Bayern 2 - radioWissen


9

Das Thema Der Salvinia-Effekt

Stand: 16.02.2012 | Archiv

Frachtschiffe sind das wichtigste Transportmittel im globalen Warenverkehr. Etwa 90 Prozent aller international gehandelten Güter werden auf dem Seeweg befördert. Die dabei verbrauchten Treibstoffmengen und die ausgestoßenen Emissionen sind enorm: 2007 verbrannten Schiffsmotoren weltweit etwa 369 Millionen Tonnen Rohöl und bliesen 1.120 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft. Schätzungen zufolge wird sich der Treibstoffverbrauch bis 2020 um 30 Prozent auf 486 Millionen Tonnen und der Kohlendioxidausstoß auf 1.475 Millionen Tonnen erhöhen.
Diese Prognose ist doppelt bedrohlich. Zum einen müssen Reeder angesichts wachsender Nachfrage und schwindender Vorräte mit steigenden Kosten rechnen. Zum anderen beschleunigt ein steigender CO2-Ausstoß die Erderwärmung.

Eine Gleitschicht aus Luft spart Schiffstreibstoff

Weltweit suchen Ingenieure daher nach Möglichkeiten, den Treibstoffverbrauch zu senken. Das höchste Einsparpotenzial verspricht dabei die Reduktion der Reibung zwischen Wasser und Schiffskörper. Verursacher des Reibungswiderstandes, dessen Überwindung gut die Hälfte der Antriebsenergie verschlingt, sind Wasserteilchen und Wasserwirbel am Schiffsrumpf. Gelänge es, den Rumpf im Wasser trocken zu halten, ließe sich die Reibung und damit der nötige Energieeinsatz drastisch verringern.

Schiffe von morgen schwimmen in einer Luftblase

Trockene Schiffsrümpfe bei voller Fahrt voraus? Das klingt zunächst absurd, ist aber Teil eines Projekts, das ein Forscherteam um den Bionikpionier Wilhelm Barthlott derzeit an der Uni Bonn vorantreibt. Konkret geht es darum, Schiffsrümpfe durch Spezialbeschichtungen mit einer Lufthülle zu überziehen, die das Wasser dauerhaft vom Metall fernhält und die Oberflächenreibung vermindert.

In der Natur gibt es solche Lösungen bereits. Zahlreiche Pflanzen und Tiere haben superhydrophobe, also hoch wasserabweisende, Luft haltende Oberflächen entwickelt. Dadurch bleiben sie beim Schwimmen oder Untertauchen vollständig unbenetzt. Zu diesen Spezialisten, die Barthlott und sein Team genauer unter die Lupe genommen haben, gehören der Schwimmfarn Salvinia molesta und der Rückenspinner, eine heimische Wasserwanzenart.

Der Salvinia-Effekt - Barthlotts neuster Bionik-Coup

Werden Schwimmfarne (Salvinia) untergetaucht, bildet sich auf ihrer Oberfläche ein dünner Luftfilm, der die Pflanze wochenlang trocken hält. Verantwortlich für diesen Salvinia-Effekt sind feine Härchen auf der Blattoberfläche, die an Schneebesen erinnern. Diese Härchen weisen zwei unterschiedliche Eigenschaften auf. Große Bereiche sind wie beim Lotus-Effekt mit feinen Wachskristallen besetzt und dadurch chemisch hydrophob, also wasserabweisend. Die äußersten Spitzen der Härchen sind dagegen hydrophil, also wasseranziehend. Wenn die Pflanze mit Wasser in Berührung kommt, geschieht etwas höchst Erstaunliches: Die hydrophoben Haarsegmente halten das Wasser auf Abstand. Die hydrophilen Spitzen tauchen in die Flüssigkeit ein und "tackern" sie regelrecht an der Pflanze fest. Dadurch können Luftbläschen, die an den wasserabweisenden Teilen der Härchen haften, nicht mehr so leicht entweichen. Durch die besondere Kombination wasseranziehender und wasserabweisender Segmente wird die Luft regelrecht unter einer Wasserschicht eingeschlossen und bildet eine schützende Hülle um die Pflanze. Das Ganze ähnelt einer Zeltplane, die von Pfosten aufgespannt und gleichzeitig am Davonfliegen gehindert wird.

Eine Lufthülle hält den Rückenschwimmer trocken

Einen ähnlichen Trick macht sich der in Europa heimische Rückenschwimmer (Notonecta glauca) zunutze. Auch sein Körper ist mit unzähligen feinen, unterschiedlich langen, chemisch hydrophoben Härchen besetzt. Aufgrund seiner Spannkraft kann das Wasser nicht in die Zwischenräume der Haare eindringen und bleibt als kompakte Schicht auf dem dichten "Haarteppich" liegen.

Bionische Revolution des Schiffbaus

Das Prinzip einer superhydrophoben, dauerhaft Luft haltenden Oberfläche möchte Barthlott technisch umsetzen, um Schiffsrümpfe mit einer reibungsmindernden Lufthülle zu beschichten. Der Effekt wäre beträchtlich: Damit würden die Schiffe letztlich nicht mehr im Wasser, sondern in einer lückenlosen Luftblase schwimmen. Reibung entstünde so nicht mehr an der Wasser-Metall-Grenze, sondern nur noch an der Wasser-Luft-Grenze, wo sie weitaus geringer ist.

Luft haltende Gleitschichten, die den Salviana-Effekt nachahmen, könnten den Reibungsverlust und damit den Kraftstoffverbrauch von Schiffen um zehn Prozent senken, glaubt Barthlott. In ersten Versuchen ist die Übertragung des Prinzips auf technische Materialien bereits gelungen.

"Schlüpfrige" Pipelines unterstützen Pumpsysteme

Ebenfalls angedacht sind Rohrleitungen, die innen mit einer Salvinia-Oberfläche beschichtet sind. Dadurch könnte man Flüssigkeiten mit viel weniger Reibungsverlust hindurch pumpen und Energie sparen.


9