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"Mindestens haltbar bis" Was das MHD oder "Oft länger gut" wirklich bedeutet

Millionen Tonnen von Lebensmitteln jährlich werden nicht verzehrt, sondern bleiben auf dem Acker liegen, verschimmeln in Lagerhallen oder landen in der Tonne. Vor allem Zuhause. Wenn wir mehr dagegen tun, ist das gut für das Klima und unseren Geldbeutel.

Von: Alexander Dallmus

Stand: 21.01.2025

Der Aufrduck unter dem MHD | Bild: BR

Etwa elf Millionen Tonnen Lebensmittel werden jedes Jahr in Deutschland verschwendet, laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Das ist aber nicht allein ein deutsches Phänomen. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO gehen pro Jahr etwa ein Siebtel (14 Prozent) der weltweiten Lebensmittelproduktion allein zwischen Ernte und Einzelhandel verloren. Noch viel mehr Tonnen Lebensmittel landen später im Müll von Haushalten, Einzelhändlern, Restaurants und anderen gastronomischen Einrichtungen. Ein Jammer, angesichts des Hungers in weiten Teilen der Welt. Darum starten wir direkt mit ein paar guten Ideen, die jetzt schon dafür sorgen, dass weniger Lebensmittel weggeworfen werden:

Gute Ideen für Lebensmittelrettung

Seit Mai 2022 können Supermärkte Produkte mit ablaufendem Haltbarkeitsdatum einfacher zu Sonderpreisen anbieten, um sie nicht wegwerfen zu müssen. Ein Aufkleber mit beispielsweise "30 Prozent billiger" auf der Packung reicht dann aus und es muss nicht ein ganz neues Preisschild aufgeklebt werden. Weitere gute Ideen:

Too Good To Go App

Mit der "Too Good To Go"-App werden Lebensmittel gerettet, die in Läden in der Gegend unverkauft geblieben sind, wie Obst und Gemüse, aber auch Backwaren und fertige Mahlzeiten aus der Gastronomie. Je nach eigenen Vorlieben kann man auch nach vegetarischen und veganen Angeboten filtern. So muss das Essen nicht weggeworfen werden und bekommt zu einem reduzierten Preis eine zweite Chance.

"Oft länger gut"

Mittlerweile sieht man auf einigen verpackten Lebensmitteln direkt unter dem MHD auch den Aufdruck "oft länger gut". So soll Lebensmittelverschwendung in Privathaushalten bekämpft werden und die Verbraucherinnen und Verbraucher sollen darin bestärkt werden, auf ihre eigenen Sinne zu setzen: Schauen, riechen, probieren und dann entscheiden, ob das Produkt noch gut ist.

"Blind Date" Tüten in Supermärkten

Mittlerweile kann man sogar schon in Discountern Überraschungstüten mit frischem Obst und Gemüse kaufen, das vielleicht ein paaar optische Mängel aufweist, sich aber noch super zum verzehr eignet. Diese Tüten werden zu einem deutlich günstigeren Preis angeboten - und kitzeln die Kreativität der Köche und Köchinnen hervor, weil man so auch mal mit neuen Gemüsesorten kocht.

Zu gut für die Tonne

Die Initiative "Zu gut für die Tonne" ist Teil der "Nationalen Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung". Hier wird nicht nur aufgeklärt, sondern es werden auch vorbildliche Projekte und Initiativen ausgezeichnet - von Unternehmen, Start-ups, der Gastronomie, aber auch landwirtschaftliche Betriebe, Vereine sowie wissenschaftliche Einrichtungen.

Wie viel CO2 können wir durchs Lebensmittelretten einsparen?

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat in einer Studie das Sparpotential hinsichtlich der Lebensmittelrettung 2021 ausrechnen lassen: Was könnten wir an klimaschädlichen Treibhausgasen einsparen, indem wir weniger wegwerfen? Schließlich vernichtet jeder Bundesbürger im Durchschnitt etwa 75 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr.

"Wenn wir es schaffen würden, diese Lebensmittelabfälle um die Hälfte zu reduzieren (...), würden pro Person 74 Kilogramm weniger Treibhausgasemissionen pro Jahr verursacht", sagt Sarah Fluchs vom IW Köln. "Auf die deutsche Bevölkerung hochgerechnet, könnten so also mehr als 6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart werden."

