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Das Thema Bismarcks Außenpolitik

Stand: 26.03.2011 | Archiv

Kanone im Gutspark von Schönhausen. Hier wurde Bismarck 1815 geboren. | Bild: picture-alliance/dpa

Durch den deutschen Sieg über Frankreich hat sich das Mächtegleichgewicht auf dem Kontinent empfindlich verschoben und Bismarck startet eine gezielte Friedens- und Bündnispolitik. Den anderen europäischen Mächten will er die Gewissheit geben, dass Preußens Expansionsdrang gestillt ist. Seine Botschaft lautet daher: "Deutschland ist saturiert".

Bismarck zwischen Frankreich und Russland

Eine mögliche Koalition zwischen Frankreich und Russland, die Deutschland in einen Zweifronten-Krieg verstricken könnte, ist dem Kanzler ein Graus. So beginnt er ein Bündnisgeflecht zu knüpfen, um Frankreich außenpolitisch zu isolieren. Rivalitäten unter den Großmächten England, Russland und Österreich nutzt er geschickt aus. Nach Bismarcks Vorstellungen sollen die einzelnen Vertragspartner Deutschlands wegen der zwischen ihnen herrschenden Streitigkeiten stets an einem Bündnis mit Berlin interessiert sein, da sich das Reich sonst auf eine Seite schlagen würde.

1873 fädelt er das Drei-Kaiser-Abkommen zwischen Deutschland, Russland und Österreich ein. Eigentlich gibt es wenig Grund für Russland, mit Österreich ein Bündnis zu schließen, da sich die Interessen der beiden Staaten auf dem Balkan kreuzen, dennoch bringt Bismarck das Abkommen zustande.

Der "ehrliche Makler"

In der zweiten Hälfte der 1870er Jahre kommt es auf dem Balkan zu Spannungen. In Bosnien, Herzegowina und Bulgarien regt sich der Widerstand gegen die türkische Herrschaft. Zar Alexander II. (1818-81) erwartet vom Deutschen Reich Neutralität, falls Russland gegen die Türkei losschlägt und dabei mit Österreich aneinander gerät. Österreich und Russland treffen 1877 schließlich Absprachen über ihre Interessen auf dem Balkan. Daraufhin greift Russland die Türkei an, hält sich aber nicht die Verabredungen mit Österreich, was einen Krieg zwischen beiden Staaten immer wahrscheinlicher werden lässt. In dieser kritischen Situation organisiert Bismarck als "ehrlicher Makler" einen internationalen Kongress, der vom 13. Juni bis 13. Juli 1878 in Berlin tagt. Verhandlungspartner sind England, Frankreich, Österreich und Russland, das zum großen Ärger des Zaren Teile seiner Kriegserwerbungen (Teile Bulgariens, Ostrumelien) wieder an die Türkei zurückgeben muss.

Ein ausgeklügeltes Bündnissystem

Die Abkühlung des Verhältnisses zu Russland lässt Deutschland näher an Österreich heranrücken und mit dem Zweibund von 1879 wird ein Defensivbündnis für den Fall eines russischen Angriffs geschlossen. Der Geheimvertrag mit den Habsburgern verpflichtet beide Partner im Falle eines russischen Angriffs zu militärischem Beistand und im Falle des Angriffs einer anderen Macht als Russland zu wohlwollender Neutralität.

Um sich Russland wieder anzunähern, wirkt Bismarck auf eine Erneuerung des Dreikaiservertrages hin. Deutschland, Russland und Österreich verpflichten sich erneut zu wohlwollender Neutralität, falls eine der drei Mächte von einer vierten angegriffen wird (1881).

Nach Beilegung der österreichisch-italienischen Spannungen kommt es 1882 zum Dreibund zwischen Deutschland, Österreich und Italien, der ebenfalls die Neutralität der Partner im Falle eines Angriffs auf einen der drei vorsieht. Für Bismarck ist der Dreibund vor allem ein Schutzbündnis gegen Frankreich.

Der "Draht nach St. Petersburg"

1887 schließt Bismarck mit Russland den Rückversicherungsvertrag. Der öffentlich bekannte Teil des Paktes beinhaltet wohlwollende Neutralität im Falle eines Angriffs durch dritte und eine Garantie des Status quo auf dem Balkan. Im geheimen Zusatzprotokoll aber erkennt Deutschland Russlands Anspruch auf den Zugang zu den umstrittenen Meerengen ebenso an wie die "geschichtlich erworbenen Rechte Russlands auf der Balkanhalbinsel". Bismarck hat kein Problem damit, dass diese Versicherung anderen Bündnissen wie dem Dreibund eklatant widerspricht.

Eine Annäherung an England gelingt nicht. Trotz Bismarcks demonstrativer Zurückhaltung in der Kolonialpolitik kommt kein Bündnis zustande.

Kräftegleichgewicht à la Bismarck

Als Bismarck 1890 die politische Bühne verlässt, hat er es fast 20 Jahre lang erfolgreich geschafft, das Deutsche Reich in einem Balanceakt zu seinen europäischen Nachbarn zu halten. Sein Bündnissystem ist zwar beeindruckend, steckt aber voller Widersprüche und bedarf viel diplomatischen Geschicks und günstiger Umstände, um es tragfähig zu halten. Ständige Anpassungen an sich verändernde Gegebenheiten sind nötig, dauerhaft stabile Komponenten gibt es kaum. Vor allem aber ist es alte Diplomatie in einer neuen Zeit, die von Nationalismus, Imperialismus und Kolonialismus geprägt ist. Für den Historiker Gerhard Ritter ist Bismarck daher der "letzte große Kabinettspolitiker", ein Kanzler, der Diplomatie betreibt, wie sie im 18. Jahrhundert üblich war.

Der "Eiserne Kanzler" hat einer neuen Generation, die nach Weltgeltung Deutschlands strebt ("Platz an der Sonne"), nur wenig zu bieten. Dass er eine Generation lang europäische Friedenspolitik betreibt, wird erst aus dem Rückblick der letzten beiden Weltkriege und unseres heutigen Verständnisses, dass Krieg kein taugliches Mittel der Politik ist, zum großen Verdienst. Die deutsche Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts würdigt ihn dafür nicht. Deutschland atmet auf, als Bismarck abtritt und das forsche Auftreten Kaiser Wilhelms II. (1859-1941) wird von großen Teilen der Bevölkerung begrüßt und unterstützt.


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