Auf dem rechten Auge hellwach Islamismus trifft Faschismus
Wer keine Angst hat vor einer angeblichen „Islamisierung des Abendlandes“, wer schon den Begriff „Abendland“ bescheuert findet, wer davon überzeugt ist, dass alle Menschen frei und gleich geboren sind und es grundsätzlich unerheblich ist, woher jemand stammt und an welchen Gott er glaubt bzw. nicht glaubt, wer sich über eine bunte Gesellschaft freut und sich zugleich gegen jeglichen religiösen oder ideologischen Fanatismus wehrt – der blickt derzeit ziemlich fassungslos auf das, was in unserem Land und anderswo gerade so passiert.
Von: Thies Marsen
Auch wenn derzeit tausende, mancherorts gar Millionen Menschen auf die Straße gehen gegen durchgeknallte Rassisten und Terroristen, gegen Pegida und Konsorten auf der einen und Islamisten auf der anderen Seite, so drängt sich doch der Eindruck auf, als würden die Fanatikern uns gerade regelrecht vor sich hertreiben. Sie bestimmen die Agenda. Und Politik und Gesellschaft reagieren nur noch. Zugleich nehmen die Übergriffe auf Migranten und Flüchtlinge deutlich zu. Noch ist es nicht soweit, doch es droht eine Situation zu entstehen wie in den frühen 1990er Jahren, als im ganzen Land die Asylbewerberheime und von Ausländern bewohnten Häuser brannten, angezündet von einer Minderheit, die sich sicher war, nur das auszuführen, was die Mehrheit insgeheim dachte. Allerdings ist inzwischen eine neue, nicht minder gefährlichen Komponente dazugekommen: Islamisten, die nicht im Namen einer imaginären Volksgemeinschaft morden, sondern im Namen einer Religion.
Attacken wie damals
Dabei haben insbesondere die Ereignisse in Frankreich gezeigt, dass Islamisten und Neonazis durchaus ähnliche Feindbilder haben. Die Mörder von Paris griffen gezielt eine linke Zeitung und jüdische Bürger an – und Polizisten als Vertreter des verhassten Staates. Der gleiche Personenkreis steht auch im Hassfokus von Neonazis und wurde von ihnen hierzulande schon mehrfach angegriffen. Erinnert sei hier nur an den Berliner Neonazi Kay Diessner, der 1997 mit einer Pumpgun in die Bezirksgeschäftsstelle der Linkspartei – damals noch PDS – stürmte, erst den Betreiber einer linken Buchhandlung, die sich im selben Gebäude befand, niederschoss und anschließend auf der Flucht einen Polizisten ermordete. Oder an den Mord an dem Erlanger Rabbi Shlomo Levin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke 1980, mutmaßlich durch einen Neonazi aus der Wehrsportgruppe Hoffmann.
Fanatiker auf beiden Seiten
Islamisten wie Neonazis bekämpfen eine offene, pluralistische, freie Gesellschaft. Sie lehnen die Emanzipation von Frauen ebenso ab wie die von Homosexuellen und fühlen sich aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer Religion als Herrenmenschen, die berechtigt sind ihre kruden Vorstellungen auch mit Gewalt durchzusetzen. Und sie haben nicht nur gemeinsame Feinde, sondern auch ein gemeinsames Ziel: Einen autoritären und homogenen Führerstaat, im einen Falle eben ethnisch homogen, im anderen Falle religiös. Mal abgesehen davon, dass es auch soziologisch einige Gemeinsamkeiten geben dürfte zwischen neonazistischen und islamistischen Gewalttätern: Junge Männer aus den Hochhausburgen der Peripherie, gescheiterte Existenzen zwischen Gewalt, Drogen und Alkohol auf der Suche nach einem Sinn für ihr Dasein – diese Beschreibung passt genauso auf die Charlie-Hebdo-Attentäter wie auf die NSU-Terroristen. Islamisten und Neonazis stammen aus dem selben Sumpf und gehören in den selben Topf.
Die "gute" Mitte der Gesellschaft
In Deutschland ist es hingegen bislang üblich, links und rechts in einen Topf zu werfen. Verfassungsschutz und politische Bildung erklären uns die Welt gerne mit dem Hufeisenmodell: Der Bogen, das ist quasi die gute Mitte der Gesellschaft, die Enden symbolisieren die Extreme, wobei es nicht näher darauf ankommt, ob links oder rechts – es ist ohnehin das gleiche: Extremismus halt. Das Hufeisenmodell wird immer wieder gerne dazu hergenommen, insbesondere linke Antifaschisten zu diffamieren, indem sie mit Neonazis auf eine Stufe gestellt werden. Gleichzeitig wird damit die sogenannten „Mitte der Gesellschaft“ pauschal für unverdächtig erklärt, als ob dort nicht auch Antisemitismus, Rassismus und Demokratiefeindlichkeit weit verbreitet wären, wie zahlreiche Studien belegen.
Gefahr durch Neonazis und Islamisten
Nun ist es zweifellos so, dass auch im Namen linker Ideologien schlimmste Verbrechen begangen worden sind und bis heute begangen werden – etwa in China oder Nordkorea – was man freilich genauso gut über das Christentum sagen kann oder den Kolonialismus oder den Kapitalismus allgemein. Grundsätzlich aber gilt, dass sogenannte linke Weltanschauungen im Geiste der Aufklärung wurzeln, mithin der Französischen Revolution: Es geht um Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, es geht um die Emanzipation von Staat, Religion, Patriarchat usw.
Neonazis und Islamisten dagegen wollen genau diese Befreiung rückgängig machen. Sie verkörpern die Reaktion, die Gegenaufklärung, sie wollen die alten, angeblich naturgegebenen Verhältnisse wieder herstellen. Zurück zur Diktatur der Religion bzw. zum absolutistischen Alleinherrscher. Neonazis und Islamisten sind sich also ähnlicher, als sie glauben. Der deutsch-französische Politiker Daniel Cohn-Bendit hat die Attentäter von Paris denn auch "Islamfaschisten" genannt – eine durchaus zutreffende Beschreibung. Wie überhaupt der weitgehend aus der Mode gekommene Begriff "Faschismus" wieder reaktiviert werden sollte. Damit auch der Begriff "Antifaschismus" bei uns endlich aus der Schmuddelecke herauskommt. Neonazis und Islamisten sind nichts anderes als Faschisten. Und wer sich ihnen entgegenstellt, wer eine offene, freie, bunte Gesellschaft will, der kann sich getrost "Antifaschist" nennen.