Sechs Millionen Tonnen klimaschädliches CO2 entspricht etwa der dreifachen Menge des gesamten innerdeutschen Flugverkehrs.

Warum landen viele Lebensmittel erst gar nicht beim Verbraucher?

Nach Schätzungen des renommierten Thühnen-Instituts in Braunschweig, einem Bundesforschungsinstitut für ländliche Räume, Wald und Fischerei, geht ein durchschnittliches Lebensmittel durch etwa 33 Hände, bevor es die Verbraucher im Supermarkt zu Gesicht bekommen. Auf diesem Weg gehen bereits viele gute Lebensmittel verloren. Das betrifft ganz verschiedene Bereiche und hat unterschiedliche Gründe:

Schon auf dem Acker - also in der Landwirtschaft - wird wegen der strengen Standards im Handel und der immensen Anforderungen der Lebensmittelindustrie ein großer Teil der Ernte bereits aussortiert und gleich wieder untergepflügt. "Der Klassiker sind die krummen Möhren, die dann auf dem Feld liegen bleiben, die vielleicht sogar noch zwei Beine haben, aber auf jeden Fall zu kurz, zu lang, zu dick, zu dünn oder krumm sind", stellt Anneke von Reeken, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Niedersachsen immer wieder fest.

"Die Kartoffeln sind zu klein. Zucchini, die ein paar Kratzer haben oder einfach auch Äpfel, die Hagelschaden haben, weil eben ein Hagelunwetter über die Bäume drübergezogen ist."

Anneke von Reeken, Ernährungsexpertin der Verbraucherzentrale Niedersachsen

Aber auch falsche Lagerung oder Schädlingsbefall verdirbt viel Obst und Gemüse. Etwa 12 Prozent der Lebensmittelabfälle fallen in den Bereich Landwirtschaft.

Auch bei der Lebensmittelverarbeitung landet viel im Abfall. Hier entstehen etwa 18 Prozent der deutschen Lebensmittelverluste. Durch Transport- oder Lagerschäden sowie einer mangelnden Resteverwertung bei Produktion.

Sehr viel weggeworfen wird außerdem im Bereich Gastronomie. Hier fallen geschätzt etwa 14 Prozent der gesamten deutschen Lebensmittelabfälle an. Dieser relativ hohe Anteil ist vor allem auf schlechte Planung, falsche Lagerung, aber auch auf die sehr strengen Hygiene- und Produktvorschriften zurückzuführen.

Wie groß ist die Rolle des Handels bei der Lebensmittelverschwendung?

Der Anteil des Handels am Gesamtaufkommen der Lebensmittelverschwendung liegt gerade mal bei vier Prozent. Im Vergleich zu anderen Bereichen oder den privaten Haushalten sicher weniger, als viele denken. Trotzdem sind auch 500.000 Tonnen Lebensmittelabfälle, die beim Handel anfallen, eine gewaltige Menge.

Hinzu kommt, dass Äpfel, Karotten oder Kirschen aussehen müssen wie gemalt. Makellos. Nichts Krummgewachsenes bitte, sonst nehmen es Supermärkte und Discounter gar nicht erst an. "Die glänzenden Obst- und Gemüseabteilungen sind die Aushängeschilder jedes Supermarktes. Es wird mit Licht gespielt", sagt Anneke von Reeken von der VZ Niedersachsen, "und alles sieht ganz, ganz toll aus. Wie im Paradies. Natürlich sind wir verwöhnt und erwarten dann auch, dass wir das Allerbeste und Schönste bekommen."

So will der Handel Lebensmittelverschwendung bekämpfen

Auch wenn zwischen Einkauf und Verkauf anteilsmäßig in den Supermärkten und Discountern gar nicht so viel verdirbt wie viele denken, sieht man seitens des Handels dennoch Sparpotential. Mit großen Datenmengen und auch künstlicher Intelligenz soll beispielsweise künftig zielgenauer bestellt werden können und damit gäbe es natürlich auch weniger Verluste, erklärt Christian Böttcher vom BVLH:

"Das heißt, mit selbstlernenden, selbstdenkenden Algorithmen, die aus den Verkaufsdaten der Vorsaison, aus den Aktionstagen, aber auch aus Wetterdaten und aus dem kompletten Einkaufsverhalten von Kunden in einem Unternehmen praktisch selbstständig künftige Bestellmengen errechnen."

