Ein Teil von uns Statement der BR-Redaktion
"Die Auslöser und vor allem Ursachen, warum Menschen in der Obdachlosigkeit landen, sind vielfältig. Krankheit, Sucht, Verlust des Arbeitsplatzes, Verarmung und Vereinsamung. Doch wer trägt die Verantwortung oder vielleicht sogar Schuld daran? Defizite in unserem Sozialsystem, gesellschaftliche Kälte? Oder die, die den Menschen am nächsten stehen müssten – die Angehörigen? Warum, bitte schön, kümmern die sich nicht? Sind es nicht die Männer, Frauen, Brüder, Schwestern, Töchter oder Söhne, die ihnen Schutz oder zumindest ein minimales Auskommen organisieren müssten?
Wie aber kann so etwas überhaupt gelingen, zumal wenn jedes Zusammentreffen mit dem geliebten Menschen zu einer enormen seelischen und emotionalen Herausforderung wird? Wenn man sogar beschimpft, bespuckt und gedemütigt wird, selbst oder gerade, wenn man es gut meint? Wenn man machtlos dem physischen und psychischen Verfall eines nahen Menschen zusehen muss, der keine Hilfe annehmen, sich ‚nicht bevormunden‘ lassen will?
Obdachlose werden als gesellschaftlich Ausgegrenzte häufig verächtlich als Leistungsverweigerer angesehen. Für die Angehörigen bedeutet das, neben der Sorge und der Ohnmacht, eine große soziale Scham. Offen einzugestehen, dass jemand aus der eigenen Familie auf der Straße lebt…dazu gehört in unserer Gesellschaft einiges. Aber auch das ist ein Teil von uns.
Der Erzählansatz von Esther Bernstorff, deren Vorlage Nicole Weegmann mit großem Einfühlungsvermögen inszeniert hat, nimmt sich genau dieses Aspektes an. Es geht hier weniger um eine sozialkritische Auseinandersetzung über die Ursachen, Folgen und Mängel im Sozialwesen, sondern um die Auswirkungen auf das unmittelbare familiäre Miteinander. Anhand einer Mutter-Tochter-Beziehung werden bürgerliche Familienverhältnisse präzise ausgeleuchtet, in denen die weiblichen Familienmitglieder noch immer die größte soziale Verantwortung zu tragen scheinen. Und dabei sind Hilfe geben und Hilfe zulassen zwei unterschiedliche, konfliktbeladene Seiten einer Medaille.
Dieser schonungslose, kenntnisreiche und zutiefst empathische Blick aller Projekt-Beteiligten auf dieses Thema, hat Spuren bei uns hinterlassen: Wir sehen heute jene achtsamer an, an denen wir sonst verschämt vorbeigegangen sind. Vielleicht überträgt sich das auch auf unsere Zuschauer."
BR-Redakteurinnen Claudia Simionescu und Amke Ferlemann