Das Thema Erkenntnis und Hype
Fachkollegen bezweifelten zunächst die Entdeckung Barthlotts, auch Industrievertreter blieben auf Distanz. Erst nach 20-jähriger Forschungs- und Überzeugungsarbeit gelang es, den Lotus-Effekt auf technische Materialien und schließlich auf Alltagsprodukte zu übertragen. 1997 meldete Barthlott ein Patent an.
Angewandte Erkenntnis - Vom Lotus lernen
Als schwierig erwies sich, die exakte Nanostruktur des Lotusblattes zu imitieren. Um selbstreinigendes Glas herzustellen, wurden beispielsweise nanometergroße Titandioxidpartikel - für das menschliche Auge nicht sichtbar - aufgetragen. Titandioxid ist chemisch sehr beständig und verhindert, dass sich organische Stoffe am Glas festsetzen. Und wie beim Lotus-Blatt reißen Wassertropfen den Schmutz mit sich.
Ende des 20. Jahrhunderts kamen mehr und mehr Produkte auf den Markt. Mittlerweile gibt es selbstreinigende Häuserfassaden, Waschbecken, Toilettenschüsseln, Glasscheiben, Kacheln und Textilien. In Ingenieurskreisen trägt man gern Krawatten mit Lotus-Effekt. Als Verkaufserfolg haben sich Dachziegel mit veredelter Oberfläche erwiesen, die gegen Moosbewuchs und Rußverschmutzung gefeit sind.
Der Hype nach Startschwierigkeiten
Wilhelm Barthlott stieg zum Professor auf und wurde mit Preisen überhäuft. Um die Jahrtausendwende war die Bionik dank des Lotus-Effekts in aller Munde, über die Industrie ergoss sich eine Fülle von Ideen. Doch bald setzte Ernüchterung ein, denn Biologen meldeten Phänomene aus der Natur, mit denen Ingenieure nichts anzufangen wussten. Zudem zeigte sich, dass manche Entwicklung für Unternehmen, die im harten Konkurrenzkampf stehen, zu lange dauerte. Viele Firmen waren nicht bereit, 20 oder 30 Jahre lang auf ein Produkt zu warten.
Inzwischen haben beide Seiten dazu gelernt, Industrie und Wissenschaft stimmen sich besser ab. So melden Firmen Probleme bei bestimmten Entwicklungen oder verfassen Wunschlisten. Dann machen sich Forscher in Netzwerken wie "Biokon" gezielt auf die Suche nach natürlichen Lösungsvorbildern. Bionik hat heute die Aufgabe, einen Wissenschaftsbetrieb, der in viele Einzeldisziplinen zersplittert ist, zu vernetzen.