Christian Böttcher, Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH)

Mittlerweile sind in den Handelsunternehmen damit bereits gute Erfahrungen gemacht worden.

Immer mehr Supermärkte bieten ihren Kunden außerdem Obst und Gemüse, das nicht mehr ganz makellos ist, zu günstigeren Preisen an. Im Rahmen einer Stichprobe haben die Verbraucherzentralen Deutschlands festgestellt, dass das immerhin mittlerweile mehr als ein Viertel der Läden tut. Allerdings fehlen bei reduzierter Ware häufig Angaben zu Herkunft oder Sortenbezeichnung. Die Verbraucherschützer forderten deshalb klare Vorgaben von der Politik, die den Umgang mit reduzierten Lebensmitteln für Verbraucher erleichtern und gleichzeitig Hemmschwellen für die Supermärkte abbauen.

Was ist der Unterschied zwischen Mindesthaltbarkeitsdatum und Verfallsdatum?

Das allseits bekannte Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) hat nichts damit zu tun, dass Lebensmittel nach Erreichen des Datums nicht mehr genießbar sind. Das MHD ist eher als Garantie des Herstellers zu verstehen, dass bis zum aufgedruckten Zeitpunkt sein ungeöffnetes Produkt bei richtiger Lagerung einwandfrei riecht, schmeckt und auch alle angegebenen Nährwerte behält. Chips müssen dann noch knackig und Kaffee aromatisch sein. Essen und trinken kann man aber beides auch nach dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums noch.

Was ist das Verbrauchsdatum?

Bei sehr leicht verderblichen Lebensmitteln, wie Hackfleisch oder auch Fisch, die schon nach kurzer Zeit schlecht werden und damit unsere Gesundheit gefährden können, gilt das Verbrauchsdatum. Ist das aufgedruckte Datum abgelaufen, gilt dieses Lebensmittel nicht mehr als sicher.

Viele Lebensmittel sind auch von der Angabe des MHDs ganz ausgenommen. Dazu gehören frisches Obst und Gemüse, Getränke mit einem 10-prozentigen Alkoholgehalt, Backwaren (weil die sowieso nach etwa 24 Stunden verzehrt werden) sowie Essig, Speisesalz oder Zucker (lesen Sie dazu auch So lange sind Backzutaten wirklich haltbar).

Wo werden die meisten Lebensmittel weggeworfen?

Das ist die bittere Wahrheit: Über die Hälfte (52 Prozent) der etwa 12 Millionen Tonnen an Lebensmitteln, die jährlich weggeworfen werden, verderben bei uns Zuhause. In den privaten Haushalten. Bestenfalls immerhin noch in der Biotonne, leider sehr oft auch in der Restmülltonne. Hier kann jeder ansetzen. Jeder etwas tun. Meist geht es um ganz einfache Strategien, sagt Ernährungsexpertin Anneke von Reeken von der VZ Niedersachsen:

"Bei Kindern ist es so und bei uns ist es auch oft so, dass die Augen größer sind als der Magen und dann der Rest irgendwie in einer Tonne landet. Und da gilt es erst mal vorsichtig ranzugehen. Nicht hungrig einkaufen gehen. Wenn ich koche, vorher überlegen, wie viel man eigentlich braucht - und nicht gleich die doppelte Portion ansetzen, weil man gerade so wahnsinnigen Hunger hat. Ich glaube, damit ist schon viel geholfen."

Anneke von Reeken, Ernährungsexpertin bei der VZ Niedersachsen

Quellen und weiterführende Links

"Was jeder Bürger gegen den Klimawandel tun kann" (Informationsdienst der Instituts der deutschen Wirtschaft)

"Zu gut für die Tonne" (Bundesweite Aktion, verantwortet von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung)

Hier den Podcast über den Zusammenhang von MHD und Lebensmittleverschwendung anhören:

https://www.ardaudiothek.de/episode/besser-leben-der-bayern-1-nachhaltigkeitspodcast/warum-restekueche-umweltschutz-ist/bayern-1/10351517/

Podcast "Besser leben. Der BAYERN 1 Nachhaltigkeitspodcast"

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Alle Folgen zum Nachlesen finden Sie auf der Übersichtsseite "Besser leben. Der BAYERN 1 Nachhaltigkeitspodcast".

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