Kolumne: Auf dem rechten Auge hellwach Kampf gegen Neonazis - Unfähigkeit oder Unwillen?
Als die Polizei Anfang Mai mit einer bundesweiten Razzia die Neonazigruppe Old School Society (OSS) hochgehen ließ, waren Polizei und Sicherheitsbehörden voll des Eigenlobes über diesen Schlag gegen eine angeblich terroristische Vereinigung. Inzwischen drängt sich der Verdacht auf, dass der vermeintliche Coup vor allem eines bezweckte: Vom alltäglichen Versagen des Staates beim Kampf gegen rassistische Gewalt abzulenken.
Von: Thies Marsen
Inzwischen ist es ruhig geworden um die Ermittlungen gegen die OSS - und das, obwohl die Gruppe, die vor allem aus alt gewordenen Hooligans bestand, von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt (BKA) zur akuten Gefahr für unseren Staat erklärt worden war. Auch wenn die Polizei bei ihnen offenbar nicht arg viel mehr finden konnte als das, was man bei vielen Neonazigruppen zu Hause im Schrank finden würde, wenn man denn nur nachschauen würde: viel Propagandamaterial, einige Waffen und ein paar Böller mit - wie es im Polizeibericht hieß - "erheblicher Sprengkraft".
Um eines klarzustellen: Es geht hier nicht darum, Neonazis zu verharmlosen, ganz im Gegenteil: Wenn man die Maßstäbe anlegt, die die Sicherheitsbehörden mit ihrem Einschreiten gegen die OSS gesetzt haben, dann hätte seitdem bei Dutzenden, wenn nicht gar Hunderten Neonazigrüppchen in ganz Deutschland morgens das Sondereinsatzkommando klingeln müssen. Denn Rassenhass, Antisemitismus, Gewaltfantasien und -verherrlichung, wie sie innerhalb der OSS gepflegt wurden, gehören in der Szene zum guten Ton, genauso wie das Fantasieren über Anschläge, manchmal auch das konkrete Planen.
Genug Arbeit wäre da für Sicherheitsbehörden
So hat die besonders in Bayern aktive Neonazipartei "Der Dritte Weg" schon vor Monaten auf ihrer Homepage eine Karte verlinkt, auf der zahlreiche Flüchtlingsunterkünfte mit genauer Adresse eingetragen sind. Nan könnte auch sagen: Hier wurden Ziele markiert. Und einige dieser Ziele wurden auch schon mit Hakenkreuzen besprüht und mit Molotow-Cocktails angegriffen.
Es gäbe also viel zu tun für die Sicherheitsbehörden. Und es wäre nichts gegen ein konsequentes Vorgehen einzuwenden. Und angesichts dessen, dass die Szene zwar extrem gewaltbereit, aber immer noch relativ klein ist, dass sie zudem durchsetzt ist von staatlich alimentierten V-Leuten, fragt sich, warum nicht viel öfter eine Neonazitruppe wie die OSS hochgenommen wird.
Zahlreiche unaufgeklärte Neonaziangriffe
Kolumne vom 22. März. 2015
Doch die Realität schaut anders aus. Mal abgesehen von dem weitgehend wirkungslos verpufften Verbot des "Freien Netz Süd" vor einem Jahr, wurde insbesondere in Bayern wenig offensiv gegen Neonazis vorgegangen. Und Polizei und Justiz haben zuletzt kaum einen der zahlreichen Neonaziangriffe aufgeklärt. Anderthalb Jahre ist es zum Beispiel her, dass in Germering westlich von München eine Asylbewerberunterkunft angezündet wurde, was fast zur Katastrophe geführt hätte. Bis heute ist kein Täter gefunden. Dasselbe gilt für den Brandanschlag auf eine noch nicht bezogene Unterkunft im Dezember 2014 im mittelfränkischen Vorra oder auch für den Angriff mit einem Molotow-Cocktail auf ein Flüchtlingsheim im niederbayerischen Wallersdorf Anfang Mai.
Im Germeringer Fall schloss ein Polizeisprecher in einer ersten Stellungnahme ein fremdenfeindliches Motiv aus. Im Fall von Wallersdorf dauerte es fünf Tage, bis die Polizei es für nötig befand, den Anschlag überhaupt öffentlich zu machen. Bayern ist da kein Einzelfall. Auch andernorts verlegen sich die Sicherheitsorgane oftmals aufs Abwiegeln. Als es im Februar in einer Flüchtlingsunterkunft im sächsischen Freiberg zu einer Explosion kam, hieß es, dabei habe es sich um einen harmlosen Böller gehandelt. Vier Monate später müssen die Ermittler nun einräumen: Der vermeintlich harmloser Silvesterknaller war ein potenziell tödlicher Sprengsatz. Und plötzlich erhöhte sich auch die Zahl der verletzten Asylbewerber von eins auf sieben.
Kein Schaden - keine Anzeige
Auch der Fall des jüngsten Brandanschlags auf eine Flüchtlingsunterkunft in Meißen wirft kein gutes Licht auf den Staat. Bereits Anfang Juni hatte der Hausbesitzer eine unmissverständliche Drohung an seiner Haustür gefunden. Als er damit zur Polizei ging, um Anzeige zu erstatten, wies man ihn ab und schickte ihn wieder nach Hause. Eine Anzeige könne man nur aufnehmen, so die Polizisten, wenn ein Schaden entstanden sei. Vier Wochen später ist der Schaden da - unbekannte Täter legten an zwei Stellen Feuer.
Unfähigkeit oder Unwillen? Vermutlich beides.