers "Oh Gott, wo bist Du da hingeraten?"


Kent Nagano "Er lehrt die Knaben, an die Musik zu glauben"


Felizitas Handschuch "Ich war völlig überwältigt"


Thomas Miederer "Natürlich hat er einen Dickschädel"


Günther Beckstein "Nach den Vorwürfen war er sehr verzweifelt"


Karl-Günter Beringer "Er ist kein Diplomat, aber er ist ehrlich"

Dirigieren, das ist tatsächlich was für ihn. Über vier Jahrzehnte später kann Karl-Friedrich Beringer auf eine beispiellose Künstlerkarriere beim Knabenchor in Windsbach zurückblicken. Als dort Ende der 1970-er Jahre ein neuer Künstlerischer Leiter gesucht wird, nur wenige Kilometer von seinem Geburtsort Neuendettelsau entfernt, sieht Beringer seine Chance bekommen. 1946 von Hans Thamm am Evangelischen Studienheim in Windsbach gegründet, hat sich das Ensemble mit geistlicher Musik in der Region einen Namen verschafft. Unter den Bewerbern sticht der 30-jährige Beringer besonders hervor, imponiert mit seiner Jugendlichkeit, seiner Dynamik. "Warum in die Ferne schweifen", soll Thamm damals gesagt haben, so erinnert sich Weking Weltzer, zu dieser Zeit Direktor des Studienheims. Die Entscheidung ist gefallen – einstimmig.

Offizieller Abschied in Ansbach | Bild: BR-Studio Franken/Rainer Aul zur Bildergalerie Karl-Friedrich Beringer Zum Abschied ein Kyrie eleison

Am Mittwoch (21.12.11) fand in Ansbach die offizielle Verabschiedung von Karl-Friedrich Beringer als Künstlerischer Leiter des Windsbacher Knabenchors statt. Zuvor hatte er noch ein Konzert des Chores geleitet - das vorletzte überhaupt. [mehr]


Karl-Friedrich Beringer mit seiner Frau | Bild: Karl-Günter Beringer zur Bildergalerie Karl-Friedrich Beringer Ade, Windsbach!

Wenn sich Karl-Friedrich Beringer Ende des Jahres vom Windsbacher Knabenchor verabschiedet, geht für das weltberühmte Ensemble eine Ära zu Ende. Fotos zu Stationen von Beringers Leben. [mehr]

Im Januar 1978 ist Beringer Künstlerischer Leiter der Windsbacher, die zunächst nur in der Region bekannt sind. Bald kennt sie das ganze Land. Mit seiner ungeheuren Präzision und seinem unbändigen Willen zum Perfektionismus schafft es der neue Chef, seine Leidenschaft für die Musik auf die Chorjungen zu übertragen. Unter der Leitung Beringers erobern sich die Windsbacher einen Spitzenplatz unter den deutschen Knabenchören. Zuschauer wie Kritiker sind begeistert. Mancher, dem es nicht im Traum eingefallen wäre, einem "Kinderchor" zuzuhören, erlebt bei den Konzerten der Windsbacher sein musikalisches Erweckungserlebnis. Auftritten im ganzen Land folgen zahlreiche internationale Engagements. Der Chor reist in umjubelten Tourneen über den gesamten Globus, tritt immer wieder mit Solisten, Dirigenten und Orchestern ersten Ranges auf.

Der Chorleiter erhält Angebote von anderen renommierten Chören, so ist kurz nach der Wende auch der Dresdner Kreuzchor an ihm interessiert. Als echter Franke bleibt Beringer aber in Windsbach – wohl zum Glück für den Standort. "Wenn er damals gegangen wäre, weiß ich nicht, ob die Kirche das Internat erhalten hätte", ist sich der Windsbacher Studienheimdirektor Thomas Miederer sicher. "Dass wir hier heute neue Gebäude haben, dass Windsbach als Sängerinternat überlebt hat, ist Karl-Friedrich Beringer zu verdanken."

"Was mir an den Jungs so gefällt: Die ziehen sich Heavy Metal und Techno rein und singen mit der gleichen Begeisterung Psalmen und Choräle. Letztes Jahr haben die Abiturienten zu mir gesagt, sie möchten diese Reger-Mottete als Zugabe, 'Der Mensch lebt und bestehet nur eine kleine Zeit'. Da hab ich gefragt: Wollt ihr euch das wirklich antun? Ja, das gefällt uns."

Karl-Friedrich Beringer

Anders als bei einem Erwachsenenchor muss Beringer damit leben, dass sich sein Ensemble Jahr für Jahr deutlich ändert. Neue, schüchterne Kinder kommen dazu, perfekt ausgebildete junge Männer verlassen Internat und Chor. Beringer begleitet die Sänger in der schwierigsten Phase ihrer Entwicklung, der Teenagerzeit. Er muss gleichzeitig Ersatzvater und Chorleiter sein, muss Geborgenheit und Disziplin vermitteln. Und das auf dem hohen Niveau, das der Chor als Institution und Beringer selbst für sich beanspruchen.

