Das Thema Bismarcks "Kulturkampf"
Nach der Reichsgründung müssen sich die deutschen Liberalen mit Bismarck arrangieren, was vor allem der Nationalliberalen Partei nicht allzu schwer fällt. Im sich anbahnenden Kulturkampf kann der Kanzler mit ihrer Unterstützung rechnen. Den Begriff "Kulturkampf" prägt der Arzt und Politiker Rudolf Virchow (1821-1902); gemeint ist der Einsatz für die Kultur gegen die geistige Bevormundung durch die Kirche. In den Augen vieler Liberaler zielt der Kulturkampf auf die Durchsetzung liberaler Grundinteressen wie die Trennung von Kirche und Staat und die Schaffung eines staatlichen Bildungsmonopols.
"Liberale Ära" und Kulturkampf
Die Ursache des Bismarck'schen Kulturkampfes liegt in einer neuen Parteigründung von 1870, der Zentrumspartei. Das Zentrum ist erfolgreich, weil es im mehrheitlich preußisch-protestantisch-liberalen Reichstag keine Partei gibt, die die Interessen der Katholiken wirksam vertritt. Die polnische Minderheit in Preußens Osten findet im Zentrum ebenso eine politische Heimat wie viele unzufriedene Elsässer. Die Zentrumspartei, eng verflochten mit der katholischen Kirche, erscheint Bismarck mehr und mehr als unberechenbare Kraft im neuen Reich. Er beschließt gegen die "Papisten" vorzugehen.
Bismarck will einen “Präventivkrieg” gegen den politischen Katholizismus führen und dabei die Gelegenheit nutzen, den Einfluss des Staates auf Bereiche wie Schule und Zivilehe auszudehnen. Er treibt die Zentrumspartei in eine scharfe Opposition gegen die Regierung und beginnt mit Unterstützung der Liberalen den Kulturkampf.
Antiklerikale Maßnahmen im Kulturkampf
- Schließung der katholischen Abteilung im preußischen Kulturministerium (1871).
- "Kanzelparagraph" (10. Dezember 1871); er untersagt katholischen Priestern politische Äußerungen in Predigten; “der Missbrauch des geistlichen Amts zur Gefährdung des öffentlichen Lebens” wird mit Gefängnis bestraft.
- Gesetz über die Schulaufsicht (1872); katholische Ordensangehörige werden vom Lehrberuf an öffentlichen Schulen ausgeschlossen; Verstaatlichung der Schulinspektion.
- Jesuitengesetz (4. Juli 1872); es verbietet den Jesuitenorden in Deutschland (erst 1917 wird das Verbot wieder aufgehoben).
- "Maigesetze” (1873); sie verstaatlichen die Ausbildung der katholischen Geistlichen und greifen in innerkirchliche Angelegenheiten (z. B. Disziplinargewalt) ein.
- 1874/75 wird die Zivilehe im Reich eingeführt. Die standesamtliche Trauung muss vor der kirchlichen erfolgen, die Trauung der Brautleute und der Eintrag ins Personenstandsregister durch Standesbeamte sind verpflichtend.
- Mit dem "Brotkorbgesetz" (1875) werden alle staatlichen Zuschüsse an die katholische Kirche eingefroren.
All diese Maßnahmen schlagen fehl und wirken kontraproduktiv. Das Zentrum erhält durch die Angriffe verstärkten Zulauf. Bismarck stoppt den Kulturkampf 1878. Zu dieser Zeit kühlt sich auch sein Verhältnis zu den Liberalen ab. Es kommt zu Differenzen über den wirtschaftspolitischen Kurs der Regierung und liberale Forderungen nach konstitutionellen Veränderungen werden wieder lauter.