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Eulenspiegel und Undertaker

Auf dem rechten Auge hellwach Eulenspiegel und Undertaker

Stand: 30.09.2014

In einem Auge spiegeln sich die wutverzerrten Gesichter von Neonazis | Bild: colourbox.com; picture-alliance/dpa; br; montage:br

Hätte es den Terror des NSU ohne Zutun des Verfassungsschutzes gegeben? Eine Frage, die sich aufdrängt, angesichts all der Enthüllungen rund um die Terrorzelle. Ebenso wie die Frage: Gäbe es die Neonazi-Szene, insbesondere die bayerische, in ihrer heutigen Form und Stärke überhaupt ohne Hilfe des Geheimdienstes?

Von: Thies Marsen

Sicher ist: Zwei einstige Verfassungsschutz-Mitarbeiter haben entscheidende Aufbauhilfe geleistet. Einer von ihnen stand in diesen Tagen als Zeuge im NSU-Prozess vor dem Münchner Landgericht. Von dem anderen wurden Aussagen vor Gericht verlesen - ein denkwürdiges Zusammentreffen, das ein Schlaglicht auf die zwiespältige bis zwielichtige Rolle des Verfassungsschutzes wirft.

Tino Brandt und Kai D. heißen die beiden Spitzel. Beide waren sie zentrale Figuren der deutschen Neonazi-Szene und auch mit den NSU-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bekannt. Auf einer Notfallliste, die Mundlos für den Fall einer möglichen Flucht zusammengestellt hatte, finden sich sowohl Name und Telefonnummer von Brandt als auch von Kai D.

Brandt arbeitete damals für den thüringischen Verfassungsschutz, D. für den bayerischen. Und bei beiden drängt sich der Verdacht auf, dass ihre Agententätigkeit eher die Nazis schützte und unterstützte als die Verfassung.

V-Mann oder verdeckter Ermittler?

Brandt war V-Mann, also ein Neonazi der als Spitzel angeworben wurde, und er ist einer der wenigen V-Leute, bei denen man zumindest ungefähr weiß, wie viel Geld sie erhalten haben: Bei Brandt waren es wohl mindestens 140.000 Euro. D. wiederum bespitzelte erst in den 1980er-Jahren in Berlin die linke Szene, bevor er in den 1990ern nach Bayern wechselte, um die Rechten auszuhorchen - was den Verdacht aufwirft, dass er mehr als ein V-Mann war, nämlich ein verdeckter Ermittler, der gezielt in die Szene eingeschleust wurde (nähere Auskünfte dazu gibt es übrigens nicht von seinem Arbeitergeber - dort redet man "grundsätzlich" nicht über Quellen).

Tino Brandt wird nach einem Neonazi-Überfall 1995 von einem Polizisten in Jena in Gewahrsam genommen. | Bild: picture-alliance/dpa zum Artikel Tino Brandt Neonazi und Ex-V-Mann

Tino Brandt war in den 1990er-Jahren einer der führenden Thüringer Neonazis mit besten Kontakten in die Szene, auch zu Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. 2001 wurde Brandt als V-Mann des Verfassungsschutzes enttarnt. [mehr]

In der Neonazi-Szene ermittelte D. jedoch nicht nur, er baute auch Strukturen auf: vor allem die sogenannte Anti-Antifa-Arbeit im Raum Nürnberg, also das Ausspionieren von Antifaschisten, Journalisten, Politikern usw. - mit dem Ziel, diesen "schlaflose Nächte" zu bereiten. So heißt es in der ersten Anti-Antifa-Broschüre "Der Einblick", die D. maßgeblich verantwortete. Die fränkischen Neonazis konnten also beim Ausspähen ihrer Gegner auf das Fachwissen eines gelernten Spions zurückgreifen.

Keimzelle des NSU

Das Konzept war bald so erfolgreich, dass es auch nach Thüringen importiert wurde: Dort bildete sich die "Anti-Antifa Ostthüringen", der Vorläufer der Neonazi-Organisation "Thüringer Heimatschutz" (THS), in der auch die späteren NSU-Terroristen aktiv waren. Der THS wiederum wurde maßgeblich aufgebaut von dem damals noch jungen Neonazi Brandt. Er hatte schon als Schüler in der thüringischen Neonazi-Szene mitgemischt, war anschließend nach Bayern gezogen und hatte in Regensburg Nazi-Gruppen aufgebaut. Zurück in Thüringen wurde er vom Verfassungsschutz angesprochen, ob er nicht Informationen aus der Szene liefern wollen - gegen Cash, versteht sich. Und Brandt tat, so schilderte er es jetzt vor Gericht, wie man es ihm zuvor auf Neonazi-Schulungsveranstaltungen beigebracht hatte: Er informierte seinen "Führungskameraden" von dem Anwerbeversuch. Und dieser "Führungskamerad" war damals niemand anderes als Kai D. Dass der ihm nicht von einer Mitarbeit beim Verfassungsschutz abgeraten hat, kann man sich denken.

Beide Spitzel leisteten in den Folgejahren erfolgreiche Aufbauarbeit: Brandt initiierte nicht nur einen Thüringer, sondern auch einen "Fränkischen Heimatschutz" an seinem zeitweiligen Wohn- und Arbeitsort Coburg. D. war unter anderem maßgeblich daran beteiligt, die Nazi-Szene ins digitale Zeitalter zu führen, indem er mithalf das "Thulenetz" aufzubauen. Sein Deckname in dem Mailbox-System lautete übrigens "Undertaker", Brandt firmierte als "Eulenspiegel".

Viele offene Fragen um Tino Brandt

Brandt flog 2001 als Spitzel auf, allerdings blieb er in der Neonazi-Szene auffallend unbehelligt. Offensichtlich glaubt man dort seinen Beteuerungen, er habe das Geheimdienstgeld stets in den Aufbau der Bewegung gesteckt. Über das derzeitige Betätigungsfeld von D. gibt es nur Gerüchte. Seinen einstigen Kameraden Brandt hat er unterdessen schwer belastet. Der habe eine bewaffnete Organisation in Thüringen und Franken aufbauen wollen - so wurde D. im NSU-Prozess zitiert. Was Brandt natürlich weit von sich weist. Ihm sei es immer nur um "politische" Arbeit gegangen, der "Thüringer Heimatschutz" sei nichts anderes als eine "Jugendgruppe" gewesen.

Brandt, der trotz zahlreicher Ermittlungsverfahren wegen seiner Neonazi-Aktivitäten nie juristisch belangt worden ist, sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Gegen ihn wird wegen Zuhälterei und Betrug ermittelt. Es wäre interessant zu wissen, ob er noch Kontakt zu seinem früheren Arbeitgeber hat. Bei seiner Zeugenaussage vor dem Oberlandesgericht (OLG) München war zumindest eines auffällig: Brandt konnte sich plötzlich an Dinge nicht mehr erinnern, die er noch vor wenigen Monaten durchaus gewusst hatte - zum Beispiel die Decknamen seiner einstigen V-Mann-Führer beim Verfassungsschutz.

OLG will nun Kai D. als Zeugen laden

Die Nebenklage im NSU-Prozess hat übrigens nach Brandts Vernehmung beantragt, nun auch Kai D. als Zeuge vorzuladen. Wenn das Gericht dem zustimmt, dann könnte es spannend werden. Denn dann könnten weitere Details ans Licht kommen über die skandalöse Rolle der Geheimdienste, die statt die Verfassung zu schützen, lieber Verfassungsfeinde stark gemacht haben.