Als 2004 Vorwürfe laut werden, Beringer habe Kinder in den Singproben körperlich und seelisch misshandelt, kommt der langjährige Chorleiter in die Kritik. Die Vorwürfe stellen sich später als Behauptungen Einzelner heraus, Beringer wird nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Ansbach von allen Vorwürfen entlastet und vollständig rehabilitiert. Trotzdem ist er getroffen. Er verlangt von den Sängern Perfektion und Disziplin, ebenso wie von sich selbst. Beringer fragt sich, ob es noch Sinn ergibt, weiter in Windsbach zu arbeiten. Am Ende bleibt er beim Knabenchor – und geht aus dieser schweren Zeit privat wie künstlerisch gereift hervor, ist sich sein Bruder Karl-Günter sicher.

Wenn sich Karl-Friedrich Beringer am 22. Dezember nach dem letzten Konzert in seiner geliebten Gumbertus-Kirche in Ansbach vom Windsbacher Knabenchor verabschiedet, geht eine Ära zu Ende. Hunderte Sänger hat er ausgebildet, viele davon machen als Künstler Karriere. Niemand rechnet damit, dass Beringer sich in künstlerischer Hinsicht zur Ruhe setzen wird. Die Musik wird seine Leidenschaft bleiben. Zweifelsohne wird er in Zukunft mehr Zeit haben für Entspannung. Das heißt in seinem Fall: an einem einsamen Strand Musik hören. Oder fürs Klavierspielen. Das Klavier, das er einst von seiner Mutter bekam, steht immer verfügbar bei ihm zu Hause.

"Der Mensch braucht die Musik genauso wie die Luft zum Atmen. Sie ist ein Medium, das unmittelbar in die Seele eindringt. Für uns beim Windsbacher Knabenchor ist geistliche Musik noch was ganz anderes. Hier habe ich die Möglichkeit, den Inhalt dessen, was man Verkündigung nennt, durch die Musik weiter zu bringen. Und das ist eine ungeheure Kraft."

Karl-Friedrich Beringer

Sendungen zum Beringer-Abschied im BR

11.12.2011

12.50 bis 13.20 Uhr, Bayerisches Fernsehen und im Livestream auf BR.de, danach sieben Tage lang in der Mediathek

34 Jahre Knabenchor: Dirigent Beringer verlässt die Windsbacher

Mit Leidenschaft und Präzision führte Karl-Friedrich Beringer die Windsbacher zu internationalem Ruhm. Auslandsreisen, Fernsehaufzeichnungen und rund 70 Auftritte pro Jahr zeichneten seine Amtszeit aus. Choräle, Psalmen, Motetten - mit geistlichen Gesängen füllen die Windsbacher Kirchen un Konzertsäle. Ein Film von Birgit Leonhardt.

18.12.2011

21.15 bis 21.45 Uhr, BR-alpha im Livestream auf BR.de, danach sieben Tage lang in der Mediathek (Wiederholung der Sendung vom 11.12.2011)

34 Jahre Knabenchor: Dirigent Beringer verlässt die Windsbacher

Mit Leidenschaft und Präzision führte Karl-Friedrich Beringer die Windsbacher zu internationalem Ruhm. Auslandsreisen, Fernsehaufzeichnungen und rund 70 Auftritte pro Jahr zeichneten seine Amtszeit aus. Choräle, Psalmen, Motetten - mit geistlichen Gesängen füllen die Windsbacher Kirchen un Konzertsäle. Ein Film von Birgit Leonhardt.

25.12.2011, 19.05 Uhr

19.05 bis 21.00 Uhr, BR-Klassik

Konzert mit dem Windsbacher Knabenchor

Zum Ende seiner Amtszeit als Chorleiter des Windsbacher Knabenchors dirigiert Karl-Friedrich Beringer vom 20. - 22. Dezember Johann Sebastian Bachs Johann Sebastian Bach: "Weihnachtsoratorium" I - III, BWV 248 in der Ansbacher St. Gumbertuskirche. Die Abschiedskonzerte sind seit Monaten ausverkauft.Johann Sebastian Bach: "Weihnachtsoratorium" I - III, BWV 248. BR-Klassik sendet am 1. Weihnachtsfeiertag einen Mitschnitt der festlichen Konzerte.

25.12.2011, 21.03 Uhr

21.03 bis 22.00 Uhr, BR-Klassik

"Alles was Odem hat …": Karl-Friedrich Beringer und der Windsbacher Knabenchor

Das Musikfeature ist der Versuch, einen Menschen zu portraitieren, der ohne Musik nicht leben kann. Worin besteht der Erfolg von Beringer? Warum ist er immer in Windsbach geblieben? Wie hat er den Chor geprägt? Und worin besteht der sogenannte "Windsbacher Klang"? Auf diese Fragen versucht die Sendung Antworten zu geben – unter anderem in Interviews mit Beringers älterem Bruder Karl-Günter und Dirigenten-Kollege Kent Nagano. Ein Feature von Corinna Mielke.


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