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Voller Lücken Münchens Erinnerungskultur

Der Ort der ehemaligen Gestapo-Zentrale oder der Todesurteile gegen die Mitglieder der "Weißen Rose" - München tat sich schwer, daran frühzeitig und mit gut sichtbaren Gedenktafeln oder Denkmälern zu erinnern.

Stand: 16.03.2009 | Archiv

Wo einst die Gestapo residierte: Gedenktafel an der Zentrale der BayernLB in München | Bild: BR

"Aus den Augen, aus dem Sinn": Gemäß dieser Devise verfuhren nach 1945 mit den zurückliegenden zwölf Jahren die meisten deutschen Städte. In einigen wuchsen aus den Bombentrichtern gesichtslose Fassaden; andere versuchten, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Auch in München erstand aus manchen Ruinen wieder die Gestalt von einst; detailgetreue Gebäude-Rekonstruktionen sorgten für den Anschein, als ob nichts gewesen wäre. An den zerstörten Orten, die mit NS-Terror verknüpft waren, ließ man dagegen entweder kommentarlos gähnend leere Baulücken - wie im Fall des "Braunen Hauses" - oder man verzichtete bei Neubauten auf Hinweise auf die Nazi-Vergangenheit dieser Häuser, zumindest auf gut sichtbare.

Verstecktes und spätes Gedenken

Gedenktafel für "Weiße Rose" im Justizpalast: nicht außen, sondern innen angebracht

Ein Beispiel: der Justizpalast am Stachus - ein riesiges Gebäude mit einer winzigen, in die Eingangshalle versteckte Inschrift: Wer nahe genug vor ihr steht, kann ihr entnehmen, dass dort der nationalsozialistische Volksgerichtshof die Geschwister Scholl und vier weitere Mitglieder der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" zum Tode verurteilte.

Ein weiteres Beispiel: Die durch die Finanzkrise in die Schlagzeilen geratene Bayerische Landesbank. An der Stelle ihres Sitzes an der Ecke Brienner-/Türkenstraße stand einst das Wittelsbacher Palais, während der NS-Zeit wegen der Folterkeller im Volksmund "Haus des Schreckens" genannt. Denn dort residierte die bayerische Gestapo. 1944 wurde das Gebäude durch Bomben schwer beschädigt. 1950 beseitigte man die letzten Reste.

"Der Abriss der Ruine des Palais war eine einfache Lösung, der Erinnerung an das 'Dritte Reich' zu entkommen", kommentierte dies der Historiker Gavriel Rosenfeld. Als auf dem Areal 1982 ein Erweiterungsbau der Landesbank fertiggestellt wurde, drang der Bezirksausschuss Maxvorstadt darauf, mit einer Tafel auf die NS-Vergangenheit des Vorgängergebäudes hinzuweisen.

Zentrale der BayernLB: Erst seit 1984 erinnert eine Tafel daran, dass im Vorgängergebäude die bayerische Gestapo residierte.

Zwar kam die BayernLB nur zögerlich diesem Wunsch entgegen, aber seit 1984 gibt es das Mahnmal. Erstmals wurde damit in München eine Stätte der NS-Täterschaft öffentlich dokumentiert. Die Inschrift ist aber so verklausuliert, dass die "Funktion des Gebäudes als Schaltstelle des NS-Terrors in Bayern" (Rosenfeld) nicht deutlich herausgestellt ist.

"Hauptstadt der Verdrängung"

"Bis weit in die 1980er-Jahre hinein tat sich München schwer, ... die besondere Verantwortung für Entstehung und Aufstieg des Nationalsozialismus anzunehmen", schreibt Stadtarchivar Andreas Heusler. Auch andere deutsche Städte waren lange Zeit zögerlich bei der Aufarbeitung ihrer braunen Vergangenheit.

Nürnberg, Stadt der Reichsparteitage, hat bereits seit 1985 ein NS-Dokuzentrum.

Aber die einstige "Hauptstadt der Bewegung" habe eine besondere Verantwortung, so wurde von Historikern wie Winfried Nerdinger argumentiert, der Münchens Erinnerungsdefizite in Kontrast zu anderen "Führerstädte" wie Nürnberg oder Berlin setzte, die längst Gedenkstätten eingerichtet hätten. So kam es nicht von ungefähr, dass sich München den Titel "Hauptstadt der Verdrängung" gefallen lassen musste. Die "Weltstadt mit Herz", so die berühmte Selbststilisierung von 1962, investierte lange Zeit mehr Energie, ihr Image als Hort des Gemüts und der Gemütlichkeit zu pflegen, als die Öffentlichkeit daran zu erinnern, dass sie einst "Hauptstadt der Bewegung" war. Ein Ort, der nicht nur Hitlers Aufstieg begünstigte, sondern von dem auch später wesentliche Impulse der Ausgrenzungs- und Vernichtungspolitik der Nazis ausgingen, vor allem die antijüdische Reichspogromnacht vom 9. November 1938. Joseph Goebbels zettelte sie vom Alten Rathaus aus an; auch daran erinnert dort keine Tafel.

Selektives Gedächtnis

In diesem Zusammenhang wurde immer wieder moniert, dass es keinen angemessenen Gedenkort für die Opfer des Nationalsozialismus gebe. Der gleichnamige Platz am verkehrsreichen und wenig zum Innehalten einladenden Altstadtring ist in den Augen vieler Münchner lieblos und zu unauffällig gestaltet. Auch die Vorbehalte der Stadt 2004 gegen die "Stolpersteine", ein Projekt individuellen Gedenkens der Opfer von NS-Terror, wurden zum Teil mit Empörung quittiert. Vorbildlich war dagegen von Anfang an das finanzielle Engagement Münchens für die KZ-Gedenkstätte Dachau.

Münchner Hofgarten: lückenhaftes Denkmal für den NS-Widerstand

Die Art und Weise der öffentlichen Würdigung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus rief dagegen immer wieder Kritik hervor. So wurde zwar 1996 im Hofgarten ein Gedenk-Kubus aufgestellt, doch er enthält nur Verweise auf eine christliche ("Weiße Rose") und militärische Gruppierung (Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944). Andere Widerständler - sozialdemokratische, jesuitische oder der Einzeltäter Georg Elser - fanden auf dem Stein jedoch keine Berücksichtigung, ebensowenig kommunistische, die zahlenmäßig die größte Gruppe stellten.


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